Demokratiegeschichten

Ein Papst als Regimekiller. Zum 100. Geburtstag von Papst Johannes Paul II.

Im Sommer 1989 war ich 14 und reiste mit meiner Familie zehn Tage quer durch Polen. Und egal wo wir uns aufhielten, das Symbol der Solidarność-Bewegung und das Portrait des Papstes Johannes Paul II. schienen allgegenwärtig – als Plakat auf Marktplatzständen, in Fenstern, in Autoscheiben oder als Anstecknadel an der Jacke. Ich verstand wenig, aber ich spürte, dass in Polen etwas in vorwärtsdrängender, positiver Bewegung war. Schlussendlich kehrte ich mit den Ansteckern des Papstes und der Solidarność an meinem Rucksack aus dem Urlaub zurück. Erst später begriffen ich und Millionen andere Menschen die Tragweite dieser Allianz.

Ein Unbekannter wird zum Papst gekürt

Als am Abend des 16. Oktober 1978 der neugewählte Papst auf den Balkon der Petersbasilika tritt, ist der Applaus auf dem Petersplatz verhalten. Fern seiner polnischen Heimat kennt keiner den Erzbischof von Krakau Karol Woityła. Wie schwer sich die Kardinäle tun, einen Mann von jenseits des Eisernen Vorhangs zu wählen, lässt sich auch daran ablesen, dass erst im achten Wahlgang die erforderliche Mehrheit von mehr als zwei Dritteln der Stimmen zusammenkommt. Doch in ganz Polen läuten an jenem Abend die Glocken.

Karol Wojtyła wurde als erster Nicht-Italiener seit 1523 in Rom zum Papst gewählt. Mitten im Kalten Krieg zwischen Ost und West war das eine Sensation. Dieser Papst kam aus Polen in Mitteleuropa – aber gefühlt kam er für viele im Westen aus ganz großer Ferne.

Moskau sieht den polnischen Papst als Bedrohung

Doch was bedeutete die Wahl eines Polen zum Papst für den Ostblock? Die Regierungen in Moskau und Warschau waren erschrocken darüber, dass ein Pole Papst wurde. Denn sie fürchteten Folgen für die Stabilität des Ostblocks. Das Politbüro in Moskau sah den frisch gewählten Papst schon kurz nach seiner Wahl als Bedrohung für die sowjetische Herrschaft in Osteuropa an.

Und auch Lech Wałęsa,  der damalige polnische, oppositionelle Gewerkschaftsführer sagte später einmal, die Wahl dieses Papstes sei ein Tritt in den Unterleib des Kommunismus gewesen.

Ein Brückenbauer zwischen Ost und West. Von der römischen Kirche zur Weltkirche

Kurz nach seiner Wahl zum Papst rief Karol Wojtyła, nun Papst Johannes Paul II.,  der Menschenmenge auf dem Petersplatz die Worte zu: „Habt keine Angst, die Tore weit für Christus zu öffnen, fürchtet euch nicht!“ Dieser Satz wurde zum Programm eines Pontifikats, das wie wenige zuvor Kirche und Welt prägte.

Seinen Auftrag sah der polnische Papst darin, die Kirche ins neue Jahrtausend zu führen und ging mutig den Schritt von der römischen Kirche zur Weltkirche. In missionarischem Eifer reiste er um den Erdball und mahnte die Länder im Norden, den Süden nicht zu vergessen: „Der Mensch muss Vorrang haben vor dem Kapital.“ Weder seinen Antikommunismus noch seine Skepsis gegenüber dem Kapitalismus verbarg er hinter diplomatischen Floskeln.

Erste Polenreise 1979

Als der Papst im Juni 1979 das erste Mal nach Polen reiste, lag sein Heimatland noch hinter dem Eisernen Vorhang. Für Parteichef Eward Gierek eine verzwickte Situation, in der er nur verlieren konnte: Verweigerte er die Einreise, riskierte er international eine Blamage und im Inneren einen Volksaufstand. 95% der Polen waren katholisch. Stimmte er zu, waren die Folgen ebenfalls unabsehbar. Dennoch entschied Gierek sich allen Warnungen aus Moskau zum Trotz für den Papstbesuch – und versuchte ihn nach Kräften zu kanalisieren und davon zu profitieren. Doch schnell zeigte sich, wie schwer das war.

Erster Besuch des neugewählten Papstes in seiner Heimat Polen 1979. Foto: Wikipedia gemeinfrei

Bei seinem neuntägigen Besuch in Polen sahen gut 10 Millionen Menschen den Papst. Das war ¼ der polnischen Bevölkerung. Sie liefen ihm buchstäblich hinterher, denn es gab nicht genügend Züge und öffentliche Verkehrsmittel. Zwei Millionen Menschen strömten zum Abschlussgottesdienst des Papstes auf die Krakauer Wiesen. Die Partei konnte bei Aufmärschen zu Feiertagen gerade einmal 25.000 Menschen mobilisieren. Damit ist das Erschrecken der Parteiführungen auch in Moskau und Berlin vorstellbar.

Unmissverständliche Ermutigung

Die Schlussworte des Gottesdienstes in Krakau improvisierte der Papst. Und sie waren eine unmissverständliche Ermutigung vor einem langen, zähen Kampf:

„Ich bitte euch, verliert niemals das Vertrauen, lasst euch nicht niederschlagen und nicht entmutigen. Und ich bitte euch, niemals die Wurzeln zu kappen, aus denen wir entstanden sind. Ich bitte euch, traut euch, trotz all eurer Schwäche, eure Kraft bei dem zu suchen, bei dem schon so viele Generationen unserer Väter und Mütter sie gefunden haben. Trennt euch niemals von ihm! Verliert nie die Freiheit des Geistes, mit der er den Menschen befreit!“

Die ersten Polenreise des Papstes als Beginn des Endes des Ostblocks

Auch der Spiegel (Nr. 24/1979) berichtete auf drei Seiten über die erste Polenreise der Papstes. U.a. hieß es in dem Beitrag „… das Regime tat sich schwer, mit der Veranstaltung der frommen Konkurrenz zum Staat fertig zu werden.“ (S. 113)

Der Papstbesuch wird heute von vielen Historikern nicht nur in Polen als erster Schritt zum Sieg über den Kommunismus angesehen. Je nach Interpretation war es mehr das Verdienst Johannes Paul II. oder aber waren es die Polen selber, die während dieses Besuchs zum ersten Mal die Kraft der Massenbewegung erfuhren. Sie führte ein gutes Jahr später zum Streik der Danziger Werftarbeiter und infolgedessen zur Gründung der Solidarność, der ersten unabhängigen Gewerkschaft in Osteuropa.

Der Papst als Unterstützer der Solidarność

Verheerende Versorgungsmängel sorgten in der polnischen Bevölkerung für steigenden Unmut und führten im August 1980 zu einer massiven Streikwelle. In der Folge wurde die unabhängige Gewerkschaft Solidarność gegründet. Sie vereinte die bis dahin zersplitterte illegale demokratische Opposition und stellte die erste Organisation ihrer Art im gesamten Ostblock dar. Ihr gehörten Ende 1981 zehn Millionen Polen an.

Von Anfang an unterstützte der Papst Solidarność – ideell und finanziell. Er forderte die Anhänger der Bewegung immer wieder zur Solidität (polnisch „Solidarność“) untereinander auf. Dadurch hatte die gesamte Bewegung stets den Fürsprecher aus Rom dabei. Insofern hatte der Papst einen großen Einfluss. Als  im Sommer 1980 auf der Lenin-Werft in Danzig die Streiks begannen, hing das große Portrait des Papstes an den Toren der Werft. Zudem, so heißt es, unterstütze der Papst die Solidarność Bewegung mit Geld aus der Vatikanbank.

Solidarność bereitet den Weg der Revolution

Zwischen 1981 und  1989 war die Gewerkschaft Solidarność in Polen verboten. Jedoch bildeten sich im Ausland Exilgruppen der Solidarność. Durch die Gründung von Büros waren sie gewerkschaftlich-politisch aktiv und koordinierten ihre Arbeit untereinander. Nach der  Wiederanerkennung der Solidarność im April 1989 in Polen, wirkte sie entscheidend an der Revolution und den Reformen 1989 mit. Sie war die erfolgreichste unabhängige freie Gewerkschaft im ehemaligen Ostblock. Ohne ihr Vorbild im Jahr 1989 wären die Oppositionsbewegungen in der DDR und in allen anderen Blockländern wohl kaum mit jener Kraft und dem Glauben an das eigentlich Unmögliche durchgedrungen.

Und gleichwohl wäre der Erfolg der Gewerkschaft  Solidarność nicht ohne Johannes Paul II. möglich gewesen. Ebenso nicht der Fall des Eisernen Vorhangs und schließlich auch nicht der der Berliner Mauer. Nicht von ungefähr würdigte der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau „den großen Beitrag“ Johannes Pauls bei der Überwindung der deutschen Teilung.

Neue Biographie zum 100. Geburtstag

Vor 100 Jahren, am 18. Mai 1920, wurde Papst Johannes Paul II, bürgerlich Karol Józef Wojtyła, im polnischen Wadowice geboren. Zu diesem Anlass haben Matthias Drobinski und Thomas Urban, beide Journalisten der „Süddeutsche Zeitung“, eine neue Biografie geschrieben: „Der Papst, der aus dem Osten kam“. Sie zeigen einen politischen Papst und begutachten das kirchenpolitische Erbe.

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