Demokratiegeschichten

15.12.1961: Das Ende des Eichmann-Prozesses und der Schlussstrichmentalität

„Meine Schuld ist mein Gehorsam.“

Adolf Eichmann am 13.12.1961 in seinem Schlusswort

121 Sitzungen, vier Monate Beratung, dann steht am 15. Dezember 1961 das Urteil fest. Das Jerusalemer Bezirksgericht verurteilt Adolf Eichmann zum Tode. Er wird u.a. der Verbrechen gegen das jüdische Volk, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen schuldig gesprochen.

Eichmann: Schreibtischtäter der NS-Zeit

Adolf Eichmann war Obersturmbannführer und Referatsleiter für „Judenangelegenheiten“ im Reichssicherheitshauptamt. Dort war er ab 1940 u.a. zuständig für die Deportationen von Menschen jüdischen Glaubens und deren Ermordung in Konzentrations- und Vernichtungslagern. Eichmann selber war nicht aktiv an den Verbrechen beteiligt, aber plante und organisierte sie. Daher wurde für ihn – und einige Angeklagte der Auschwitz-Prozesse – der Begriff „Schreibtischtäter“ geprägt.

Doch wieso stand Eichmann in Israel, nicht in Deutschland, vor Gericht? Und wieso erst 1961?

Am Ende des Zweiten Weltkriegs kam Eichmann in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Jedoch log er über seine Identität und blieb unerkannt. Ein Jahr später gelang ihm die Flucht aus der amerikanischen Internierungshaft. Zwischen 1946-1950 lebte er mit gefälschten Papieren in Deutschland. Unter anderem als Holzarbeiter in der Lüneburger Heide. Dies gelang, weil viele Nationalsozialisten weiter auf freiem Fuß waren und ein Flucht- und Hilfsnetzwerk aufbauten.

1950 gelangte Eichmann über Italien nach Argentinien. Als Fluchthelfer dienten u.a. hochrangigie Angehörige der katholischen Kirche und Angestellte des Vatikans. Diese Fluchtroute war deshalb auch als „Klosterroute“, später als „Rattenlinie“ bekannt. Unter dem Namen Ricardo Klement lebte Eichmann nun in Buenos Aires, seine Familie folgte bald.

Die Entführung nach Israel

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Globke (v.l.) in Budapest 1941;
Bundesarchiv, Bild 146-2008-0038 / CC-BY-SA 3.0.

Wahrscheinlich wusste die Bundesregierung jahrelang, wo sich Eichmann befand. Doch stellte sie nie einen Auslieferungsantrag oder gab die Informationen weiter. Möglicherweise steckte dahinter die Angst, Eichmann könnte ehemalige Nationalsozialisten, die aktuell in der Regierung waren, belasten. Zu jenen zählte beispielsweise Hans Globke, Staatssekretär im Kanzleramt unter Konrad Adenauer.

Was auch immer der Grund zur Geheimhaltung war, die Information gelangte schließlich doch nach Israel. Fritz Bauer, damals hessischer Generalstaatsanwalt, informierte die israelischen Behörden über den Aufenhaltsort. Nachdem der israelische Geheimdienst Eichmann mehrere Monate beobachtet hatte, entführten sie ihn im Mai 1960 nach Israel. Entführung deshalb, weil zwischen Israel und Argentinien kein Auslieferungsabkommen bestand. Argentinien ließ seine Forderung nach Wiedergutmachung noch im Sommer 1960 fallen. So konnte die Prozessvorbereitung beginnen, das Hauptverfahren begann am 11. April 1961 in Jerusalem.

Berichterstattung in Deutschland

Adolf Eichmann während seines Prozesses in Jerusalem (Mai 1961).

Das Interesse am Prozess war enorm. Zuschauer:innen aus 38 Ländern, davon bis zu 80% der damals möglichen, schalteten am Fernseher zu. Besonders groß war das Interesse in Deutschland und Israel. Denn die Zeugenaussagen von Überlebenden trugen das Thema Holocaust erstmals ins öffentliche Bewusstsein.

Einen Großteil des Prozesses kann man noch heute auf einem eignes dafür eingerichteten youtube-Kanal ansehen.

In Westdeutschland war die nationalsozialistische Vergangenheit jahrelang tabuisiert. Als „Schlussstrichmentalität“ wird dieses Verhalten oft bezeichnet. Wenige NS-Führer – Hitler, Himmler, Heydrich – waren die Haupttäter, verantwortlich für die Massentötungen. Alle anderen waren nur „Gehilfen“ oder sogar genötigt, an den Verbrechen teilzunehmen. Hunderttausende entgingen so einer Verurteilung und integrierten sich in die Gesellschaft, als wäre nichts gewesen. Und schließlich, so sagte man, hätte auch die „deutsche Bevölkerung“ unter Krieg, Kriegsverbrechen, Hunger und Heimat gelitten. Prozesse gegen Kriegsverbrecher, ausgenommen die Nürnberger Prozesse, erhielten kaum Aufmerksamkeit.

Diese Mentalität änderte sich erst Ende der 50er-Jahre. Über den Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958 berichteten landesweit zahlreiche Medien. Zehn Angehörige des Einsatzkommando Tilsit waren angeklagt, zwischen Juni und September 1941 über 5.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer im litauisch-deutschen Grenzgebiet ermordet zu haben. Es war der erste große Prozess gegen NS-Täter vor einem deutschen Strafgericht. Auch sie wurden nur wegen Beihilfe zu gemeinschaftlichem Mord verurteilt. Doch wurde an ihrem Beispiel deutlich, dass eine systematische Ermittlungsarbeit notwendig war.

Die DDR hingegen sah sich als antifaschistischer Staat. Hier habe man den Faschismus und die Ideen des Nationalsozialismus vorbildlich beseitigt. Die Geschichte des Nationalsozialismus galt nicht mehr als Eigengeschichte. Dementsprechend wurde der Eichmann-Prozess dazu genutzt, die personelle Kontinuität ehemaliger Nazis in der BRD hervorzuheben und anzuklagen. Hans Globke, eben angesprochener Staatssekretär, stand im Fokus der Medien. Als im Prozess kein Material zur Diffamierung seiner Person oder der BRD aufkam, verlosch in der DDR-Berichterstattung das Interesse am Prozess.

Wahrnehmung in Israel

Nicht nur in Westdeutschland, auch in Israel fand ein Wandel in der Gesellschaft statt. Hier lebten viele Überlebende der Shoah, doch hatten sie über Jahre geschwiegen. Manche wollten nicht reden, andere konnten nicht.

File:Abba Kovner at Eichmann trial1961.jpg
Abba Kovner, ein Überlebender der Shoah in Litauen, während seiner Aussage;
 National Photo Collection of Israel.

„Vor dem Eichmann-Prozess war der Völkermord an den Juden in Israel weitgehend tabuisiert. Eltern sprachen nicht mit ihren Kindern darüber, die Kinder trauten sich nicht, Fragen zu stellen.“

Tom Segev in der Ausstellung »Der Eichmann-Prozess in Jerusalem«

Doch dies änderte sich mit dem Prozess. Laut dem Historiker Tom Segev hatte er für Israel eine Art therapeutische Funktion, welche den gesellschaftlichen Zusammenhalt und einen Generationenaustausch im Land förderte. Dies nicht zuletzt auch dank der Überlebenden und Zeug:innen, die vor Gericht aussagten.

Für Israel markierte der Eichmann-Prozess noch aus einem anderen Grund einen Wendepunkt. Bisher hatten alle großen NS-Prozesse unter Leitung der Alliierten stattgefunden. Doch nun klagte der noch junge Staat einen der Hauptverbrecher im eigenen Land an.

Eichmanns Argument geht nicht auf

Zum ersten und einzigen Mal verurteilte ein israelisches Gericht einen Angeklagten zum Tode. Eichmann wurde in allen Punkten für schuldig befunden. Seine Argumentation, er habe nur Befehle ausgeführt, andere seien verantwortlich, ging nicht auf.

Dass Gericht sah es als erwiesen an, dass er aus Überzeugung und ohne Gewissenskonflikt gehandelt hatte. Eichmann hätte entgegen seiner Verteidigung nicht nur Befehle ausgeführt, sondern auch selber Befehle veranlasst. Dabei habe er aus innerer Überzeugung gehandelt.

Auch frühere Aussagen von Angeklagten aus den Nürnberger Prozessen belasteten ihn. Das Gericht sah es deshalb als erwiesen an, dass er als treibende Kraft die „Endlösung der Judenfrage“ angestrebt habe.

Die Folgen des Prozess

Der Eichmann-Prozess gilt noch heute als ein Wendepunkt in der deutschen Erinnerungskultur. Denn er rief nicht nur 1961Kontroversen und politische Auseinandersetzungen hervor, sondern prägt bis heute die gesellschaftliche und wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Thematik. Tabus zu Reden wurden gebrochen. Spätestens durch die 68er-Bewegung war es mit dem Schweigen über die NS-Zeit dann vorbei.

In der Folge wurden in den Auschwitzprozessen und im Majdanek-Prozess in Deutschland ehemalige Wachmannschaften der Vernichtungslager in Auschwitz und Majdanek angeklagt. Die NS-Vergangenheit wurde auch Thema im deutschen und israelischen Schulunterricht und stieß eine intensive wissenschaftliche Erforschung an. Der Eichmann-Prozess und ähnliche Verfahren sollen bis in die Gegenwart[31] an den systematischen Massenmord erinnern und einer Verdrängung und Leugnung des Holocaust entgegenwirken.[32]

Auch in Literatur, Film und anderen Medien ist der Prozess präsent. Davon mit am bekanntesten wahrscheinlich das Buch Hannah Arendts: „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen„. Arendt war Jüdin und nach einer kurzen Inhaftierung durch die Gestapo 1933 aus Deutschland geflohen. Am Prozess nahm sie als Berichterstatterin für die Zeitung „New Yorker“ teil.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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