Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Protestantismus und Republikfeindschaft

„Im Sonnenlicht eines neuen, frohen Tages haben wir uns das Ende des Krieges gedacht, erwünscht, erbeten. Im Dunkel der Nacht ist es gekommen. Die Fahne der Hohenzollern und der Wittelsbacher und der anderen Fürstengeschlechter ist gesunken. Das deutsche Volk selbst hat Bismarcks Erbe den Feinden ausgeliefert. Im Innern stehen wir vor unbekannten Entwicklungen. Die Trennung von Staat und Kirche ist angekündigt, die konfessionelle Schule sieht ihrem Begräbnis entgegen. Die Gegner des Christentums lenken zurzeit das Schiff des Staates. Dunkel hat sich über die deutsche Erde gelagert […].“

Sehr düster sind die Vorahnungen, die der Berliner Pastor Ernst Bunke nach der Abdankung der Monarchie im Dezember 1918 äußert.

Wurzeln der Republikfeindschaft

Originaltitel: „Generalsuperintendant Dibelius wird am 15.5.1930 50 Jahre alt.“, Quelle: Bundesarchiv Bild 183-R97775, Foto: o. Angabe

Die evangelische Kirche steht von Anfang an in einer feindseligen Distanz zur Republik. Mit der Revolution hat sie ihre führende Rolle im Staat verloren. Besonders in Preußen waren Kirche und Monarchie eng verbunden, jetzt ist der Monarch gestürzt. Einflussreiche Kirchenmänner hängen der Dolchstoßlegende an, nach der die Republik mit einem Verrat an der kämpfenden Truppe und am Vaterland entstanden sei. Während Bekenntnisse zur Republik als „politisch“ abgelehnt werden, sind nationalistische Feiern im kirchlichen Rahmen problemlos möglich. Die Berliner Zeitung „Der Westen“ berichtet von einer Fahnenweihe des deutschnationalen Nachwuchses im August 1921. Pastor Otto Dibelius habe seine Weiherede mit dem Aufruf beendet:

„Klar zum Gefecht! Für Deutschlands Freiheit und Recht! Für ein treues, freies, einiges Geschlecht!“

Auch die Reaktion auf die Weiherede ist protokolliert:

„Jubelnder Beifall dankte den prächtigen, kernigen Worten des beliebten Kanzelredners.“

Nach Pastor Dibelius spricht Admiral von Trotha, ehemaliger Flügeladjutant von Kaiser Wilhelm II.:

„In der Glaubensstärke und in der vaterländischen Tüchtigkeit der deutschen Jugend liegt die deutsche Zukunft. … Bis Gott den Tag schenkt, an dem die Fahne sich senkt als Ehrenbanner vor einem neu erstandenen Kaiserreich!“

Protestantismus und der Kampf gegen die „Schmutz- und Schundliteratur“

Pfarrer Otto Dibelius wie auch sein Amtskollege Reinhard Mumm gehören der republikfeindlichen Deutschnationalen Volkspartei an, der politischen Heimat vieler Protestanten. Pfarrer Mumm setzt sich im Reichstag besonders gegen die „Schmutz- und Schundliteratur“ ein. Beispielsweise fordert er die Einrichtung „schwarzer Listen“ für solche Publikationen. In Bremen und andernorts begleiten 1921 evangelische Pastoren Umzüge von Jugendlichen gegen Schundliteratur. Diese Umzüge enden mit der Verbrennung der „gefährlichen“ Bücher.

Genauere Definitionen von Schundliteratur fehlen an dieser Stelle. Allgemein verstehen die protestantischen Volkserzieher darunter

„Bücher und Hefte, die durch ihre wildphantastische Schreibweise die jugendliche Phantasie erregen, irreführen und überreizen“.

Was demgegenüber gute Literatur sei, verrät das evangelische Tageblatt „Aufwärts“: Es empfiehlt die Schriften von Paul Althaus, einem Pfarrer und überzeugten Antisemiten. Aber auch Bücher, in denen es um die Vermeidung der Weitergabe von vererbbaren Krankheiten geht und Huldigungsschriften über Kriegshelden.

Haltung zu den Deutschvölkischen

Vorbild für viele Pastoren: Adolf Stoecker, um 1880, Quelle: gemeinfrei.

Das Blatt steht in der Tradition des ehemaligen wilhelminischen Hofpredigers Adolf Stöcker. Es argumentiert im Sinne des Nationalprotestantismus, jener starken politischen Strömung, für die auch Dibelius und Mumm stehen. Eine Abgrenzung nach rechts gibt es dort kaum: Nicht wenige Pastoren engagieren sich im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund und treten auf den „Deutschen Tagen“ auf. In Berlin arbeitet das Evangelische Johannesstift zeitweise eng mit dem völkisch-antisemitischen Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband zusammen.

In der Potsdamer Garnisonkirche finden wiederholt Festgottesdienste für monarchistische Vereinigungen wie den „Stahlhelm“, den Alldeutschen Verband“ oder den „Bund Königin Luise“ statt. Im Januar 1921 feiern Kriegervereine mit Familienangehörigen des ehemaligen Kaisers in der Garnisonkirche den 50. Jahrestag der Reichsgründung. Dort wettert Prediger Johannes Vogel gegen die Demokratie:

„Welch ein Armenhaus und Irrenhaus! Welch ein Skandal in der ganzen Welt! Eine wahrhaft welthistorische Pleite!“

Schuld ist für Vogel und andere Prediger in der Garnisonkirche:

„Der Judas ist´ s im eigenen Lande, der uns verraten hat.“

1929 schreibt die „Deutsche Zeitung“ über einen Gottesdienst in der Garnisonkirche:

„Den Talar über der Stahlhelmuniform, das Eiserne Kreuz auf der Brust, so stand Pfarrer Schultze-Stolpe, dieser wehrhafte Verkünder des Wortes Gottes auf der Kanzel über der Gruft Friedrichs des Großen…“

1933 ist Otto Dibelius nicht der einzige evangelische Amtsträger, der den Machtantritt der Nationalsozialisten begrüßt und bekennt, er sei stets Antisemit gewesen.

Originaltitel (Zentralbild): Der „Tag von Potsdam“ am 21.3.1933 Die Eröffnung des am 5.3. gewählten Reichstages in der Garnisonkirche, zu Potsdam. U.B.z: Vor Eröffnung des chauvinistischen Staatsaktes begibt sich der Reichspräsident Paul von Hindenburg (links), begleitet von seinem Sohn und Adjutanten Oberst Oskar von Hindenburg und Staatssekretär Otto Meißner, zum Gottesdienst in der Nikolaikirche; von der Kirche wird er von Generalsuperintendant D. Dr. Otto Dibelius (rechts) empfangen. Quelle: Bundesarchiv Bild 183-R98655, Foto: o. Angabe.

Mehr Informationen:

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland

Beitrag zum Nachhören.

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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