Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Nationalistische Studenten

„Leipzig, 13. Febr. Vor dem ersten Strafsenat des Reichsgerichts begann heute der Prozeß gegen die Marburger Studenten, die beschuldigt sind, während der Kapptage Arbeiter mißhandelt und erschossen zu haben. Die Angeklagten sind seinerzeit von dem Kriegsgericht in Kassel freigesprochen worden, worauf der Rechtsanwalt Liebknecht den Antrag stellte, den Prozeß vor dem Reichsgericht weiterzuführen.

Leipzig, 14. Febr. In der Revisionsverhandlung über den Marburger Studentenprozeß wurde die Revision vom Reichsgericht verworfen.“

Die Morde von Mechterstädt, im März 1920

Der Prozess, von dem die „Bonner Zeitung“ am 14. Februar 1922 berichtet, befasst sich mit Ereignissen im März 1920. Am selben Tag fasst die Zeitung der Unabhängigen Sozialdemokratie, die „Freiheit“, zusammen, was damals in Thüringen geschah:

„Arbeiter, die sich zur Verteidigung der Republik gegen die Kappisten erhoben, werden als Rotarmisten von einer Marburger Studentengruppe, die sich der Reichswehr zum Kampfe – nicht gegen Kapp, sondern gegen die rote Flut – angeschlossen hatten, gefangen genommen. Unterwegs werden sie aufs grausamste mißhandelt, einige von ihnen erschossen.“

Insgesamt 15 Menschen haben die Mitglieder des „Studentenkorps Marburg“ – angeblich „auf der Flucht“ – erschossen. Dabei sind die Opfer mehrheitlich durch Kopfschüsse aus nächster Nähe hingerichtet worden. Die „Karlsruher Zeitung“ hatte schon anlässlich des Freispruches in Kassel im Dezember 1920 festgestellt:

Studenten vor dem Kriegsgericht

„Harmlose Menschen, Familienväter und halbe Kinder, die, selbst wenn sie entflohen wären, jederzeit wieder hätten verhaftet werden können, wurden in sinnlosem, mechanisiertem Gehorsam in den Straßengraben gestreckt. Frohe Soldatenlieder wurden angestimmt, neue Gefangene übernommen, um mißhandelt und mit Freiübungen geschunden zu werden. Ein selbstzufriedenes: ‚Die sind erledigt!‘ Das Gewissen war rein; man hatte nur seine Pflicht getan. […]

Als die Studenten nach Marburg zurückgekehrt waren, erklärten sie: ‚Wir hätten nicht fünfzehn, sondern fünfzig übern Haufen schießen sollen.‘ Man wollte gründliche Arbeit machen, und […] von nichts [ist man] so sehr durchdrungen wie von der überzeugenden Durchschlagskraft der Patrone.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Marburger Studenten durch besondere Brutalität auffallen. So berichtete die liberale „Frankfurter Zeitung“ am 22. Juli 1919:

„In Marburg und Gießen haben sich mehrfach Studenten Misshandlungen von Juden zuschulden kommen lassen. […] Es handelt sich hierbei nicht etwa um sporadische Ausbrüche einer Volksmenge, sondern um ganz planmäßige antisemitische Arbeit […].“

Die Stimmung an den Universitäten

Nicht nur in Marburg organisiert sich die Mehrzahl der Studenten in völkisch-nationalistischen Vereinen und Verbänden. Viele der aus dem Krieg Zurückgekehrten verhalten sich wie „Landsknechte“. In einigen Fakultäten – etwa Medizin – fordern die Studenten den Ausschluss von Juden vom Studium, weil sie „fremdvölkisch“ seien.

Die Bekämpfung von Demokratie und Republik ist unter den Studierenden Konsens, viele Professoren bestärken sie darin.

Originaltitel: Zum Generalstreik in Berlin. Schüler und Studenten meldeten sich in Massen während des Generalstreiks zur Technischen Nothilfe. Abfahrt derselben von einem Schulgebäude nach den städtischen Gaswerken, März 1920, Quelle: Bundesarchiv Bild 146 -1972-001-23, Foto: o. Angabe

Beim Kapp-Putsch, dem militärischen Staatsstreich gegen die Regierung im März 1920, schließen sich große Teile der organisierten Studenten den Putschisten an. Sie stehen Gewehr bei Fuß, als die Reichswehr gegen die angeblich marodierenden Arbeiter im benachbarten Thüringen ihre Unterstützung anfordert. Einer der Studenten notiert wenig später:

„Das war ein Bataillon der akademischen Jugend Marburgs, gebildet aus den so verschiedenen Korporationen, alle dem Rufe des in höchster Gefahr schwebenden Vaterlandes gefolgt, alle das kleinliche Gezänk vergessend, stark und einig in dem großen Verlangen, […] die Gemeinheit, die Korruption und die Lüge, die Empörung, den Aufruhr und räuberisches Banditentum zu ersticken. Dazu hatte man gerufen, dazu kamen sie alle gern und freudig, dazu setzten sie gern mit Aufbietung aller Kräfte zum mächtigen Stoße an, dazu opferten sie gern Ferien und kostbare Zeit, für ihr Vaterland waren sie noch bis auf den letzten Tropfen Blut bereit, dafür opferten sie gern alles.“

Bei diesem Einsatz verschleppen die studentischen Freikorps 15 politische Gegner und erschießen sie wenig später. Juristisch belangt werden sie nicht.

In Mechterstädt erinnert ein Gedenkstein an die ermordeten Arbeiter, 2010, Foto: Claus Thoemmes.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

2 Kommentare

  1. Ralf Hermes

    11. März 2022 - 13:49
    Antworten

    Danke für diesen Beitrag der dafür sorgt, dass solche Verbrechen nicht in Vergessenheit geraten.

    • Elke K.

      11. März 2022 - 15:08
      Antworten

      Lieber Herr Hermes,
      vielen Dank für Ihren Kommentar – verfolgen Sie unsere Reihe „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“ gerne weiter.
      Mit freundlichen Grüßen
      Elke Kimmel

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