Demokratiegeschichten

House of Cards und der Sturz von Margaret Thatcher

Was fasziniert uns an Politik? Man denkt da zweifelsohne an die vielen Beispielen von Menschen und Gruppen, die sich für eine gute Sache eingesetzt haben, Politikern, die sich aus voller Überzeugung jeden Tag hart für ihre Wählerinnen und Wähler einsetzen oder an die Sternstunden der politischen Debatte im Parlament.

Jedoch kommen wir in dieser Liste meist schnell zu der dunklen Seite der Medaille, zur Welt des Verrats und der Intrigen, in den Sumpf menschlicher Abgründe. Eine Seite, die auch zweifelsohne immer wieder Teil der Politik war und – bis in unsere Zeit – auch ist. Zumindest bleiben uns diese Geschichten noch am ehesten im Kopf und geben Film und Literatur regelmäßig die Basis für neue belletristische Werke, Filme und Serien – die auch großen Erfolg haben. Man denke an Romane wie „Primary Colours“, der eine Geschichte um einen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten erzählt, der offensichtlich an Bill Clinton angelehnt ist. Die dänische Politikserie „Borgen“ war ein internationaler Überraschungserfolg und brachte uns das politische Leben Dänemarks näher, mit all seinen vermeintlichen Höhen und Tiefen. Selbst solche Comedyformate wie „Eichwald, MdB“ oder “Parlament” arbeiten mit dem Neid und der Missgunst, die angeblich zwischen Politikern herrschen würden.

Die weithin bekannteste neuere Geschichte über Intrige und Verrat, sogar Mord und Totschlag ist aber immer noch der Roman „House of Cards“ des Autors Michael Dobbs, auf dem nicht nur zwei sehr erfolgreiche Serien basieren, sondern von dem der frühere britische Premierminister John Major einmal sagte, er hätte das Gleiche für die Arbeit von Politikern getan, was der Roman Dracula für die Jobs von Babysittern getan hätte.

John Major wusste durchaus, wovon er sprach, da er selbst Teil der Geschichte wurde, auf der der Roman mittelbar beruhte. Darum soll es im Folgenden gehen.

Der Autor und seine Geschichte

Es war nämlich alles andere als selbstverständlich, dass der Roman überhaupt entstand und veröffentlicht wurde. Michael Dobbs kam erst spät zum Autorenberuf. Geboren 1948 als Sohn eines Gärtners schaffte er es an die University of Oxford und wurde Student am Christchurch College, einem der prestigeträchtigsten Colleges der Universität, aus dem nicht weniger als 13 britische Premierminister stammten. Nach seinem Abschluss in Philosophie, Politik und Wirtschaft, dem Elitestudiengang für angehende Politiker, wechselte er an die Tufts University in den USA und erlangte dort einen Master und schließlich ein Doktorat mit einer Arbeit zu den SALT-Abrüstungsverhandlungen und China.

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Offizielles Porträt von Michael Dobbs von 2022, Foto: Roger Harris, CC BY 3.0 DEED.

Er kehrte 1977 in das Vereinigte Königreich zurück und fing an, für die Konservative Partei zu arbeiten. So wurde er Berater der damaligen Oppositionsführerin Margaret Thatcher und ihr engster Mitarbeiter. Angeblich war er der erste, der Margaret Thatcher mitteilte, dass sie zur Premierministerin gewählt wurde. Diese Arbeitsbeziehung sollte sein berufliches Leben nachhaltig prägen. Nach dem konservativen Wahlsieg 1979 wurde er erst Redenschreiber, schließlich Berater der Premierministerin in Downing Street 10. 1986 wurde er letztlich Stabschef der Konservativen Partei. Dobbs war selbst zu dieser Zeit bereits im politischen London berüchtigt. Die liberale Zeitung The Guardian nannte ihn “Westminster’s babyface hitman”, also der Regierung harmlos wirkender Auftragskiller.

Die Entstehung von House of Cards

Über zehn Jahre hinweg lief die Zusammenarbeit zwischen Thatcher und Dobbs gut. Nun, wenige Wochen vor der Unterhauswahl im Jahr 1987, kam es zu einem Zerwürfnis. Thatcher gewann die Wahlen zwar deutlich, aber die Stellung von Dobbs war nicht mehr gesichert. Wie er selbst beschrieb, musste er sich nun Gedanken über seinen weiteren Lebensweg machen. Thatcher hatte ihm dazu sogar geraten.

Auf einem Urlaub mit seiner Frau begann er, seine Erlebnisse in der Politik zu verarbeiten, insbesondere seinen Rauswurf und den Ärger darüber, wie man mit ihm umgegangen war.. So stellte er sich die Frage, was passieren würde, wenn Thatcher aus dem Amt ausscheiden müsste. Damit war das grundlegende Setting für House of Cards geschaffen.

Die Geschichte

Erstausgabe von 1989, Foto: Wikimedia.

Die eigentliche Handlung dürfte in den Grundzügen den meisten bereits bekannt sein, nur hat sie in ihrer ursprünglichen Fassung einige besondere Facetten, die beispielsweise in der bekannteren amerikanischen Verfilmung nicht vorkommen. Hauptfigur ist der aus adligem Haus stammende langjährige Abgeordnete Francis Urquhart, seines Zeichens Chief Whip (Geschäftsführer und Disziplinierer) der regierenden konservativen Fraktion im Unterhaus des Vereinigten Königreichs. Nach dem Ausscheiden von Margaret Thatcher aus dem Amt  unterstützte er seinen Fraktionskollegen Henry Collingridge, der ihm dafür einen wichtigen Posten in seinem Kabinett versprach.

Als Collingridge neuer Premierminister wurde, verweigerte er jedoch seinem Unterstützer den versprochenen Posten und belässt ihn in seiner alten Rolle. Urquhart, der in den Augen seiner Kollegen stets ein loyaler und geradliniger Parlamentarier war, will diese Schmach nicht auf sich beruhen lassen und nimmt Rache. Mit Täuschungen, Intrigen und Verbrechen führt er erst den Sturz von Henry Collingridge herbei. Und bootet nacheinander alle anderen Kandidaten aus, die selbst auf den Stuhl des Premierministers wollen.

Auch wenn die Handlung natürlich fiktiv und zugespitzt ist und Dobbs verschiedene Anleihen von den historischen Schauspielen William Shakespeares übernahm, mutet die Geschichte an vielen Stellen zugleich seltsam modern an. Viele der beschriebenen Skandale meint man in abgewandelter Form aus der Politik zu kennen und die beschriebenen Dynamiken der britischen Parteiendemokratie werden erstaunlich akkurat wiedergegeben – man merkt, dass der Autor selbst lange Zeit Erfahrungen in der Politik sammeln konnte. Auch stilistisch tut sich das Buch mit einer einfachen, schnörkellosen und deutlichen Sprache und einem klaren Fokus hervor. In dieser Sprache wirkt die Handlung noch deutlich intensiver, da man sich alleine auf die Aktionen Urquharts beschränkt.

Das Erscheinen des Buchs und der Abgesang der Ära Thatcher

“House of Cards” erschien 1989 und war ein literarischer Erfolg. Bereits im darauf folgenden Jahr begann die BBC mit der Verfilmung des Buchs und die weitere Karriere von Michael Dobbs als Schriftsteller war gesichert.

Das Gleiche ließ sich jedoch nicht über die politische Karriere Margaret Thatchers sagen. Niemals eine unumstrittene Politikerin, schien sie 1987 auf dem Höhepunkt ihres politischen Erfolgs. Sie hatte zum dritten Mal in Folge eine Unterhauswahl gewonnen und schickte sich an, die längste Regierungszeit eines britischen Regierungschefs im 20. Jahrhundert zu haben.

Ab Sommer 1989 wurde ihre Situation jedoch zunehmend schwieriger. Im Streit um die britische Europapolitik versetzte sie ihren einflussreichen Außenminister Geoffrey Howe auf den in der Tagespolitik wenig bedeutenden Posten des stellvertretenden Premierministers. Im darauffolgenden Jahr waren die Umfragen für Thatcher sehr schlecht. Die oppositionelle Labour Party lag 14 Prozentpunkte vor Thatchers Konservativen und die Stimmung in der Partei wurde immer schwieriger. Am 01.11.1990 trat Geoffrey Howe von seinem Amt zurück und nahm bei seiner Abschiedsrede im Unterhaus Rache an Thatcher und griff ihre Europapolitik öffentlich an.

Nicht einmal zwei Wochen später erklärte der britische Umweltminister Michael Heseltine (man beachte, dass in House of Cards Thatchers Nachfolger Collingridge auch zuvor Umweltminister war) seine Kampfkandidatur gegen Thatcher um die Parteiführung und damit de facto auch um das Amt des Premierministers. Auch wenn Thatcher sich in einer Abstimmung in der Fraktion recht knapp gegen Heseltine durchsetzen konnte, war ihre Autorität dahin. Der nötigen zweiten Abstimmung stellte sie sich bereits nicht mehr. Am 28.11.1990 verließ sie Downing Street No. 10 unter Tränen zum letzten Mal.

House of Cards und die britische Politik

Was hat das nun mit House of Cards zu tun? Die erste Folge der BBC-Fassung lief 10 Tage vor dem Rücktritt Thatchers zum ersten Mal im Fernsehen. Die erste Szene zeigt einen am Schreibtisch sitzenden Francis Urquhart, der auf ein Portrait von Margaret Thatcher schaut. Er murmelt: “Nothing lasts forever” – “Nichts währt ewig” und legt das Bild falsch herum auf den Tisch, sodass man nur noch die Rückseite des Rahmens sieht. Daraufhin schaut Urquhart in die Kamera und lächelt. Damit konnte der Eindruck entstehen, dass die Serie unmittelbar mit den aktuellen politischen Ereignissen zu tun hatte. 

Auf House of Cards folgten noch zwei weitere Bücher um Francis Urquhart, “To play the king” und “The final cut”, die in den Folgejahren auch verfilmt wurden. 2013 erschien die erste Staffel der amerikanischen Fassung und machte das Buch und seine Geschichte einem deutlich breiteren Publikum bekannt. Fünf weitere Staffeln sollten folgen, die sich aber schnell immer weiter von der literarischen Vorlage entfernten.

Tatsächliche Politik mag manchmal so fragil wie ein Kartenhaus erscheinen, aber sie spiegelt nur in den seltensten Fällen die Abgründe wider, die man aus House of Cards kennt. Man könnte sicher die Frage aufwerfen, ob Geschichten wie House of Cards nicht auch in Teilen auf extreme Weise Vorurteile bedienen, die viele Menschen von der Politik haben.

Die Verbindung zur Wirklichkeit

Im Falle von House of Cards liegt die Faszination aber noch an einer anderen Stelle. Das Buch ist über seinen Autor und das Ende Margaret Thatchers auf eine Art und Weise mit der Wirklichkeit verbunden, wie man sie bei einem fiktiven Werk nur selten finden kann. Dabei bleibt es stets ein zutiefst britisch geprägtes Buch. Trotz allem Hohn für die zeitgenössische Politik strotzen die Bücher von einem tiefen Respekt gegenüber dem Land, seiner Kultur und seiner politischen Tradition.

Neben der spannenden Geschichte sind es gerade diese interessanten Aspekte, die das Buch und seine Verfilmungen noch heute als Lektüre lohnend machen. Und wenn Sie es noch nicht ausprobiert haben sollten, kann ich Ihnen nur empfehlen, sich jenseits der bekannteren US-Verfilmung auch einmal mit der Ursprungsfassung dieses Klassikers der politischen Fiktion zu beschäftigen.

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Über uns 
Björn Höfer ist Mitglied von Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. und promoviert in St Andrews und Potsdam im Bereich "Politischer Katholizismus zwischen Weimar und Bonn".

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