Demokratiegeschichten

Rosa Luxemburg – Sozialdemokratin, Revolutionärin, Jüdin, Frau

Rosa Luxemburg war vieles, was man zu ihrer Zeit besser nicht war: eine Revolutionärin, als Frauen noch nicht das Wahlrecht besaßen; eine Polin, als Polen geteilt war; eine Jüdin zu Zeiten wiederkehrender Pogrome; zusätzlich hinkte sie, weil das eine Bein nach einem frühen Hüftleiden kürzer geriet als das andere.

Herkunft und Werdegang

Das Elternhaus von Rosa Luxemburg in der Staszic-Straße 37 im ostpolnischen Zamość. Foto: Wikipedia gemeinfrei

Geboren wird sie am 5. März 1871 im polnischen Zamość, das damals zum russischen Zarenreich gehörte. Rosa wächst in einem bildungsbürgerlichen jüdischen Milieu auf, das Polnisch und Deutsch, aber nicht Jiddisch spricht und sich vom traditionellen Judentum abgrenzt. Aufgrund eines Hüftleidens als Kind hinkt sie zeitlebens. Die 16-jährige Rosa absolviert ihr Abitur als Jahrgangsbeste. Jedoch bekommt sie von der Schule nicht die ihr zustehende Goldmedaille, weil sie durch aufmüpfige politische Gedichte aufgefallen ist. Es folgen das Studium und die Promotion in Zürich, die ersten politischen Aktivitäten in der polnisch-russischen Sozialistenbewegung.

Neue Heimat Sozialdemokratie

1898 zieht Rosa Luxemburg aus der Schweiz nach Berlin. Durch eine Scheinehe bekommt sie die deutsche Staatsbürgerschaft und tritt unverzüglich in die SPD ein. Die SPD gilt in der Arbeiterbewegung zur damaligen Zeit als die fortschrittlichste sozialistische Partei Europas. Die junge Frau wird schnell bekannt in der europäischen Sozialdemokratie. Auf Kongressen geht sie keinem Streit aus dem Weg, hat vor Autoritäten nicht die geringste Angst und verfügt über enormes rhetorisches Talent. Oft muss sich die kleinwüchsige Frau bei ihren Reden auf einen Stuhl oder eine Obstkiste stellen, damit sie überhaupt vom Publikum gesehen wird.

Spaltung der Sozialdemokraten

Die deutsche Sozialdemokratie zerfällt jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts in zwei verfeindete Lager. Auf der einen Seite die, die eine Revolution zumindest theoretisch nicht ausschließen und an der Alleinherrschaft der arbeitenden Klasse festhalten – im marxistischen Jargon an der „Diktatur des Proletariats“. Auf der anderen Seite die sogenannten Revisionisten, die das erkämpfen wollen, was uns heute als Sozialstaat selbstverständlich erscheint: keine Revolution, sondern schrittweise Reformen, die das kapitalistische System nicht grundsätzlich in Frage stellen.

Bruch mit der SPD

Rosa Luxemburg hat ihren eigenen Kopf. Der Historiker und Luxemburg-Biograf Ernst Piper ist der Ansicht, Luxemburg lehnte die reformistische Position ebenso ab wie eine Revolution, die über Leichen geht: „Sie war die Anführerin des relativ kleinen linken Flügels, der sozusagen den Marxismus nicht nur immer auf den Lippen geführt hat, sondern das auch ernst nehmen wollte. Und dann kam es ab 1905 wirklich zunehmend zu Meinungsverschiedenheiten, etwa in der Frage des Massenstreiks, ob man von dem immer nur redet und ob er nur in Resolutionen vorkommen soll oder auch in der politischen Praxis.“ (Radiobeitrag SWR2 „Rosa Luxemburg und der humane Sozialismus“, 15.2.2019)

Die Spaltung der SPD 1914 im Streit über die Kriegskredite war für Luxemburg nach Einschätzung des Historikers Ernst Piper: „…die größte Katastrophe ihres Lebens. Alles, woran sie geglaubt hatte – der bedingungslose Internationalismus, die grundsätzliche Systemopposition, der kompromisslose Kampf gegen den Krieg –, war dahin. Sie, die sich in Deutschland nie besonders wohlgefühlt, aber geglaubt hatte, in der SPD eine Heimat gefunden zu haben, stand nach Jahren der wachsenden Entfremdung unversehens als eine Entwurzelte, eine Heimatlose da.“ (Ernst Piper: „Rosa Luxemburg. Ein Leben“, 2018.)

Diese Enttäuschung im Leben Rosa Luxemburgs zieht den Bruch mit der SPD nach sich. Mit anderen linken Kriegsgegnern gründet sie die Gruppe Internationale, aus welcher später der Spartakusbund hervorgeht.

Die Sehnsucht nach privatem Glück und Zweifel

Gelegentlich treiben Rosa Luxemburg Zweifel um, ob sie für die Politik oder nicht doch „zum Gänsehüten“ geboren worden sei. Sie wünscht sich ein Heim, ein Eheleben, ein Kind und die Verbindung mit der Natur. Aber ihre Leidenschaft treibt sie immer wieder in die Politik, auf die Straße, zu den Kundgebungen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, trägt sie Gedanken an Selbstmord mit sich herum. Ihre Heiterkeit, für die sie bekannt war, kommt tief aus einer zerrissenen, verletzten Seele. Sie fliegt Rosa Luxemburg nicht zu und muss stets aufs Neue erkämpft werden.

Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden

Ab Februar 1915 verbüßt Rosa Luxemburg eine Haftstrafe wegen Agitaion. Drei der vier Kriegsjahre verbringt sie in Haft. Im Gefängnis schreibt sie neben vielen Texten und Briefen im Sommer 1918 auch jene Sentenz, die sie unsterblich machte. Sie findet sich in einer Schrift über die Russische Revolution. Luxemburg will keine Revolution „von oben“, da sie Lenins Konzept einer Kaderpartei ablehnt.  Darum schreibt sie auf die bolschewistische Diktatur gemünzt, die nun ihre Genossen Lenin und Trotzki in Russland etablierten:

„Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“

Rosa Luxemburg: Die russische Revolution. Eine kritische Würdigung, Gesammelte Werke Band 4, Berlin 1920, S. 359.

Neuer Weg mit der Novemberrevolution 1918

Revolutionäre Soldaten mit der Roten Fahne am 9. November 1918 vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-B0527-0001-810 / Autor unbekannt / CC-BY-SA 3.0

Am 3. November 1918 meutern in Kiel Tausende Matrosen der Marine, bald gründen sich überall im Reich Arbeiter-und Soldatenräte. In der Hauptstadt Berlin streiken die Arbeiter, gehen zu Hunderttausenden auf die Straße und fordern den Rücktritt der Kaisers. Rote Fahnen bestimmen das Stadtbild. Am 9. November 1918 wird Rosa Luxemburg aus dem Gefängnis entlassen. Am selben Tag wird die Abdankung des Monarchen bekanntgegeben und der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann ruft die Republik aus. Zwei Stunden später proklamiert der Spartakist Karl Liebknecht die freie sozialistische Republik Deutschland. Die bisher zerstrittenen sozialdemokratischen Parteien SPD und USPD bilden unter dem SPD-Kanzler Friedrich Ebert eine Übergangsregierung. Diese will eine parlamentarische Demokratie, und wird vom Militär unterstützt. In Berlin beginnt ein Kampf um die Macht zwischen der provisorischen Regierung und den Räten. Und wo steht Rosa Luxemburg?

Der Historiker Ernst Piper schätzt ein, dass Rosa Luxemburg eigentlich für eine Dualität gewesen sei. „Aber sie war der Meinung, bevor eben die Sozialdemokraten, diese Regierungssozialisten, wie sie sie nannte, hier alles wieder abwürgen und das Feuer der Revolution austreten, bevor es überhaupt richtig zu lodern angefangen hat, wollen wir erst mal die Räteherrschaft etablieren. Und dann kann man später immer noch darüber nachdenken, ob man ein allgemeines Parlament wählt und versuchen das Parlament selbst als Agitationsbühne zu benutzen.“ (Radiobeitrag SWR2 „Rosa Luxemburg und der humane Sozialismus“, 15.2.2019)

Die letzten Lebensmonate

Nach der Haftentlassung fährt Rosa Luxemburg ins revolutionär bewegte Berlin, übernimmt die „Rote Fahne“, das Blatt des Spartakusbundes, und ruft zur Errichtung einer Diktatur des Proletariats auf. Sie plädierte für eine direkte Herrschaft der Arbeiter- und Soldatenräte, die sich in vielen Städten seit dem Aufstand der Matrosen in Kiel gebildet hatten. Ende Dezember 1918 gründen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht mit ihrer Spartakusgruppe die KPD als revolutionäre deutsche Kraft.

Anfang Januar 1919 gerät eine Demonstration von KPD und USPD außer Kontrolle. Bewaffnete Demonstranten besetzen die Druckereien des „Vorwärts“ und des „Berliner Tageblatts“, der Spartakusaufstand war ausgebrochen. Nach einigen Tagen bricht der Aufstand zusammen. Rosa Luxemburg steht nun ganz oben auf der schwarzen Liste der Militärs.

Stele zum Gedenken an die Ermordung Rosa Luxemburgs am Landwehrkanal in Berlin. Die „Rutsche“ steht als Symbol dafür, dass sie in den Landwehrkanal geworfen wurde. Foto: Wikipedia gemeinfrei

Am 15. Januar 1919 stöbern Mitglieder der Wilmersdorfer Bürgerwehr Rosa Luxemburg bei einem Genossen auf und verschleppen sie in das Hotel Eden in der Kurfürstenstraße. Als sie das Gebäude verlässt, erwartet sie ein Soldat, der ihr mit dem Gewehrkolben den Kopf einschlägt. Ihre Leiche wirft man von einer Brücke aus in den nahegelegenen Landwehrkanal. Nach über vier Monaten wird sie an einer Berliner Schleuse angeschwemmt.

Rosa Luxemburg – eine Demokratin?

Rosa Luxemburg wurde höchst unterschiedlich rezipiert; von manchen modernen Politikwissenschaftlern als konsequente Demokratiefeindin. Andere sehen sie als demokratische Sozialistin, als kommunistische Sozialistin, als verkannte Demokratin oder als Humanistin – es gibt eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten. In der DDR feierte die SED Rosa Luxemburg als „Heilige und Märtyrerin“. Dabei wurden ihre Ideen und Positionen in der Sowjetunion als „Abweichlertum“ und „Luxemburgismus“ verdammt. Der Luxemburg-Biograf Ernst Piper erklärt: „Rosa Luxemburg war keine Demokratin im klassischen Sinne, aber immer gegen terroristische Methoden wie in Russland.“ Oder man könnte es auch interpretieren wie die Süddeutsche Zeitung (14.1.2019): „Rosa Luxemburg war keine Demokratin im Sinne des Grundgesetzes.“

Ernst Piper: „Rosa Luxemburg. Ein Leben“, Blessing Verlag, 832 Seiten, 32 Euro. ISBN: 978-3-89667-540-8


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