Demokratiegeschichten

Warum Demokratien Vorbilder brauchen (II)

Herauszukommen aus einer Gleichgültigkeit ist eine große Aufgabe, bei der beispielhafte Biografien hilfreich sein können. Joachim Gauck verwendete in seinen Reden als Vorsitzender von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. und dann als Bundespräsident oft die Begriffe Ermutigung, Ansporn und Ermächtigung. Diese beschreiben auch gut den Nutzen, der aus der Beschäftigung mit Vorbildern gezogen werden kann.

Ermutigung

Joachim Gauck auf dem Historikertag in Göttingen (2014), Quelle: Ziko van Dijk,CC BY-SA 3.0

Gauck tritt dafür ein, auch den Teil der Geschichte nicht zu vergessen, der mit der Neugründung einer politischen Kultur der Freiheit, gelebter Verantwortung, Friedensfähigkeit und Solidarität zu tun hat. Dies versteht er ausdrücklich nicht als Paradigmenwechsel, sondern als Paradigmenergänzung in der Erinnerungspolitik. „Das, was mehrfach in der Vergangenheit gelungen ist, all die Herausforderungen der Zeit anzunehmen und sie nach besten Kräften – wenn auch nicht ideal – zu lösen, das ist eine große Ermutigung auch für uns in der Zukunft.“

Dass Ermutigung keineswegs als wohlige Selbstgefälligkeit zu verstehen ist, machte Gauck in seiner Rede zum Amtsantritt als Bundespräsident ebenfalls deutlich. Den „rechtsextremen Verächtern unserer Demokratie“ hielt er entgegen: „Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein, und unsere Demokratie wird leben.“ In vielen seiner Reden benannte Gauck „Vorbilder, aus denen wir Ermutigung und Ansporn ziehen können“.

Ansporn und Ermächtigung

Zum Bild des Ansporns passt auch das des Anstachelns. Demokratische Vorbilder können uns anstacheln, loszulegen, einfach mit dem Handeln zu beginnen. Aus dem Erspüren, dass etwas geht, kann ein Anfang erwachsen: „Aufstehen, Aufbrechen, Anzetteln.“ Joachim Gauck hat für diesen Prozess die Formulierung „Demokratie lernen und leben – als ständige Selbstermächtigung zur politischen Teilhabe“ gefunden.

In der sozialen Arbeit lautet der Fachbegriff „Empowerment“. Der Soziologe Norbert Herringer erklärt, was es dafür braucht:

Agency – die ersten, vielfach noch zögerlichen Schritte aus entmutigender Hilflosigkeit und die bestärkende Erfahrung von subjektiver Handlungsmacht – ist das notwendige Kapital, dessen Menschen mit Exklusionserfahrungen bedürfen, um auf die öffentliche Bühne politischer Selbstvertretung zu treten. Diese Erfahrungen von Selbstwirksamkeit im Kleinen schaffen Motivation und Kraft, Größeres zu bewegen.

Norbert Herriger: Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung, S. 87

Die Auseinandersetzung mit besonderem Verhalten kann Teil dieses Verstärkungsprozesses sein. Allerdings nicht auf der Ebene konkreter Selbsterfahrung, sondern auf der von innerer Auseinandersetzung und Reflexion. Doch was Empowerment ausmacht, können verschiedene Beispiele auf unterschiedlichen Ebenen verdeutlichen: besonderes Verhalten auf der individuellen Ebene, auf der Gruppenebene, der institutionellen Ebene und der Gemeindeebene. Ein geistiger Ansporn, der ermutigen kann, eine demokratische Haltung auszubilden und selbst zum handelnden Subjekt zu werden.

Veränderungen sind möglich

Aus der Beschäftigung mit Geschichte kann die Einsicht hervorgehen: Es gibt Alternativen zum „Jetzt und Hier“. Dies ist eine wichtige Erkenntnis, aus der eine innere Freiheit resultieren kann. Anstelle des Fatalismus „Man kann doch nichts machen“ kann das Gefühl von Wirkungsmächtigkeit befeuert werden. Der Blick auf die Geschichte zeigt, dass Menschen ihre Lebensverhältnisse verändern und gestalten können. Dies kann ein Antrieb für Engagement sein.

Der historische Fokus auf Demokratieentwicklung verdeutlicht, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Demokratie ist keine lineare Erfolgsgeschichte, sondern stets Entwicklung. Veränderung ist sowohl im Negativen als auch im Positiven möglich. Dafür gibt es Beispiele aus der Geschichte wie auch aus der Gegenwart.

Die Geschichte lehrt, dass es immer verschiedene Wege gibt, für die man sich entscheiden kann. Quelle: pixabay

Die Beschäftigung mit Demokratiegeschichte kann helfen, sich aktuellen Herausforderungen bewusster zu stellen. Dabei fällt dem Stichwort Handlungsoptionen eine Schlüsselfunktion zu. Geschichte wiederholt sich nicht und eine Eins-zu-Eins-Übernahme von Vorangegangenem scheint kaum geeignet, eine Lösung für Gegenwärtiges zu sein.

Demokratiegeschichte kann aber zeigen, dass es zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedliche Ansätze und Optionen gab. Dies im Hinterkopf zu haben, könnte auch im Vorfeld heutiger Entscheidungen hilfreich sein. So kann Demokratiegeschichte beim Abwägen und Bedenken unterstützen, ohne den Einzelnen die Bürde der Entscheidung abzunehmen. „Alternativlos“ sind Entscheidungen, wie oben beschrieben, nie. Ob die Bereitschaft zum Kompromiss oder das klare Durchfechten der eigenen Überzeugung der jeweils zielführende Ansatz für gegenwärtige politische Fragen ist, kann nicht generell, sondern nur im Einzelfall hinterfragt werden. Auf jeden Fall muss die getroffene Entscheidung kommuniziert und begründet werden.

Ein Spektrum an Handlungen

Viele Beispiele aus der Demokratiegeschichte zeigen das breite Spektrum von Handlungsoptionen in einer Demokratie. Dabei gibt es unter anderem solche, die etwas mit Kompromissfähigkeit und Lösungsorientierung zu tun haben. Dies kann gerade in Zeiten hilfreich sein, die zunehmend durch Unabdingbarkeit und Polarisierung gekennzeichnet sind. Heribert Prantl hat die Bedeutung des Kompromisses markant zusammengefasst:

Probleme moderner Gesellschaften löst man aber nicht mit einem Streich. Stärke in einer Demokratie sieht anders aus: Demokratie ist nicht das Zerhauen von Knoten, sondern ein mitunter sehr mühseliges Aufdröseln, ein langes, beharrliches, gemeinsames Zupfen und Ziehen. Das ist mühselig; aber am Ende sind die Schnürsenkel noch ganz – und brauchbar.

Heribert Prantl: Ein Hoch auf den Kompromiss

Es gibt auch eine andere Seite, faszinierende Beispiele aus der Geschichte, die verdeutlichen, dass konsequentes, unbeirrbares Verhalten – auch gegen alle Widerstände – letztlich zum Erfolg führte. Letztlich kann die Beschäftigung mit Demokratiegeschichte dabei helfen, „modellhaft Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Handelns“ deutlich zu machen. Zahlreiche Beispiele aus der Geschichte können unterschiedliche Handlungsoptionen vor Augen führen, die je nach zeitlichem Kontext erfolgreich oder nicht erfolgreich waren. Fatalismus und „Alternativlosigkeit“ steht damit ein Spektrum an Veränderungsmöglichkeiten gegenüber. Wünschenswert ist, dass aus dieser Reflexion auch konkretes Handeln erwächst.

Teil I dieses Beitrags ist hier zu finden.

Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus der Publikation Vorbilder der Demokratiegeschichte. Handlungen und Einstellungen, die beeindrucken und Orientierung geben können. Diese und weitere Veröffentlichungen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. können kostenfrei in der Geschäftsstelle bestellt werden und stehen hier zum Download zur Verfügung.

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