Demokratiegeschichten

Demokratie und Kindheit

Janusz Korczak

„Lass das sein!“, „Fass das nicht an!“, „Sei nicht so laut!“, „Wenn die Erwachsenen reden, dann bist du still!“. Diese Phrasen sind nur Beispiele dafür, was Kinder tagtäglich hören müssen. Ihnen wird beigebracht, sich den Erwachsenen nicht zu widersetzen. Die Älteren seien schlauer, weiser und überhaupt, was kann ein Kind schon wissen? Die Antwort auf diese Frage ist: Eine Menge. Manchmal ist es in der Tat sinnvoller, einem Kind zuzuhören, als einem Erwachsenen. In unserem heutigen Beitrag erzählen wir von dem Mann, der sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts mit Kindern und ihren Rechten befasste: Janusz Korczak.

Arzt, Pädagoge, Freund der Kinder und Literat

Janusz Korczak wurde am 22. Juli im Jahr 1878 oder 1879 in Warschau geboren. Sein Geburtsname war Henryk Goldszmit. Er wuchs in einem behüteten, gutbürgerlichen Elternhaus auf, das einer Strömung des aufgeklärten Judentums angehörte. Erst später wählte er für seine literarischen Arbeiten das Pseudonym „Janusz Korczak“, das ihm sein Leben lang erhalten blieb.

Seinen Hang zur Literatur drückte Korczak vor allem in Kinderbüchern und Kurzgeschichten aus. Obwohl er sich ab 1898 mit einem Studium der Medizin für die Laufbahn eines Arztes entschied, blieb ihm seine Kreativität erhalten. Letztendlich machten seine Romane ihn so bekannt, dass er zu einer Art „Modearzt“ avancierte. Doch seine Liebe galt den Kindern. So arbeitete er ehrenamtlich in den Armenvierteln als Lehrer.

Als ihm 1912 die Leitung eines neu errichteten jüdischen Waisenhauses angeboten wurde, gab Janusz Korczak seine Praxis als Arzt auf. Im „Dom Sierot“ (poln. „Waisenhaus“) genannten Haus konnte er endlich seiner Vision nachgehen: Korczak plante, eine Kinderrepublik zu verwirklichen.

Dom Sierot – Die Kinderrepublik

„Die Welt reformieren heißt, die Erziehung reformieren“

Janusz Korczak

Für den Pädagogen und Arzt Korczak waren Kinder nicht nur Gefäße, die durch die Vorstellungen ihrer Eltern gefüllt werden sollten. Ihm war es wichtig, ihnen Selbstständigkeit mitzugeben und sie in ihren Wünschen ernst zu nehmen. Entscheidend sei, so Korczak, dass Kinder sich frei entfalten könnten.

Entsprechend diesen Vorstellungen gestaltete er auch sein Waisenhaus. Zunächst richtete er ein „Kinderparlament“ ein, in dem die Kinder selbst wählen und die Gesetze für das Heim gestalten sollten. Über Verstöße gegen diese Gesetze sollte das „Kameradschaftsgericht“ entscheiden, dem ein (von Kindern) gewählter Richter oder eine Richterin, vorsaß. Berichten konnten die Kinder über die Vorgänge des Hauses in einer „Kinderzeitung“. Die Mitarbeiter des Dom Sierot mussten Neuigkeiten an einer „Anschlagtafel“ aushängen. So konnten die Kinder ihre Informationen selbst beschaffen. Es entstand eine Demokratie der Kinder.

„Dom Sierot“ ungefähr im Jahr 1935, Quelle: Wikipedia.

Der Erfolg seines partizipatorischen Modells gab Korczak Recht. Zeitweise lehrte er zusätzlich an der Universität, hatte eine eigene Radiosendung und eröffnete schließlich noch ein zweites Waisenhaus in Warschau: Das „Nasz Dom“ (poln. „Unser Haus“). Bis heute lassen sich viele Aspekte von Janusz Korczaks Konzepten in pädagogischen Modellen wiederfinden.

Gleichberechtigt bis zum Schluss

Mit dem Überfall der Deutschen auf Polen im Jahr 1939 änderte sich die Situation dramatisch. Schon vorher hatte es auch in Polen einen wachsenden Antisemitismus gegeben. Nun stiegen die Repressionen und Schikanen allerdings rasant an. Das Dom Sierot musste schließlich im Oktober 1940 in das Warschauer Ghetto umziehen. Korczak gelang es, Notizen zu den Zuständen dort zu machen. Sie wurden im Jahr 1958 durch Igor Newerly, einen Überlebenden der Konzentrationslager, veröffentlicht.

Am 5. August 1942 räumte die SS das Warschauer Ghetto. Obwohl sich Korczak mehrere Möglichkeiten boten, dem Abtransport zu entgehen, bestand er darauf, seine Kinder zu begleiten. Ihnen erzählte Janusz Korczak, sie würden in den Urlaub fahren. Er lässt die Kinder ihre besten Kleider anziehen, sich in Reihe aufstellen und marschierte singend zum Umschlagsplatz. So gelang es ihm, den Kindern ihre Angst zu nehmen. Die 200 Waisenkinder, seine engsten Mitarbeiter und Korczak selbst werden in die Transportzüge zum Vernichtungslager Treblinka gepfercht.

Heute vor 78 Jahren, am 6. August 1942, wird Janusz Korczak gemeinsam mit seinen Kindern in den Gaskammern von Treblinka getötet. Bis zum Schluss ließ sich der Pädagoge nicht davon abhalten, seine Waisen zu begleiten. Ihr Schicksal sollte auch Korczaks sein: Denn ihr Leben war ebenso viel wert, wie das seine.

Artikel Drucken
Über uns 
Michèle ist Studentin der Geschichtswissenschaften M.A. an der Humboldt-Universität Berlin und arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert