Demokratiegeschichten

Vom Fahrdienst in die Förderschule

Vor 60 Jahren wurde der Zivildienst in der BRD eingeführt, 2011 traten die letzten Zivis ihren Dienst an. In unserer Themenreihe “Stets zu Diensten” veröffentlichen wir die Berichte von (ehemaligen) Zivildienstleistenden, Freiwilligen und Menschen, die einen Wehrersatzdienst geleistet haben.

Andreas Raab ist 45 Jahre alt und Förderschullehrer an einer Schule für sprachgestörte und verhaltensauffällige Kinder.

Wann haben Sie ihren Zivildienst gemacht und bei wem?

Träger war die AWO in Gießen. Ich begann meinen Zivildienst 1995. Dieser ging damals regulär 1 1/2 Jahre, aber ich verlängerte ihn auf zwei Jahre. Der Grund dafür war, dass der Zivildienst bis dato die beste Erfahrung war, die ich gemacht hatte. Ich durfte Verantwortung übernehmen, wurde sogar bezahlt und hatte zum ersten Mal etwas gefunden, wofür ich Talent hatte.

Was waren Ihre Aufgaben?

Offiziell war ich als Fahrdienst von einem Kinderzentrum angestellt. Das heißt, ich habe morgens Kinder zu ihren Schulen und Kindergärten gefahren und sie dann mittags wieder abgeholt.

Die Tätigkeit habe ich allerdings schnell erweitert: In vielen der Schulen nahe des Kinderzentrums habe ich in meiner Freizeit viel Zeit verbracht. Ich habe geholfen, Kinder zu betreuen, bin mit auf Ausflüge und Klassenfahrten gefahren. Der Fahrdienst lief dann irgendwann quasi nur noch nebenbei und ich war mehr mit der Betreuung der Kinder beschäftigt.

Wie sind Sie damals auf diese Stelle gekommen?

Das war gewissermaßen schon eine Familientradition. Mein Bruder war sechs Jahre zuvor bereits dort gewesen. Und unsere Oma war stark engagiert in der Arbeiterwohlfahrt, sie hat uns damals die Stellen besorgt.

Haben Sie die Entscheidung für diese Stelle als freiwillig empfunden oder war der Zivildienst für Sie ein Zwang?

Das habe ich damals nicht als Zwang wahrgenommen. Es war die Entscheidung, ob man zum Bund geht oder einen Zivildienst macht. Das gehörte einfach dazu. Die Schulpflicht wird schließlich auch nicht in Frage gestellt. Für mich und meine Freunde war von vorneherein klar, dass wir verweigern und nicht zum Bund gehen würden.

Was haben Sie an Ihrem Dienst am meisten als Bereicherung wahrgenommen?

Für mich war das die Arbeit mit Kindern.

Nach dem Abitur kann man ja alles etwas und nichts richtig. Durch den Zivildienst fand ich etwas, wofür ich Talent hatte und worauf ich aufbauen konnte. Im Studium und in der Ausbildung, außerdem hat es mir viel Spaß gemacht.

Zudem war es das erste Mal, dass ich Geld verdiente, das hatte ich bis dahin nicht. Und natürlich lernte ich viele neue, ganz unterschiedliche Leute kennen. Es war auch das erste Mal, dass ich mich in einem Dienstverhältnis befand: Vorschriften mussten beachtet, Urlaub eingereicht werden und ähnliches. Auch das hatte ich als Schüler nicht erfahren.

Ebenso wie die Übernahme von Verantwortung. Das ist nicht ohne, wenn man jeden Tag 60 Kilometer die Kinder von anderen Leuten durch die Gegend fährt.

Wie sah die Erweiterung der Aufgaben aus? Was haben Sie zusätzlich mit den Kindern gemacht?

Unter anderem habe ich pflegerische Aufgaben an einer Schule für Kinder mit körperlichen Behinderungen übernommen. Das waren Kinder, mit denen ich gut zurecht kam und deren Eltern sich wünschten, dass ich mehr an den Schulen eingesetzt würde. Neben den Pflegeaufgaben habe ich auch Ausflüge begleitet und war auch noch nach Ende des Zivildienstes auf einigen Klassenfahrten dabei.

Gibt es einen Moment, der bei Ihnen besonders hängen geblieben ist?

Da gibt es zwei Momente. Zum einen habe ich damals einen ganz besonderen Freund kennen gelernt, mit dem ich noch heute viel zu tun habe. Dieser Freund kann sehr gut Kopfkino herstellen und es gab da mal eine Geschichte, bei der wir uns beide vor Lachen gekugelt haben.

Aber am einschneidendsten war der Todes eines der Kinder. Der Tod gehörte zu der Arbeit dazu, da gerade auf der Schule für Körperbehinderte viele Kinder mit Krankheiten waren, die nicht heilbar waren. Die Kinder hatten dementsprechend oft keine lange Lebenserwartung.

Und das Kind, mit dem ich am engsten war, mit dessen Familie ich befreundet war und die mich zu Geburtstagen einluden, verstarb dann. Das musste ich verarbeiten und auch lernen, dass dies dazu gehörte. Es ist eben nicht alles „Friede, Freude, Eierkuchen“.

In Ihrem Berufsleben haben Sie auf Ihren Zivildienst aufgebaut, richtig?

Ja, ich habe damals die Fähigkeit, Beziehung zu den Kindern aufzubauen, entdeckt. Und das Menschenbild, dass man alle Menschen ernst nimmt, auch sehr kleine Kinder, und das man denen nichts vorspielt. Und dafür habe ich ein Talent, so kann ich sein.

Das macht mein tägliches Arbeiten aus. Tatsächlich ist das kein fachliches Wissen – das habe ich mir natürlich auch angeeignet – sondern ein Händchen, was man für diese Arbeit braucht.

Wenn Sie heute nochmal vor der Entscheidung von damals stünden, würden Sie diese nochmal so treffen?

Ich würde diese Entscheidung genauso nochmal treffen. Nur eine Sache würde ich ändern: Aus Kostengründen bin ich in meinem Elternhaus wohnen geblieben, statt ins Wohnheim zu ziehen. Das würde ich anders machen.

Was haben Sie in Ihrer Zeit im Zivildienst gelernt? Über sich, über andere, über Ihre Fähigkeiten?

Ich habe gemerkt, dass ich im sozialen Bereich gut aufgehoben bin. Und dass ich gut darin bin, Lernvoraussetzungen zu erkennen. Das bedeutet, dass man erkennt, was die Kinder schon an Fähigkeiten mitbringen, was sie noch lernen müssen etc.

Natürlich habe ich auch gelernt, wie man sich im Berufsleben behauptet. Das wusste ich vorher nicht, wie so etwas geht. Also, dass man für sich einstehen, aber manchmal auch einen Schritt zurücktreten muss. Wie man sich bewegt in einer Landschaft von Menschen, wo es auch welche gibt, die institutionell über einem stehen. Damit habe ich heute manchmal noch zu kämpfen. Denn ich bin etwas dörflich erzogen, d.h. man ist seinen Chefs gegenüber zurückhaltend und macht sich eher etwas kleiner. Aber so möchte ich eigentlich nicht sein und das fiel mit im Zivildienst tatsächlich leichter als im Berufsleben. Mit meiner Chefin damals war ich total auf Augenhöhe.

Ein Rat für zukünftige Freiwillige oder die, die sich noch nicht entschieden haben…

Denen, die sich noch nicht entschieden haben würde ich raten, das auf jeden Fall zu machen. Man entdeckt sich selbst neu in einem neuen Setting, was man vorher noch nicht kannte. Manchmal weiß man nach dem Zivildienst auch, was man nicht machen möchte. Aber auf jeden Fall hat man die Gelegenheit, in einem ganz wichtigen Sektor mal mitzuwirken.

Die, die sich schon entschieden haben, kann ich nur beglückwünschen. Und ihnen raten, für alle Menschen und Situationen offen zu bleiben. Nehmt alles mit, was sich euch in dieser Zeit bietet.

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