Demokratiegeschichten

Das Lied vom Kompromiß

Er lässt uns nicht los, der Kompromiss. Für und Wider haben wir bereits auf diesem Blog diskutiert. Zentral war stets die Frage, was der Kompromiss heute für uns bedeutet.

Nun präsentiere ich eine weitere Stimme, die sich vor 100 Jahren zum Thema äußerte: Im März 1919 veröffentlichte Kurt Tucholsky alias Kasper Hauser „Das Lied vom Kompromiß“ in der Berliner Zeitschrift „Die Weltbühne“.

(Übrigens existiert eine Vertonung, komponiert 1959 von Hanns Eisler, gesungen von Ernst Busch. Auch eine spannende Kombination, die eine Demokratiegeschichte wert wäre.)

Das Lied und Hintergrund


Manche tanzen manchmal wohl ein Tänzchen
immer um den heißen Brei herum,
kleine Schweine mit dem Ringelschwänzchen,
Bullen mit erschrecklichem Gebrumm.

http://erinnerungsort.de/lied/lied-vom-kompromiss-das-1919/

Nein, um eine Lobeshymne auf den Kompromiss handelt es sich bei Tucholskys Lied wahrlich nicht. Wenig schmeichelhaft kennzeichnete er die Politiker*innen der Weimarer Republik. Häme, vielleicht auch Verdruss wegen der politischen Situation, sprechen aus dem Lied.

Dass im Frühjahr 1919 nicht alles glatt lief, dürfte rückblickend verständlich sein. Novemberrevolution, Januarkämpfe, erste freie Wahlen, Bildung einer Nationalversammlung: Schlag auf Schlag folgten politische Neuerungen und Umbrüche. Die noch junge Weimarer Republik musste sich erst finden, vielleicht auch zur Ruhe kommen.

War es da nicht gut, dass sich einstige Gegner*innen erstmal vertrugen? Ihre Konflikte beiseite schoben, oder mit Tucholskys Worten:

Freundlich schaun die Schwarzen und die Roten,
die sich früher feindlich oft bedrohten.
Jeder wartet, wer zuerst es wagt,
bis der eine zu dem andern sagt:
„Schließen wir nen kleinen Kompromiß!
Davon hat man keine Kümmernis…“

Der unverstandene/unverständliche Kompromiss

Tatsächlich ist fraglich, wie viel Tucholsky mit dem Konzept des Kompromisses anfangen konnte.

Während zerstrittene Parteien nach einer Einigung heute stolz eine gemeinsame Lösung präsentieren, war das zu seiner Zeit noch anders. In Kaiserzeit und Weimarer Republik galt der Kompromiss als „undeutsch“. Man setzte sich durch, ganz oder gar nicht: Kompromisse waren etwas für Weicheier. Auch in der Politik.

Starken Entscheidern, die ihre politischen Ziele ohne Blick nach rechts und links verfolgten, galt der meiste Respekt. Und um genau so einen handelte es sich bei Reichspräsident Friedrich Ebert nicht.

Der versuchte stattdessen, alle politischen Lager an einen Verhandlungstisch zu bekommen. Ebert praktizierte als erster führender Politiker den Kompromiss. Und stieß damit häufig – wie man bei Tucholsky sieht – auf Unverständnis.

Rechts wird ganz wie früher lang gefackelt,
links kommt Papa Ebert angewackelt.
Wasch den Pelz, doch mach mich bloß nicht naß!

Vielleicht spielt noch ein Faktor in dieses Unverständnis mit ein. Nämlich die Angst davor, das gerade gewonnene – die Demokratie – wieder zu verlieren.

Zu viel Entgegenkommen – das kann auch dazu führen, dass man eigene Ziele und Prinzipien vernachlässigt. Und gerade in der frühen Weimarer Republik war noch nicht klar, wie sich die Demokratie entwickeln würde.

Und durch Deutschland geht ein tiefer Riß.
Dafür gibt es keinen Kompromiß!

Und die Moral aus der Geschichte?

In Tucholskys Lied vom Kompromiß kriegten Kompromiss-Schließer aller Seiten ihr Fett weg. Rechte, Linke, Rote, Schwarze.

Ich glaube, Tucholsky war den frisch gewählten Demokrat*innen der Weimarer Republik gegenüber nicht ganz fair. Denn diese standen vor der Riesenaufgabe, quasi aus dem Nichts ein demokratisches System aufzubauen. Und dass sie dies mit Vorsicht begannen, kann man ihnen kaum vorwerfen.

In einem Punkt wünsche ich mir auch heute von Politiker*innen Kompromisslosigkeit – im Bekenntnis zur Demokratie. Denn wie soll man jemandem eine demokratische Entscheidungsfindung zutrauen, wenn sie oder er nicht mal klar zu ihren Grundprinzipien Stellung beziehen kann?

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

2 Kommentare

  1. Dr. Alexander Erdmann

    22. August 2019 - 8:05
    Antworten

    Hier greift die Interpretation meines Erachtens etwas kurz. Durch den Textteil der letzten Strophe “ […] kommts, dass Ebert hin nach Holland geht, spricht er dort zu einer Majestät […]“ wird deutlich, dass es (auch) um den Kompromiss zwischen (Sozial-)Demokraten und Vertretern des untergegangenen Kaiserreichs ( Militär, Bürokratie, Justiz) gehen soll (Stichworte Ebert-Groener-Bündnis, Einsatz von Freikorps). Dass sozusagen die sich entwickelnde Demokratie ab November 1918 ein Kompromiss mit antidemokratischen Kräften ist, den Tucholsky scharf kritisiert.

  2. Dr. Alexander Erdmann

    22. August 2019 - 11:19
    Antworten

    Ich denke, dass diese Betrachtungsweise etwas verkürzt ist, da sie das historische Umfeld der Entstehung nicht genügend berücksichtigt: In zwei Strophen wird zu Beginn vom November gesprochen. Tucholsky bezieht sich hier auf die revolutionäre Entwicklung im November 1918, die eben nicht zu einer genügenden Demokratisierung in Deutschland geführt hat (Kontinuität des Kaiserreichs in Militär, Verwaltung, Justiz; sog. Ebert-Groener-Bündnis, Einsatz von republikanischen Freikorps). Deutlich wird Tucholskys Kritik meines Erachtens vor allem in zwei Textpassagen der letzten Strophe: „Seit November tanzt man Menuettchen, wo man schlagen, brennen, stürzen sollt […]“ sowie […] Sind die alten Herrn auch rot bebändert, deshalb hat sich nichts bei uns geändert, kommts, dass Ebert hin nach Holland geht, spricht er dort zu einer Majestät:[…]“.
    Meines Erachtens ist das Lied deswegen unter anderem als Kritik am Kompromiss (sozial)-demokratischer mit antidemokratischen Kräften aus dem Kaiserreich anzusehen.

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