Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord: Rechte Netzwerke

„Ich bin höchst erstaunt, in einigen Blättern Einzelheiten über monarchistische Umtriebe im Schloß Neubeuern und meine und meiner Frau Beteiligung daran zu finden. Dazu bemerke ich, daß weder ich noch meine Frau die Herren von Horthy, Ehrhardt und Pabst je gesehen, noch auch die geringsten mittelbaren oder unmittelbaren Beziehungen zu ihnen haben. Der Zufall will, daß ich trotz meiner mehrjährigen Tätigkeit für das Hauptquartier auch den Obersten Bauer nicht einmal von früher her persönlich kenne. […] Im Übrigen liegen meine Interessen seit 1918 auf wirtschaftlichem, nicht auf militärischem oder politischem Gebiet. “

Mit dieser Erklärung bestritt ein hochdekorierter Militär und Diplomat im „Rosenheimer Anzeiger“ am 22. September 1921, in die rechte Szene verwickelt zu sein. Hans Wolfgang von Herwarth arbeitete seit dem Ersten Weltkrieg als Verlagsleiter für den Räder-Verlag, der vor allem die Publikationen der Technischen Nothilfe verbreitete.

Schloss Neubeuern nahe Rosenheim: Im Ersten Weltkrieg wurde hier ein Lazarett eingerichtet, seit 1925 befindet sich hier ein Internat. Foto: gemeinfrei.

Hilfen im Geheimen …

Herwarth hatte nach dem 1920 gescheiterten Kapp-Putsch gute Gründe, sich von den genannten Männern zu distanzieren. Die von ihm genannten ehemaligen Reichswehroffiziere Hermann Ehrhardt, Waldemar Pabst und Max Bauer gehören zu den erklärten Feinden der Weimarer Republik. Wegen ihrer maßgeblichen Rolle beim Putsch wurden sie steckbrieflich gesucht. Politisch und geistig stand Herwarth ihnen trotzdem nahe. Als Publizist verteidigte er das „Deutschtum“, später, ab 1933, wird er sich gar für die „Rassereinheit“ begeistern.

1921 aber war offiziell auch in Bayern Vorsicht geboten. Hinter vorgehaltener Hand war indes bekannt, dass Neubeuern Schutz für „Verfolgte“ bot. Einige bedankten sich überschwänglich im Gästebuch des Schlosses, wie der Gründer der Einwohnerwehr Rudolf Kanzler am 20. Juni 1920:

„Herzl. Dank für wiederholt genossene Gastfreundschaft! Ganz besondere Freude bereitete mir die gestrige Erlegung eines guten Sechserbockes im Totenwöhr. Nach zweitägiger wohltätiger Ruhe
wieder auf zu rastloser Tätigkeit im Dienste des Vaterlandes.“

Kanzler kam im Spätherbst 1920 erneut nach Neubeuern und war wiederum angetan von seinem Aufenthalt:

„Am 23.XI.20 am Heuberg einen guten Gamsbock erlegt. Der
frdl. Gastgeberin und Jagdfrau herzlichen Dank “

Andere, wie der ehemalige Chef der Obersten Heeresleitung, Erich Ludendorff, kamen klammheimlich. Ludendorff war im März 1920 nach Bayern geflüchtet und hatte sich dort unter dem Schutz einer „Einwohnerwehr“ in Sicherheit gebracht. Anschließend ging es unter Umfahrung von Rosenheim weiter auf Herwarths Schloss. Angeblich habe sich Ludendorff nicht einmal der Schlossherrin mit seinem richtigen Namen vorgestellt, berichtete der „Vorwärts“.

… und ganz offen

Auf der einen Seite gab es Leute wie von Herwarth, der seine engen Verbindungen zur rechten Szene fast empört leugnete, auf der anderen Seite gab es aber auch Menschen im konservativen Lager, die öffentlich für ehemalige Freikorpsangehörige, Verschwörer und sogar Fememörder eintraten.

In Brandenburg residierte Wilhelm von Oppen auf Schloss Tornow in der Nähe von Buckow in der Mark. Von dort aus unterstützte er Angehörige des Freikorps Roßbach und bot ihnen einen willkommenen Rückzugsort ganz in der Nähe der Reichshauptstadt. Major a. D. Ernst Buchrucker und Oberleutnant a. D. Paul Schulz, organisierten von hier aus im Auftrag der Reichswehrführung ab Sommer 1921 sogenannte Arbeitskommandos. Aus diesen entstand ab 1923 die „Schwarze Reichswehr“, eine illegale Schattenarmee neben der legalen Reichswehr.

Problematischer noch, Buchrucker und Schulz entzogen sich zunehmend der Kontrolle der Reichswehrführung. Als diese Ende September 1923 Haftbefehl gegen die beiden ehemaligen Offiziere erließ, versuchte Buchrucker, die unter seinem Befehl stehenden Truppen in Küstrin gegen Berlin zu mobilisieren – allerdings erfolglos.

Folgen des gescheiterten Putsches

Die geheime Aufrüstung, die die Arbeitskommandos beim Einsammeln von verstreutem Kriegsgerät betrieben hatten, ließ sich nach dem Putsch nicht länger geheimhalten. Buchrucker wurde auf Schloss Tornow festgenommen. Selbst jetzt distanzierte sich Schlossherr Wilhelm von Oppen nicht von den Putschisten: weder von Buchrucker noch von Paul Schulz, dem Mann, der in den Arbeitskommandos für die Disziplinierung Abtrünniger zuständig war.

Paul Schulz in Offiziersuniform, 1918, Foto: gemeinfrei.

Schulz wurde 1927 wegen der von ihm befohlenen Fememorde zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde kurz darauf in eine Zuchthausstrafe abgemildert. Auch während der Haftzeit konnte Schulz auf Unterstützung durch seine nicht wenigen Fürsprecher bauen. Von Oppen etwa gründete im Juni 1928 die „Nationale Nothilfe“, als deren Ziel die Befreiung und Versorgung der wegen Fememords zu Zuchthaus Verurteilten angegeben wurde.

Die Aktivitäten von Oppens und zahlreicher Politiker der Deutschnationalen Volkspartei und der NSDAP zur Befreiung von Schulz zeigten Wirkung: „Feme-Schulz“ wurde im Frühjahr 1930 aus der Haft entlassen und gliederte sich wieder in die Reihen derer ein, die die Weimarer Republik bekämpften.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“.  

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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