Demokratiegeschichten

Demokratiegeschichte und Rechtspopulismus

Demokratiegeschichte und Rechtpopulismus – passt das überhaupt zusammen, könnte man sich fragen. Ja es passt. Oder vielmehr, es wird passend gemacht. In Deutschland gibt es zunehmend rechtspopulistische Versuche, die Geschichte der Freiheits- und Demokratiebewegung aufzugreifen und in einem eigenen Sinn zu interpretieren.

Um diese Vereinnahmung von Demokratiegeschichte begreifbar und sichtbar zu machen, hat Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. den Band Vereinnahmung von Demokratiegeschichte durch Rechtspopulismus veröffentlicht. Autorinnen und Autoren schreiben über verschiedene Aspekte der rechtspopulistischen Übernahme von Demokratiegeschichte.

Der Gebrauch von Geschichte im aktuellen Rechtspopulismus

Der Historiker Michael Sturm nimmt in seinem Beitrag das Geschichtsverständnis der AfD unter die Lupe. Er untersucht die zentralen Narrative, Topoi und Mythen. Sturm schlussfolgert, dass es der AfD in ihrer Geschichtspolitik vor allem um eines geht: Die Rhetorik der parteizentralen Begriffe „Volk“, „Nation“ und „Kultur“ als Einheit zu präsentieren und diese mit scheinbar historischen Argumenten zu legitimeren. Damit wird die Geschichte vielmehr für einen „Kulturkampf“ in Stellung gebracht. Das exklusiv gedachte Gemeinschaftskonzept der AfD steht gegen ein plurales, inklusives Geschichtsverständnis.

Der Autor identifiziert fünf charakteristische Aspekte – und erörtert sie ausführlich –, die das Geschichtsverständnis der AfD prägen:

  1. Semantik des Niedergangs bzw. ein tiefsitzender Kulturpessimismus
  2. Ein exklusiver Volksbegriff
  3. Ein monolithisches Kulturverständnis
  4. Männlich-martialische Ausrichtung
  5. Externalisierung des Nationalsozialismus aus der deutschen Geschichte

Zugleich weist Michael Sturm darauf hin, dass sie die AfD bislang über kein „geschichtspolitisches Zentrum“ verfügt.

Wie Rechtspopulisten Demokratiegeschichte vereinnahmen

Wie genau sieht diese Vereinnahmung in der Praxis aus? Der Historiker Dennis Riffel schickt seinem Beitrag voraus, Geschichte nicht als geschütztes Feld sehen zu dürfen. Besonders in der Politik ist es üblich, sich auf Geschichte zu beziehen und sie zur Untermauerung eigener Positionen zu nutzen. Er kommt jedoch zu dem Schluss:

„Rechtspopulisten sind auf Kaperungen und Vereinnahmungen von Begriffen, Symbolen, Personen, Orten und Traditionen angewiesen, weil sie selbst keine Traditionslinien haben, aus denen sie politisch Kapital schlagen könnten.“

In einer Bestandaufnahme – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – analysiert der Autor rechtspopulistische Rückgriffe auf den Vormärz und die 1848er Revolution, die Weimarer Republik, den NS-Widerstand und die Friedliche Revolution. Im Focus stehen dabei u.a. historische Orte der Demokratiegeschichte wie die Paulskirche, das Hambacher Schloss oder der Friedhof der Märzgefallenen, Personen wie Gustav Struve, Stauffenberg oder Sophie Scholl. Zudem erörtert Riffel die Kaperung der Staatsflagge der Bundesrepublik sowie die rechtpopulistische Übernahme des Slogans vom Herbst 1989 „Wir sind das Volk“.

Handlungsempfehlungen und Lust auf Demokratiegeschichte machen

Mit den vorgegangenen beiden Abschnitten sind nur zwei von insgesamt sechs Beiträgen beleuchtet. Lohnenswertes sind sie jedoch alle. Es geht um die Leerstellen in der Aufarbeitung der DDR-Geschichte und wie die Rechtspopulisten versuchen, diese zu füllen. Es gibt praktische Handlungsempfehlungen zum Umgang mit rechtspopulistischen Äußerungen in Gedenkstätten und im Rahmen der historisch-politischen Bildung. Und nicht zuletzt wird auch Lust auf aktive Erkundung von Demokratiegeschichte vor Ort gemacht.

Die Publikation richtet sich an Menschen in der historisch-politischen Bildung. Ebenso lesenswert ist sie für all jene, die den wachsenden Rechtspopulismus in Deutschland besser verstehen möchten und nach Möglichkeiten suchen, damit umzugehen.

Die 106seitige Publikation Vereinnahmung von Demokratiegeschichte durch Rechtspopulismus, hrsg. von Michael Parak / Ruth Wunnicke, Berlin 2019 ist eine Veröffentlichung von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Sie kann kostenlos als Printversion unter info@gegen-vergessen.de bestellt oder hier heruntergeladen werden.

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