In unserer Themenreihe “Stets zu Diensten” veröffentlichen wir die Berichte von (ehemaligen) Zivildienstleistenden, Freiwilligen und Menschen, die einen Wehrersatzdienst geleistet haben.
Felix Münch, M.A., Politologe und Historiker, leitet das Referat NS-Gedenkstätten, Rechtsextremismus, Antisemitismus bei der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ).
Bei welcher Organisation haben Sie Ihren Freiwilligendienst getätigt und wann/wie lange?
Ich habe meinen Zivildienst bei der Arbeiterwohlfahrt in Gießen absolviert, und zwar nach meinem Abitur von Spätsommer 2001 bis Frühsommer 2002.
Was waren Ihre Aufgaben in der Organisation?
Ich war im Bereich „Mobile Dienste“ tätig. Im Rahmen meiner Aufgaben bin ich zu älteren Menschen oder Menschen mit Behinderung gefahren, die (noch) zuhause leben, und habe dort vor allem geputzt und eingekauft. Ein kleinerer Arbeitsanteil lag darin, mit Menschen aus dem Altenheim Fahrten zu tätigen, um einzukaufen oder Besorgungen und externe Arzttermine wahrzunehmen.
Warum haben Sie sich damals für den Zivildienst/für diese Dienststelle entschieden?
Ich wollte, auch in klarer Abgrenzung zum Wehrdienst, etwas Sinnvolles tun und Menschen helfen. Dem übergeordnet war mir wichtig, der Gesellschaft und dem deutschen Staat etwas zurückzugeben, was ich als Schüler und später als Student bekommen habe. Gleichzeitig hat mir das Jahr außerhalb formaler Bildungsstrukturen geholfen, mich perspektivisch auf mein Studium und andere, nach der Schule anstehende Lebensentscheidungen wie ein Wegzug aus dem heimischen Umfeld hin zu orientieren. Und natürlich war es angenehm, weiter zuhause wohnen zu können. Einen Auszug und einen Weggang aus der heimischen Region habe ich mir damals noch nicht zugetraut.
Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre Entscheidung zum Zivildienst reagiert?
Mein Umfeld hat sehr positiv reagiert, allerdings habe ich auch niemanden mit der Entscheidung für den Zivildienst überrascht. Die Verweigerung des Wehrdiensts war damals bereits nur noch eine Formsache, und fast alle jungen Männer in meinem Umfeld haben das ähnlich gemacht. Wer aus meinem näheren Umfeld noch „zum Bund“ gegangen ist, kann ich an einer Hand abzählen.
Haben Sie den Zivildienst als Zwang oder als Bereicherung wahrgenommen?
Strukturell war der Zivildienst natürlich erst einmal ein Zwang. Ich habe schon als Jugendlicher früh angefangen, nebenher zu arbeiten, aber eine stark reglementierte 40-Stunden-Woche in einer Tätigkeit mit hoher Eigenverantwortung, auch Details wie eine Stechkarte zur Arbeitszeiterfassung, waren für mich neu. Inhaltlich war der Zivildienst eine große Bereicherung und eine Aufgabe, an der ich gewachsen bin. Es war in Hinblick auf mein weiteres Leben die richtige Maßnahme zur richtigen Zeit – begründet und eingeleitet als Zwang, aber eine sehr gute Erfahrung.
Was haben Sie in Ihrer Zeit im Zivildienst gelernt? (Über die Tätigkeit und/oder über sich selbst)
Ich habe unzählige praktische Dinge gelernt, die ich hier nicht aufzählen kann. Allgemein lässt sich wahrscheinlich sagen, dass ich (und viele andere Zivis) nach der klar strukturierten Schule und einem beschützten und organisierten Leben im Elternhaus im Zivildienst erstmals selbstverantwortlich als Erwachsene gefordert waren.
Ich habe über Praktisches hinaus gelernt, eigenverantwortlich und strukturiert zu arbeiten und wichtige, auch belastende zwischenmenschliche Erfahrungen jenseits meiner Kernfamilie und meines Freundeskreises zu machen. Ich habe gelernt, dass das Dasein für viele alte Menschen und Menschen mit Behinderung nicht immer Friede-Freude-Eierkuchen ist. Und ich habe gelernt, dass der Staat und gemeinnützige Organisationen hier eine wichtige Funktion im Bereich von Care-Arbeit einnehmen, die unglaublich wichtig ist, durch engagierte Menschen ausgeführt werden muss, und die nicht rein marktwirtschaftlichen Parametern unterworfen werden kann und darf.
Haben Sie während Ihres Dienstes „Lektionen fürs Leben“ gelernt und falls ja, was waren diese?
Auch hier habe ich jeden Tag wichtige Dinge gelernt. Ich würde diese „Lektionen fürs Leben“ folgendermaßen zusammenfassen: Sei engagiert und aufgeschlossen, sei hilfsbereit und demütig. Es geht Dir vergleichsweise sehr gut.
Ein Moment, der bei mir hängengeblieben ist…
Die alte Dame, die wegen körperlicher Einschränkungen ins Altenheim gekommen ist, geistig aber noch voll auf der Höhe war. Die Familie wohnte weit weg, dort sei für sie kein Heimplatz auffindbar und auch kein Leben zuhause möglich. Sie klagte ihr Leid, sich im Altenheim mit niemandem austauschen zu können. Die Gespräche mit Editha haben mir viele neue Perspektiven eröffnet, und auch nach meinem Zivildienst habe ich Sie noch öfter abgeholt und sie gefahren. Vor allem an der geistigen Vereinsamung starb sie aber kurze Zeit später.
Hatte der Zivildienst Auswirkungen auf Ihren späteren Lebenslauf?
Ja, definitiv. Der Wille, Gesellschaft mitzugestalten und auch Eigeninteresse in manchen Lebenszusammenhängen zurückzustellen hat meine Studienwahl sowie mein politisches Engagement danach deutlich geprägt.
Wenn Sie heute wieder vor der Entscheidung ständen, würden Sie sich nochmal für den Zivildienst entscheiden?
Da bin ich mir unsicher. Selbstverständlich erfolgte die Entscheidung für den Zivildienst in einer Situation des staatlichen Zwangs, aber die positiven Resultate erkennt man oft erst Jahre später. Ich würde ein System eines verpflichtenden Zivildiensts für alle jungen Männer und Frauen nach der Schulzeit begrüßen. Solche Erfahrungen sollte jeder*r machen, möglichst früh im Leben.
Ein Rat für zukünftige Freiwillige…
Kommt aus der Komfortzone. Wählt Euch große, belastende, vielleicht sogar augenscheinlich erst einmal unangenehme Aufgaben aus – an ihnen wachst ihr am meisten!
Wenn ihr auch noch eine Geschichte zu erzählen habt, kommentiert unter den Beiträgen oder schreibt eine Mail an info@gegen-vergessen.de.
1 Kommentar
Mann, Waltraud
17. September 2021 - 16:35Lieber Felix Münch,
Ihr Beitrag als Ersatzdienst-Freiwilliger hat mich beeindruckt. Ich wünsche, dass ihn viele
junge Menschen lesen und darüber nachdenken, ebenfalls nach Abitur und Schulzeit,
etwas Sinnvolles und für ihr Leben Erweiterndes zu beginnen. Auch nicht vor einem
Freiwilligendienst im Ausland zurückzuschrecken. Denn im anderen Kulturbereich lernt
man sich mit seinen Fähigkeiten, die in einem schlummern, erst wirklich kennen und weiß
danach, in welche Richtung man sich beruflich wenden kann. Und es werden wunderbare
Begegnungen gerade durch einen solchen Dienst im Ausland geschenkt.
Felix Münch Sie sind mit Ihren verantwortungsvollen Aufgaben an dem Platz, der gerade in
D’land so wichtig ist! Ich wünsche Ihnen Mut und die Kraft, daran mitzuarbeiten, dass hier in
D’land Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit erfolgreich bekämpft werden!
Herzliche Grüße, Waltraud Mann