Demokratiegeschichten

Warum Demokratien Vorbilder brauchen (I)

Aus dem Vorgenannten wird deutlich, dass eine Beschäftigung mit fremden Biografien nicht auf Bewunderung oder reine Nachahmung angelegt sein sollte. Orientierung, Verpflichtung, Ansporn sind Verhaltensweisen, die oft im Zusammenhang mit Vorbildern genannt werden.

Biografisches Lernen durch Lernen an Biografien ist eine permanente Denkbewegung von der fremden Biografie zur eigenen und umgekehrt bzw. nur reflexiv auf die eigene bezogen. Das Ziel ist, Positionierungen herauszufordern, Bedeutungszuschreibungen zu ermöglichen und Möglichkeitsräume zu eröffnen. Wichtig ist, noch einmal zu betonen, dass es hierbei nicht um die Gesamtpersönlichkeit, sondern um besondere Eigenschaften oder Handlungen geht.

Individuum, Gemeinschaft und System

Zu Beginn wurde darauf hingewiesen, dass der Prozess der Selbstentwicklung ohne die Orientierung an anderen Menschen kaum gelingen kann. Dass dieser Entwicklungsweg – das eingangs erwähnte Zusammenbinden verschiedenster Sinnfäden zu einer bunten, locker gestrickten Identitätsdecke – auf den Werten der Demokratie fußt, ist kein Naturgesetz, sondern Herausforderung und Aufgabe. Wer will, dass Menschen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in einem demokratischen Rechtsstaat agieren, sollte Bezugspunkte zwischen Werten, System und der individuellen Lebenswelt herstellen. In diesem Sinne können das Kennenlernen und die Beschäftigung von Menschen, die sich für demokratische Werte engagieren, hilfreich sein.

Eine Demokratie braucht Menschen, die sie mit leben füllen. Quelle: pixabay

Politische Bildung geht in ihrem Anspruch über die individuelle „Identitätsdecke“ hinaus. Sie stellt den Bezug zwischen Individuum, Gemeinschaft und politischem System her. Demokratie wird hier als Herrschafts-, Gesellschafts- und Lebensform verstanden. Ziel ist demnach die „Bildung zur demokratie-kompetenten Bürgerschaftlichkeit“. Damit wird die Vorstellung der „mündigen Bürgerin“ und des „mündigen Bürgers“ verbunden, die demokratisch eingestellt sind und danach politisch handeln.

Demokratische Haltung

Um den Weg in diese Richtung zu unterstützen, braucht es Impulse, die geeignet sind, Veränderungsprozesse auf den Ebenen der Einstellungen und der Handlungen anzustoßen. Zu diesen möglichen Impulsen kann auch die Auseinandersetzung mit vorbildhaftem Verhalten gehören. Solche Impulse können dazu beitragen, Demokratie in ihren verschiedenen Facetten zu verstehen, zu erleben, eine Haltung zu gewinnen und danach zu handeln. Verschiedene demokratiebejahende Einstellungen sollen sich zu einem größeren Ganzen bündeln, einem Bewusstsein für Demokratie. Dies kann dann als demokratische Haltung beschrieben werden. Eine solche ist mehr als eine Meinung, die man zu verschiedenen Themen hat:

„Eine Haltung liegt tiefer“, sagt der Politikjournalist Peter Lindner in einem Kommentar zur Gespaltenheit Deutschlands in der Süddeutschen Zeitung. „Sie grundiert die Persönlichkeit und ihre Sicht auf die Welt, sie spiegelt elementare Überzeugungen und verleiht Stabilität. Haltung zeigt sich vor allem dann, wenn sie sich bewähren muss, wenn sie auf Widerstand stößt. Das ist kräftezehrend, aber auch das heißt Haltung: durchhalten.“

Bezogen auf die Demokratie als Herrschaftsform bleibt die Beschreibung demokratischer Handlungskompetenz notgedrungen auf einem höheren Abstraktionsniveau. Jürgen Wiebecke hat aber eine wunderbar konkrete Form gefunden, die deutlich macht, dass Individuen ganz konkret auf der Ebene der Demokratie als Gesellschafts und Lebensform zu Handelnden werden können.

Quelle: pixabay

Handlungsleitende Regeln

Seine „Zehn Regeln für Demokratie-Retter“ beschreiben in liebenswerter Weise individuelle Möglichkeiten und Beiträge zur Stärkung der Demokratie in Deutschland:

  1. Liebe deine Stadt!
  2. Mache dir die Welt zum Dorf!
  3. Bleibe gelassen im Umgang mit Demokratie-Verächtern!
  4. Fürchte dich nicht vor rechten Schein-Riesen!
  5. Verliere nicht den Kontakt zu Menschen, die nicht deiner Meinung sind!
  6. Packe Probleme nicht in Watte!
  7. Verabschiede dich von der Attitüde, eigentlich gegen diese Gesellschaft zu sein!
  8. Warte nicht auf den großen Wurf!
  9. Wehre dich, wenn von „den“ Politikern die Rede ist!
  10. Verbinde Gelassenheit mit Leidenschaft!

Teil II dieses Beitrags erscheint am 14.10 und ist hier zu finden.

Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus der Publikation Vorbilder der Demokratiegeschichte. Handlungen und Einstellungen, die beeindrucken und Orientierung geben können. Diese und weitere Veröffentlichungen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. können kostenfrei in der Geschäftsstelle bestellt werden und stehen hier zum Download zur Verfügung.

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