Demokratiegeschichten

FSJ in der Kultur: Ein Bericht aus dem Staatsarchiv Sigmaringen

In unserer Themenreihe “Stets zu Diensten” veröffentlichen wir die Berichte von (ehemaligen) Zivildienstleistenden, Freiwilligen und Menschen, die einen Wehrersatzdienst geleistet haben.

Raphael Schmid absolviert derzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr im Staatsarchiv Sigmaringen. 

Zuvor hat er ein Studium der Sonderpädagogik abgeschlossen.

Die meisten Menschen aus meinem Bekanntenkreis haben bereits nach dem Schulabschluss ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) genutzt. Etwa, um sich beruflich zu orientieren, neue Perspektiven zu finden und sich für das Gemeinwohl zu engagieren. Bei mir lief das ein wenig anders. Als ich im September 2020 mein FSJ in der Kultur im Staatsarchiv Sigmaringen antrat, war ich 25 Jahre alt und hatte bereits ein Studium der Sonderpädagogik abgeschlossen.

In meinem Umfeld kam schnell die Frage auf, warum ich mich am Ende dieses Lebensabschnitts – wo doch das Berufsleben in so greifbarer Nähe scheint – noch für einen Freiwilligendienst entschieden habe. Die Antwort war lapidar: Ich hatte das Bedürfnis, mich nach meinem Studienabschluss neu auszurichten. Mir war klar, dass Bildungsarbeit ein Teil meines späteren Berufes werden sollte. Spannend fand ich jedoch, eine Einrichtung kennenzulernen, welcher vielleicht kein originärer, aber doch ein indirekter Bildungsauftrag zugesprochen wird.

Da ich mein Interesse an geschichtlichen Themen nie verloren habe, schien mir ein Archiv als Gedächtnisinstitution dafür perfekt. Zudem fand ich das Tätigkeitsprofil für Freiwillige im Staatsarchiv Sigmaringen am besten geeignet, um das Archiv als Kultureinrichtung aus der Perspektive eines Mitarbeitenden näher kennenzulernen.

Meine Aufgaben im Staatsarchiv

Blick auf das Staatsarchiv Sigmaringen
Das Staatsarchiv Sigmaringen ist im so genannten Prinzenbau untergebracht; Foto: Landesarchiv Baden-Württemberg.

Doch wie gestaltete sich nun mein Alltag als FSJ’ler im Staatsarchiv Sigmaringen?

Ein Teil meiner Tätigkeiten war im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit angesiedelt. So habe ich neben Beiträgen für die Social-Media-Plattform Instagram und die Lokalpresse auch einen Artikel für das Publikationsorgan ‚Archivnachrichten‘ des Landesarchivs Baden-Württemberg beigesteuert. Darin habe ich anhand einschlägiger Archivalien und Literatur die Geschichte des Neubaus einer Synagoge aus dem 18. Jahrhundert in der Stadt Haigerloch ausgeführt. Anhand der Baupläne und des Schriftwechsels zwischen dem Oberamt und jüdischem Gemeindevorstand konnte ich gut rückverfolgen, wie zur damaligen Zeit ein Bauvorhaben bewerkstelligt wurde – was durchaus mit etlichen Hindernissen einhergehen konnte. Bei dieser Vorarbeit wurde Geschichte für mich richtig erlebbar. Solche einmaligen authentischen Schriftgüter findet man eben meist nur in Archiven.

Daneben unterstützte ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Staatsarchivs vor allem im Tagesgeschäft. Beispielsweise bei der Digitalisierung von Akten, der Aufsicht im Lesesaal oder der archivgerechten Verpackung von Akten.

Die größte Freude bereitete mir aber das Recherchieren in der großen Archivdatenbank. In dieser werden die Archivalien mit passenden Titelbezeichnungen verzeichnet und nach den Behörden, bei denen sie 2/2 entstanden sind, gegliedert sind. Wenn Historiker oder Doktoranden zu einem Forschungsthema nach relevanten Dokumenten suchten oder Bürger etwas über ihre Vorfahren herausfinden wollten, unterstützte ich sie bei der Recherche. Diese Aufgabe fand ich sehr reizvoll, weil man immer überlegen musste, bei welcher Institution in der Vergangenheit relevante Unterlagen angefallen sein könnten und wie sich Begrifflichkeiten im Laufe der Zeit verändert haben.

Corona: Archivpädagogik nur eingeschränkt möglich

Für gewöhnlich sind die FSJler auch in der Archivpädagogik eingesetzt, indem sie Besuchergruppen durch die Archivräume führen sowie Schülerinnen und Schüler bei Recherchen und der Quellenarbeit für Seminararbeiten unterstützen und beraten. Wegen der Maßnahmen zur Corona-Pandemiebekämpfung mussten diese spannenden Tätigkeiten während meines Jahres leider größtenteils pausieren.

Dennoch konnte ich einem Schüler bei seinen Recherchen helfen, der anlässlich des Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten nach historischen Unterlagen zum Turnverein seiner Heimatgemeinde suchte. Dabei ermittelte ich einige Dokumente zum Wiederaufleben des Vereinswesens im Rahmen des demokratischen Neuanfangs nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur.

Entwicklung eines eigenen Projekts

Die gewonnenen Eindrücke und Erfahrungen konnte ich in mein eigenverantwortliches Projekt einfließen lassen. Das FSJ in der Kultur bietet zudem eine Besonderheit. Man entwickelt als Freiwilliger eine Projektidee, die man entweder komplett oder in Teilen eigenverantwortlich plant, umsetzt und reflektiert. Hierzu habe ich ein Modul erstellt, um Schülerinnen und Schüler anhand des Themas »Auswanderung« mit dem Archiv vertraut zu machen. Dieses Modul umfasst eine Einführung ins Thema, eine Führung durch die Magazinräume im Archiv und eine Quellenarbeit als Ergebnissicherung. Dabei sollen die Schüler einen Eindruck davon bekommen, welchen persönlichen und behördlichen Aufwand Migration bereits in früheren Zeiten darstellte. Und welchen Stellenwert die Archivalien für die Forschung einnehmen.

Archive als Quellen

Da Archivgut insgesamt als Primärquelle einzigartig ist, bedarf es seines besonderen Schutzes, nicht zuletzt damit alle Interessierten das Verwaltungshandeln öffentlicher Einrichtungen nachvollziehen können. Daher kommt den Archiven in einer demokratischen Gesellschaft eine besondere Relevanz und Verantwortung zu. Wenn ich auf meinen Freiwilligendienst zurückblicke, so werte ich ihn als persönliche Bereicherung. Es gab so viele Möglichkeiten sich auszuprobieren.

Insbesondere im Bereich der historischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit konnte ich viele wertvolle Erfahrungen sammeln. So bildete den Schwerpunkt der letzten Monate meines FSJs die Assistenz bei der Planung einer Ausstellung; da habe ich in jeder Hinsicht viel für mich mitgenommen. Historisches Wissen, aber auch organisatorische und kommunikative Kompetenzen konnte ich vertiefen, da ich mit vielen Personen im direkten Dialog stehen durfte. Es gab für mich Herausforderungen, an denen ich in diesem Jahr wachsen konnte. Umso schöner, wenn nicht nur ich von meiner Freiwilligenarbeit in diesem Jahr profitiert habe, sondern auch die Einrichtung, und ich damit der Gesellschaft etwas zurückgeben konnte.

Wenn ihr auch noch eine Geschichte zu erzählen habt, kommentiert unter den Beiträgen oder schreibt eine Mail an info@gegen-vergessen.de.

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