Demokratiegeschichten

Bitte in D-Mark!

Der 1. Juli vor 30 Jahren war kein wunderschöner Sommersonntag, sondern eher bewölkt und stellenweise regnerisch. So einiges war anders an diesem Sonntag. Am Morgen öffneten überall in Ostdeutschland die Banken. Es bildeten sich lange Schlangen. In der provisorischen Filiale der Deutschen Bank im „Haus der Elektroindustrie“ am Berliner Alexanderplatz öffnete sich die Tür sogar schon um 0.00 Uhr in der Nacht, begleitet von Raketen, Böllern und knallenden Sektkorken. Schon vor Mitternacht hielten die Scheiben des Geschäfts dem Druck der Menschen nicht mehr Stand und zerbrachen. Die Menschen feierten ausgelassen den ersten Umtausch von DDR-Mark in D-Mark. Die Währungsunion hatte begonnen.

Staatsvertrag mit Folgen

Am 1. Juli 1990 änderte sich für die Ostdeutschen nicht nur die Währung, sondern die gesamte Wirtschafts- und Sozialordnung. Grundlage dieses tiefgreifenden Transformationsprozesses war der am 18. Mai unterzeichnete Staatsvertrag zwischen DDR und BRD, der am 1. Juli in Kraft trat. Somit löste die DM die DDR-Mark und die Soziale Marktwirtschaft die Planwirtschaft ab. Damit verbunden war die Übernahme der bundesdeutschen Sozialversicherung und der Anspruch auf Sozialhilfe. Außerdem wurde die bundesdeutsche Arbeitsrechtsordnung, die z.B. Streikrecht, Betriebsverfassung, Kündigungsschutz, betriebliche Mitbestimmung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beinhaltet, auf das Gebiet der DDR ausgedehnt und das bundesdeutsche Steuer- und Zollrecht eingeführt.

Freier Grenzverkehr

Sofort spürbar für die DDR-Bürger*innen war der Wegfall der Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze ab dem 1. Juli. Nun konnten sich Ost- und Westdeutsche unkontrolliert zwischen beiden deutschen Staaten hin und her bewegen, die Grenze verlor an Bedeutung. Viele andere Veränderungen des Rechts-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystems wurden erst in den folgenden Wochen und Monaten spürbar.

Katerstimmung in der DDR-Wirtschaft

Die Euphorie der ersten Julitage verflog schnell.
Die Wirtschaftsunion wurde für viele zum Schockerlebnis. Die Preise für Lebensmittel verdoppelten und verdreifachten sich. Günstige Ostprodukte verschwanden vielerorts aus den Regalen, weil die Kund*innen nur noch Ware aus dem Westen haben wollten. Aber nicht nur zu Hause, sondern auch in den osteuropäischen Ländern ging die Nachfrage nach DDR-Produkten drastisch zurück. Der internationalen Konkurrenz waren die meisten DDR-Betriebe nicht gewachsen. Die Öffnung der DDR-Wirtschaft zum Weltmarkt führte daher binnen kürzester Zeit zu ihrem völligen Zusammenbruch, hohe Arbeitslosigkeit war die Folge.

Und nach 30 Jahren?

Ging also alles viel zu schnell damals im Juli? Wollte man zu viel auf einmal? Vielleicht schon, aber andererseits drängte die Zeit – und die Menschen. „Kommt die D-Mark, bleiben wir – kommt sie nicht, gehen wir zu ihr!“ skandierten viele. Und nur die D-Mark ohne Wirtschafts- und Sozialunion? Auch von heute aus kaum denkbar. Die im Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 enthaltenen Regelungen waren ein unvermeidliches Element der deutschen Einigung – und die wollten die meisten Deutschen so schnell wie möglich. Kaum einer ahnte damals, wie mühsam der Transformationsprozess noch werden würde und dass er auch heute, 30 Jahre nach 1990, noch nicht abgeschlossen ist.

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Über uns 
Dennis R. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V.

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