Demokratiegeschichten

Luther – Ein Vorreiter der Demokratie?

„Luthers Lehre von den beiden Reichen, aufbauend auf den bekannten Ausspruch Jesu? Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist, hat dazu beigetragen, dass wir heute in Deutschland in einer freiheitlichen, pluralistischen Demokratie leben können.“

Wolfgang Schäuble, Präsident des deutschen Bundestages, 2017.

Dieses Zitat stammt aus einer Rede Wolfgang Schäubles aus dem Jahr 2017. Anlässlich des 500. Jahrestages der Reformation erhob der damalige Bundesfinanzminister Martin Luther zum Mitbegründer unserer Demokratie. Doch ist diese Aussage historisch tragbar? Welche Bedeutung nimmt dieser Tag, welche Bedeutung nimmt Martin Luther für unsere Demokratie ein?

Martin Luther

Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren. Er stammte aus recht wohlhabenden Verhältnissen, sein Vater Hans war Hüttenmeister. Folglich war es Luther möglich, eine umfassende Schulausbildung an der Magdeburger Domschule zu erhalten sowie ein Studium aufnehmen zu können. Er sollte – so der Plan seines Vaters – nach seinem Studium das Familienunternehmen leiten. Doch zur Umsetzung dieses Plans kam es nie. Martin Luther wurde am 2. Juli 1505 auf dem Heimweg von einem Gewitter überrascht. Der Erzählung nach war dies der entscheidende Moment in Luthers christlichem Leben: Er habe geschworen, Mönch zu werden, wenn die Naturgewalten ihn leben ließen.

Von Blitz und Donner verschont trat Martin Luther im Herbst 1505 in das Kloster der Augustiner-Eremiten in Erfurt ein. Hier durchlief er eine Ausbildung, die ihn bis zur Promotion zum „doctor theologiae“ und einer Professur in Wittenberg führt. Dort hielt er Vorlesungen, ab dem Jahr 1514 predigte er außerdem.

Sola Gratia

Doch Martin Luther war nicht in allen Punkten zufrieden mit der Arbeit der christlichen Kirche. Der Handel mit Ablassscheinen blühte und die Menschen waren aufgefordert, sich von ihren Sünden loszukaufen.

Das Bild eines rachsüchtigen Gottes, der Christen durch das Fegefeuer in Angst und Schrecken versetzte, widerstrebte Luther. Noch dazu sollten die Gläubigen ihre Sünden eben nicht durch intensiven Glauben und Sühne, sondern durch den Erwerb eines Scheins tilgen.

Die wenigsten Christen konnten die Bibel lesen und verstehen: Sie war auf Latein verfasst. Doch wie sollten die Menschen etwas glauben, das sie nicht verstehen konnten? Für Luther war klar, dass nur das Wort der Christusverkündung das Heil bedeuten konnte.

Seine Formel aus diesen Erkenntnissen lautete: „Sola gratia, sola fide, sola scriptura, solus Christus“. „Nur durch die Gnade, nur durch den Glauben, nur durch die Schrift und nur durch Christus“ können dem Menschen also seine Sünden verziehen werden.

Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte Luther schließlich seine 95 Thesen zum Ablasshandel. Er verschickte sie an verschiedene kirchliche Vertreter und schlug sie – der Erzählung nach – an das Hauptportal der Schlosskirche in Wittenberg.

Ein besseres Verständnis des Glaubens – mehr Mitsprache?

Die Äußerungen zum Ablasshandel und seine Kritik machten Martin Luther schnell zu einem Feindbild der Kirche. In der Öffentlichkeit erzeugten gerade seine reformatorischen Thesen einen großen Widerhall. Luther forderte ein staatliches Bildungswesen, Armenfürsorge, die Abschaffung des Zölibats und des Kirchenstaats. Außerdem vertrat er die Ansicht, alle Getauften gehörten zum Priestertum. Sie seien den Klerikern in keiner Hinsicht unterlegen. Nicht zuletzt übersetzte Martin Luther die Bibel vom griechischen Urtext in eine für alle Deutsche verständliche Sprache. Dies war zur damaligen Zeit keineswegs selbstverständlich, wurden doch regional differierende Dialekte gesprochen. Ein „Hochdeutsch“ existierte in dieser Form noch nicht.

War eine Spaltung der Kirche nicht Luthers Ziel, brachte seine Kritik eben diesen Stein ins Rollen. Mehr und mehr Menschen versammelten sich um seine Lehren. Mehr und mehr Fürsten bekannten sich zum Protestantismus. Die Menschen verstanden die Reformation als eine Chance, sich der Enge der katholischen Lehre zu entziehen.

Der „Deutsche Bauernkrieg“

Auch unter den Bauern hatte die Reformation entscheidende Wirkung. Ab 1524 kam es wiederholt zu Aufständen, die die menschenunwürdigen Verhältnisse für den „gemeinen Mann“ anprangerten. Der „Deutsche Bauernkrieg“ entbrannte. Dabei beriefen sich die Bauern auf Luthers Schriftprinzip sola scriptura: Sie verlangten die Aufhebung der Leibeigenschaft und mehr demokratische Grundrechte. Ihre Forderungen verfassten die Aufständischen in den „Zwölf Artikeln“.

Neben der Aufhebung der Leibeigenschaft, wollte man unter anderem die Pfarrer selbstständig wählen. Die Lebensbedingungen sollten verbessert werden, es sollte ein Recht auf Jagd und Fischfang sowie eine Beteiligung an der Abholzung der Wälder geben. Frondienste sollten reduziert werden. Die Fürsten und Herren reagierten jedoch mit Unverständnis und Hohn auf die Forderungen der Bauern.

So unverstanden in ihren Forderungen, bildeten sich aus den Bauern sogenannte „Haufen“: Sie zogen umher, plünderten Burgen und Klöster und übten auch zunehmend körperliche Gewalt aus.
Beriefen sich die Aufständischen zwar auf Luthers Thesen, wünschte dieser einen solchen weltlichen Wandel keines Falls. Er wies die Aufständischen in die Schranken:

„wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern […] man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“

Martin Luther über die aufständigen Bauern, 1525.

Ein unfreiwilliger Reformer

Tatsächlich veränderte sich durch die Reformation auf kirchlicher sowie auf weltlicher Ebene vieles.

Letztlich erfolgte eine Spaltung der christlichen Kirche. Die Forderungen der Reformer hatten sich zu weit weg von dem bewegt, was die katholische Kirche zu leisten bereit oder in der Lage war.

Durch die Übersetzung der Bibel wurde nicht nur eine erste Version eines „Hochdeutsch“ geschaffen. Ihr Druck und die Verbreitung anderer Schriften befeuerte den Buchdruck nachhaltig. Die Reformation trug folglich auch indirekt zum Ausbau von Druckmedien bei. Auch die Bauern fühlten sich durch die Schriften Luthers bestärkt, sich gegen die Leibeigenschaft zu erheben.

Somit wurde durch die Reformation durchaus eine Basis geschaffen, auf der sich langfristig eine freiheitlichere und demokratischere Gesellschaft entwickeln konnte.

Es bleibt festzuhalten, dass Martin Luther nur wenige dieser Entwicklungen intendiert hatte. Sein Ziel war es gewesen, zur „ursprünglichen evangelischen Wahrheit“ zurück zu kehren. Eine Spaltung der Kirche hatte er niemals forciert. Ebenso wenig strebte er die Veränderung der politischen Verhältnisse an. Ganz im Gegenteil: Er rief die aufständigen Bauern zur Ordnung.

Aus diesem Grund wäre Luther zwar ein Beitrag zu den Entwicklungen, die zu unserer Demokratie führten, zuzugestehen. Diesen leistete er jedoch beinahe unfreiwillig.

Ihn als Mitbegründer des freiheitlichen Denkens zu betrachten, wäre dementsprechend wohl etwas viel der Ehre.

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Über uns 
Michèle ist Studentin der Geschichtswissenschaften M.A. an der Humboldt-Universität Berlin und arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

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