Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Eine Polizeitruppe als Sicherheitsrisiko

„Auf Anordnung des Berliner Polizei-Präsidenten ist die in Berlin stationierte Hundertschaft zur besonderen Verwendung am Freitag aufgelöst worden. Bekanntlich wurde diese Hundertschaft der verschiedendsten Vergehen beschuldigt.“

Das meldet der sozialdemokratische „Lübecker Volksbote“ am 21. November 1921.


„Mit der Auflösung der Hundertschaft ist ein Brandherd verschwunden, der monatelang eine Gefahr für die Republik und für die persönliche Sicherheit von Arbeiterführern bildete.“

Originalbildunterschrift: „Unterdrückungseinrichtungen gegen das Proletariat Polizeipräsidium am Alexanderplatz in Berlin, 1922“, Bundesarchiv (SAPMO) Bild Y 1- 551-396-74, Foto: o. Angabe

Der Kapp-Putsch und seine Folgen

Die militärisch organisierten und kasernierten Einheiten der Berliner Polizei gründeten sich im Frühjahr 1919 auf Initiative von hochrangigen Freikorpsangehörigen. Die sogenannte Sicherheitspolizei – SiPo (wegen der graugrünen Uniformen auch „grüne Polizei“ genannt) – sollte Schutz vor Unruhen und Umsturz gewähren. Zum besonderen Schutz des Regierungsviertels wurde innerhalb dieser SiPo die Hundertschaft zur besonderen Verwendung eingerichtet. Ihre Leitung übernahm Oberleutnant a. D. Walther Stennes.

Als jedoch während des Kapp-Putsches im Frühjahr 1920 Militärs versuchten, die Regierung zu stürzen, unterstützte die Berliner Sicherheitspolizei nicht die Regierung: Sie steht auf der Seite der Putschisten.

„[Dass] eine Mannschaft, die unter so schweren Anklagen steht, zum Schutz des Regierungsviertels eingesetzt werden soll, […] heißt […] den Bock zum Gärtner machen,“

bemerkte treffend das „Berliner Tageblatt“.

Originaltitel: Maifeier in Berlin. Trotz Verbots unter freiem Himmel zu demonstrieren, haben Kommunisten es doch versucht; wurden aber durch Eingreifen der Polizei daran gehindert. Grüne Polizei bewaffnet mit Karabiner und Gummiknüppel, säubert die Strasse „Unter den Linden“, 1. Mai 1924, Bundesarchiv Bild 102-00380, Foto: Georg Pahl

Trotzdem muss die Polizeitruppe nach der Niederschlagung des Kapp-Putsches keine Rechenschaft ablegen. Mehr noch: Der verantwortliche Polizeihauptmann Stennes konnte in den kommenden Monaten illegal, aber ungehindert umfangreiche Summen aus dem Budget der Hundertschaft abzweigen, um „politische Agenten“ anzustellen. Er wies den Kassenführer der Einheit Johannes Buchholz an, die dafür notwendigen Zahlungen vorzunehmen. Allem Anschein nach legte die Berliner Hundertschaft außerdem geheime Waffenlager an. Sie hortete beispielsweise Maschinengewehre, Flammenwerfer und Kanonen.

Eine Fememord in der Berliner Polizei

Im Juni 1921 kommen erste Details über diese Machenschaften ans Licht, als die Kriminalpolizei wegen eines Mordes ermittelt. Buchholz, der Kassenführer, ist umgebracht worden. Der Verdacht: Er wurde als Verräter mundtot gemacht.

Den letzten Anstoß zur Auflösung der Polizeitruppe gibt dann ein Vorfall, der sich im Februar 1921 ereignete und der im November vor Gericht kommt. Der 20-jährige Kaufmann Robert Dickfach war nach einem Abend mit Freunden auf dem Heimweg, als er eine Frau um Hilfe rufen hörte. Er sah, wie ein Mann auf die Frau einschlug und eilte ihr zu Hilfe. Dann erst bemerkte er, dass es sich um einen anscheinend angetrunkenen Polizisten handelte. Ein weiterer zu Hilfe gerufener Beamter unterstützte nicht den jungen Kaufmann, sondern seinen Polizeikollegen. Beide brachten Dickfach in die Kaserne der besagten Polizeitruppe, der Hundertschaft zur besonderen Verwendung.

Der Ort der Misshandlungen – die Schlosskaserne in Charlottenburg, Aufnahme vom 29.7.1962, Foto: Stiftung Stadtmuseum- Archiv Rolf Goetze

Misshandlung eines Couragierten

„Dort wurde Dickfach nach seiner Vernehmung in ein abgelegenes Zimmer geführt, in gemeinster Weise beschimpft und dann von einer größeren Zahl Schupobeamten mit einem Stock, mit Gummiknüppeln und mit zusammengedrehten nassen Handtüchern schwer mißhandelt.“

Dickfach wurde während der Misshandlungen mehrfach ohnmächtig. Die Polizisten zwangen ihn, ein Protokoll seiner angeblichen „Vernehmung“ unbesehen zu unterschreiben, bevor sie ihn gehen ließen. Doch der junge Mann ließ sich nicht einschüchtern. Er erstattete umgehend Anzeige gegen die Einheit und angesichts seiner sichtbaren Verletzungen wurde dem Vorfall auch nachgegangen.

Die Staatsanwaltschaft beantragt Freiheitsstrafen zwischen vier und 15 Monaten gegen fünf der Angeklagten. Tatsächlich erhalten nur drei Beamte Strafen. Die „Hundertschaft zur Verübung besonderer Verbrechen“, wie die linke Zeitung „Freiheit“ sie nennt, wird wenige Tage nach dem Urteil aufgelöst. Polizeihauptmann Stennes, der als führender Kopf die Gelder abgezweigt hatte, ist bereits seit dem Sommer suspendiert. Er scheidet aus dem Polizeidienst aus und wechselt zur „Schwarzen Reichswehr“. Ab 1927 übernimt er eine leitende Funktion bei der SA, der Sturmabteilung der NSDAP.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland.  

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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