Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Das Attentat auf Matthias Erzberger

Am 27. August 1921 wiederholte der sozialdemokratische „Vorwärts“ eine Meldung vom vorangegangenen Abend:

„Heute Vormittag wurde Reichsfinanzminister a. D. Erzberger in der Nähe von Griesbach in Baden erschossen. Zwei Burschen traten ihm plötzlich in den Weg und gaben ihm zwölf Kugeln in den Kopf. Erzberger ist tot. Die Täter sind bisher unbekannt.“

Es folgte ein ausführlicher Bericht, der Ort und Geschehen schilderte und über das Motiv der Täter keinen Zweifel ließ. Einen Raubmord könne man ausschließen hieß es, und der Text war mit „Nationalistischer Mord“ betitelt. Zudem sah der „Vorwärts“ seine düsteren Vorahnungen bestätigt:

„Als wir vor zehn Wochen die Ermordung des unabhängigen Führers Gareis in München melden mußten, da schrieben wir: ‚Ein neuer Mord – und wahrscheinlich nicht der letzte – in der nicht abreißenden Reihe reaktionärer Gewalttaten.‘ Furchtbar schnell hat sich die Voraussage erfüllt […]. Gegen keinen Mann in Deutschland ist eine schamlosere und gemeinere Hetze entfaltet worden als gegen den ermordeten Erzberger. Man hat mit Hilfe korrumpierter Beamter seine Steuerakten gestohlen, man hat ihn grundlos des Meineids verdächtigt, man hat die niederträchtigsten Lügen über seine Person kolportiert, man hat ihm jedes Schlechte nachgesagt, man hat ihm persönlich die Verantwortung für jedes Unheil, für jeden Mißstand in die Schuhe geschoben. Und der Grund dieses Kesseltreibens war kein anderer, als daß Erzberger den Mut hatte, die Konsequenzen aus der Niederlage zu ziehen, in die ganz andere Männer und Kreise Deutschland hineingeführt hatten.“

Reaktionen der Republikfreunde

Der in Münster erscheinende „Westfälische Merkur“, eine katholisch ausgerichtete Zeitung, die Erzbergers Zentrumspartei nahe steht, schrieb einen Tag später, am 28. August 1921:

„Diese Tat ist der feigste und gemeinste politische Mord, wie ihn nicht nur die deutsche Geschichte, sondern auch die politische Geschichte aller Länder kennt. Wir fürchten, daß die blutige Saat, die hier ausgestreut worden ist, gräßliche Früchte zeitigen wird. Wehe denen, über deren Haupt dieses Blut kommt.“

Mathias Erzberger: Zur Ermordung des bekannten Politikers Erzberger in Griesbach; Foto: Bundesarchiv Bild 146-2020-003.

Ganz anders die Essener „Rheinisch-Westfälische Zeitung“. Sie stand der Schwerindustrie und der republikfeindlichen Rechten nahe und schrieb in ihrem Nachruf:

„Und wenn wir zurückblicken auf sein Leben, so müssen wir zu der Erkenntnis kommen, daß das Vaterland durch diesen Mann Schädigung um Schädigung erfuhr. Demgegenüber fallen die wenigen Verdienste gar nicht ins Gewicht. An diesen eisernen Tatsachen ist auch dann nicht zu rütteln, wenn dieser Mann ein frühes, gewaltsames Ende gefunden hat.“

Ähnlich, nur im Ton zurückhaltender, heißt es in der ebenfalls deutschnationalen „Berliner Börsen-Zeitung“:

„Aber wie immer die Zukunft über sein politisches Wirken entscheiden wird, der Name Erzberger bleibt für immer mit der dunkelsten Stunde deutscher Geschichte verknüpft. Er steht unter dem Waffenstillstandsvertrag, von dem die Entente, und vor allem Frankreich, den Sieg und wir die Niederlage datieren, und von dem der endlose Kampf seinen Ausgang nahm, der seither unseren gesamten inneren Verhältnissen seinen Stempel aufdrückt.“

Reaktionen von rechts

In nationalistischen und studentischen Kreisen ging man noch weiter. Dort feierte ein Reim die Attentäter als Helden – und bezog sich dabei auf ein verbreitetes Kirchenlied:

„Nun danket alle Gott

für diesen braven Mord.

Den Erzhalunken scharrt ihn ein,

heilig soll uns der Mörder sein,

die Fahne schwarz-weiß-rot.“

Schwarz-Weiß-Rot – das waren die Farben des Kaiserreichs. Diese Fahne auch nach 1918 zu feiern, war gleichbedeutend mit einer Kampfansage an die Republik und ihre Farben Schwarz-Rot-Gold.

Selbst der als gemäßigt geltende Vorsitzende der rechten Deutschnationalen Volkspartei Oskar Hergt verurteilte das Attentat. Vor allem deswegen, weil es Erzberger angeblich zum Märtyrer mache:

„Wären die Täter nicht jeder Vernunft bar gewesen, so hätten sie sich sagen müssen, daß sie denjenigen, den sie als Volksschädling beseitigen wollten, nicht zum Märtyrer machen und ihren Gegnern nicht die furchtbare Waffe der Volksverhetzung in die Hand drücken durften.“

In dieser Logik waren diejenigen „Volksverhetzer“, die sich für die Aufklärung des Attentates auf Erzberger einsetzten – und nicht diejenigen, die mit ihrer Rufmord-Kampagne das Klima erzeugt hatten, in dem es zu dem Mord gekommen war.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“.  

Zum Nachhören Folge 1+2.

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Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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