Demokratiegeschichten

7. März 1965: „Bloody Sunday“

Polizisten, die auf hilflose Menschen am Boden einschlagen. Tränengas, Knüppel, Verletzte. Das sind die Bilder, die am 7. März 1965 über die Fernseher der USA flackern. Sie bringen dem Tag den Namen „Bloody Sunday“ ein.

Die Vorgeschichte

Ort des Geschehens ist die Kleinstadt Selma in Alabama. Dort sind Anfang der 1960er Jahre mehr als die Hälfte der Bevölkerung Schwarze. Trotzdem waren von immerhin 15.000 wahlberechtigten Schwarzen nur 130 als Wähler:innen registriert.

Grund hierfür waren Gesetze, die die Wahlberechtigung an Steuerklasse, Alphabetisierung, Wissens – und Verständnistests knüpften. Wenn es Schwarze Bürger:innen schafften, alle Qualifikationen aufzubringen, stempelten viele Behörden sie trotzdem als Analphabeten ab – und versagten ihnen so das Wahlrecht.

Der Civil Rights Act von 1964 jedoch untersagte unter anderem die Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe und Rasse. Auch solche Tests, wie oben beschrieben, waren fortan verboten. Das Problem dabei: Nicht alle Orte hielten sich an das Verbot und blockierten die Aktionen der Bürgerrechtsbewegung. In Selma verbat beispielsweise ein Gericht der dortigen Bürgerrechtsorganisation, Veranstaltungen mit drei oder mehr Personen zu organisieren.

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Bürgerrechtler:innen beim „Marsch nach Washington“ im August 1963; Foto: gemeinfrei.

Doch die Bürgerrechtler:innen erhielten prominente Unterstützung: Ende Dezember 1964 schickte die Southern Christian Leadership Conference (SCLC) ein Organisationsteam nach Selma. Am 2. Januar 1965 hielt ihr Vorsitzender, Martin Luther King, einen Vortrag vor mehreren hundert Teilnehmenden.

Auch in benachbarten Verwaltungsbezirken fanden Kundgebungen, Einschreibungen und Demonstrationen statt. Bei einer solchen Bürgerrechtsdemonstration in Marion wurde ein junger Mann, Jimmy Lee Jackson, am 17. Februar von einem Staatspolizisten erschossen.

Der Marsch

Der am 7. März stattfindende Marsch von Selma nach Montgomery, die Hauptstadt Alabamas, ist eine Reaktion auf Jacksons Tod. In Montgomery soll der Protest fürs Wahlrecht dem Gouverneur von Alabama, George Wallace, direkt vorgetragen werden. Es ist unwahrscheinlich, dass Wallace, ein vehementer Anhänger der Rassentrennung, auf die Proteste hören wird. Er selber hat den angekündigten Marsch untersagt. Doch hier zählt nun auch die Geste: Selma steht mittlerweile im Zentrum der nationalen Aufmerksamkeit. Trotz des Verbots schließen sich etwa 600 Bürgerrechtler:innen dem 86 km langen Marsch in die Hauptstadt an.

Die Konfrontation zwischen Gouverneur George Wallace (li.) und dem US Attorney General Nicholas Katzenbach. Wallace weigerte sich, schwarze Studierende in die Universität einzulassen; Foto: gemeinfrei

Doch weit kommen sie nicht. Ihr Marsch endet bereits an der Edmund Pettus Bridge knapp außerhalb der Stadt. Auf der Brücke, die nach einem bekannten Anführer des Ku-Klux-Klans benannt ist, warten der Sheriff von Selma und die Landespolizei auf sie.

Hosea Williams, ein wichtiges Mitglied im SCLC, und John Lewis, Leiter des Student Nonviolent Coordinating Committee, führen die Protestierenden auf die Brücke. Etwa 15 Meter vor den Polizisten bleiben sie stehen. John Cloud, der Bürgermeister von Selma, fordert sie zum Umkehren auf. Er erinnert sie daran, dass die Versammlung nicht genehmigt:

This is an unlawful assembly. You have to disperse, you are ordered to disperse. Go home or go to your church. This march will not continue.

John Cloud nach History.com.

Die Eskalation

Ein weiteres Gespräch lehnt der Bürgermeister ab. Stattdessen rücken nun die Polizisten, mit Gasmasken und Knüppeln ausgestattet, vor. Lewis und Williams bleiben stehen und werden so als erste niedergeschlagen. Die Demonstranten werden zurückgedrängt und brutal verprügelt.

Menschen, am Boden liegend, wiederholt geschlagen und getreten. Wolken von Tränengas, wankende und nach Luft schnappende Gestalten, Verzweiflungsschreie. Und immer wieder Polizisten, die nachtreten, schlagen und Männer, Frauen und Kinder vor sich hertreiben.

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Polizisten greifen Protestierende an, 7. März 1965; Foto; gemeinfrei.

Bis zum Abend dauert es, dass die Filmrolle in New York ankommt. Von dort strahlt der Sender ABC die Bilder von dem Protest und seiner Niederschlagung aus. Er unterbricht dafür seine Ausstrahlung des Dramas „Judgement at Nuremberg“ – zu deutsch „Urteil von Nürnberg“. Ein Film, der auf dem Nürnberger Juristenprozess von 1947 beruht und auch den Holocaust behandelt. Für die etwa 50 Millionen Amerikaner:innen, die die TV-Premiere verfolgen, sind die historischen Echos frappierend.

„The juxtaposition struck like psychological lightning in American homes.“ – „Die Gegenüberstellung schlug wie ein psychologischer Blitz in amerikanischen Haushalten ein.“


Gene Roberts/ Hank Klibanoff, The Race Beat zitiert nach History.com.

Der „Blutige Sonntag“ und die Folgen

Die Bilder lassen den 7. März 1965 als „Blutigen Sonntag“ („Bloody Sunday) in die US-Geschichte eingehen. Die Geschehnisse in Selma und das Wahlrecht für Schwarze werden endgültig zum nationalen Thema.

Noch zwei weitere Märsche von Selma nach Montgomery wird es geben. Der zweite am 9. März scheitert wie der erste abermals an der Edmund-Pettus-Brücke. Diesmal kehren die Bürgerrechtler:innen allerdings um, bevor es zur Konfrontation mit der Polizei kommen kann. Der dritte Marsch am 21. März findet ungehindert statt, er war durch den zuständigen Richter des Distrikts genehmigt worden. Von Armee und Nationalgarde beschützt, treffen die Protestierenden am 25. März in Montgomery ein.

Teilnehmende des zweiten Marsches, links vorne James Reeb; Foto: gemeinfrei.

Die Geschehnisse in Selma führten zu einem Umschwung in der öffentlichen Meinung, die Befürwortenden der Rassengleichstellung gewannen deutlichen Auftrieb. Der „Voting Rights Act„, den Präsident Johnson noch im März in den Kongress einbringt, wird im August 1965 verabschiedet. Ein wichtiger Fortschritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung!

Mitbekommen haben diesen leider nicht alle, die an den Protesten beteiligt waren. Vorher, währenddessen und auch danach ermorden vornehmlich weiße Rassist:innen Schwarze, Bürgerrechtler:innen und Unterstützer:innen.

Neben Jimmy Lee Jackson, dessen Tod Anlass für den ersten Marsch war, sterben im Zusammenhang mit den Märschen zwei weitere Menschen. Der unitarische Geistliche James Reeb wird nach dem zweiten Marsch von Mitgliedern des Ku-Klux-Klan ermordet. Später werden die Täter von einer komplett weißen Jury freigesprochen. Am 25. März ermorden Mitglieder des Clans Viola Fauver Liuzzo, sie hatte Teilnehmende des dritten Marsches von Montgomery nach Selma zurückgefahren. Ihre Mörder wurden wegen „Verletzung ihrer Bürgerrechte“ zu zehn Jahren Haft verurteilt.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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