Demokratiegeschichten

He, du Glückliche!

Knapp 30 Jahre nach Mauerfall und Wiedervereinigung präsentieren die Autorinnen 29 Lebensgeschichten ostdeutscher Frauen. Monika Stenzel und Ulrike Jackwerth interviewten für „He, du Glückliche!“ Frauen aus drei Generationen. Sie fragten die Frauen nach Glück, Heimat und wie diese die Veränderungen in und nach 1989 wahrnahmen. Dabei ist eine Sammlung beeindruckender Porträts und Erfahrungen herausgekommen.

Idee und Vorgänger

„He, du Glückliche! 29 Lebensgeschichten“ ist von einem anderen Buch inspiriert, dass vor über 40 Jahren erschien: „Guten Morgen, du Schöne“, 1977 veröffentlicht von Maxie Wander. Damals protokollierte die gebürtige Österreicherin Alltagserfahrungen von Frauen unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft in der DDR. Ihr Buch wurde sowohl in der DDR als auch in der BRD erfolgreich.

Zu dem Erfolg trug bei, dass Wander einen eigenen Schreibstill nutzte. Statt das Gesagte 1 zu 1 zu übernehmen, verdichtete sie die Gespräche und führte Ausdrucksweise, Gesten und Ton ihrer Gegenüber ein. So wurden die Interviews zu Literatur.

40 Jahre später

Stenzel und Jackwerth verfahren auf eine ähnliche Weise wie einst Wander. Auch sie verdichten die Interviews, wandeln diese in erzählte Geschichten um.

Die Erzählerinnen haben Charakter, beim Lesen schießen unweigerlich Bilder in den Kopf: Wie sehen sie aus? Wie die Häuser, Personen, Orte, von denen sie reden?

Was mir besonders an dem Buch gefallen hat: Es erzählt Geschichten von Frauen, die nicht auf ihr Ost-Sein reduziert werden. Die Ost-Identität klingt zwar immer wieder an, in unterschiedlicher Weise und Prägung. Für manche der Frauen hat die DDR weniger eine Rolle gespielt, deswegen taucht diese nur am Rande auf, wird in ein paar Sätzen abgehandelt. Für andere spielte sie doch eine größere Rolle: Etwa in Fluchtgeschichten, verschlossenen Möglichkeiten oder abgelehnten Reiseanträgen.

Egal, wie stark die DDR Thema in den einzelnen Geschichten ist: Das Reden über sie wirkt in keiner Erzählung erzwungen.

Vielmehr scheinen sich die Frauen selber zu fragen, inwiefern sie von ihrem Leben in der DDR geprägt sind.
Die Erzählerinnen trauern dem System weder hinterher, noch nahmen alle die neue Situation mit offenen Armen an. Das Leben ging weiter – trotz Umzügen, Kündigungen und Jobwechsel.

Insbesondere die Beziehungen zu anderen Menschen stehen im Fokus vieler Gespräche: Was lernte man von den Eltern? Wie verliefen Partnerschaften? Gründeten die Frauen Familien und was geben sie (und wollen sie) an die nächste Generation weiter?

Besonders spannend sind in diesem Zusammenhang die Erzählungen von verschiedenen Generationen aus derselben Familie. Teilweise folgen Berichte von Großmutter, Mutter und Enkelin aufeinander. Sie ergänzen oder kontrastieren sich, erzählen von derselben Ereignissen oder berichten von völlig unterschiedlichen Dingen.

Warum Demokratiegeschichte?

DDR und Demokratie(-geschichte) – passt das zusammen? Finden sich in diesem Buch Demokratiegeschichten?

Meiner Meinung nach ja.

Die Beiträge von „He, du Glückliche!“ zeigen etwas, was im Vorgängerwerk noch nicht möglich war: Nämlich den Blick nach hinten, kritische Reflexion. Private und gesellschaftliche (Um-) Brüche prägen die Biografien. Der Mauerfall 1989 wirkt als geteilte Erfahrung, die danach stattfindenden Veränderungen regen zum Nachdenken über das eigene Leben an: Welche neuen Möglichkeiten taten sich auf? Wie bewerten wir die Erlebnisse von damals in der Rückschau? Erzählen wir Geschichten von Erfolg? Oder auch von Niederlagen?

Vielleicht ist das ein kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten sehr gelungenen Buch. Eine Geschichte des Scheiterns findet sich unter den Biografien nicht. Auch, wenn einige der Erzählerinnen in ihrem Leben zahlreiche Rückschläge zu verkraften hatten. Wird dadurch das Buch unglaubwürdig, die Geschichte zu positiv eingefärbt?

Ich denke, dem ist nicht so. Schließlich beeinflussten die Autorinnen nicht, was die Frauen ihnen erzählten, sondern stellten nur Fragen. Und wenn auf diese überwiegend positiv geantwortet wird, zeigt das vor allem eins: Dass Stenzel und Jackwerth 29 starke Frauen gefunden haben, die erstaunlich offen und selbstbewusst über ihre Leben erzählen.

Infos zum Buch: Monika Stenzel/Ulrike Jackwerth
He, du Glückliche!
29 Lebensgeschichten; 16,00€
ISBN 978-3-96311-025-2

Artikel Drucken
Markiert in:
Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert