Demokratiegeschichten

Deutsch-deutsche Begegnungen. Ideen und Tipps für die inhaltliche Gestaltung

Für deutsch-deutsche Begegnungen von Jugendlichen und Erwachsenen gibt es verschiedene Möglichkeiten und Methoden, um sich kennenzulernen und miteinander ins Gespräch zu kommen. Ein paar Ideen wollen wir vorstellen. Alle haben das Ziel, die Perspektive des andern kennenzulernen und nachzuempfinden.

WICHTIG! Die folgenden Fragen und Methoden sind nicht nur für die Begegnung der Zeitzeugengenerationen gedacht, sondern auch für das Zusammentreffen von Lernenden, Jugendlichen und intergenerationellen Gruppen. Dabei stehen für junge Menschen nicht die eigenen Erinnerungen im Vordergrund, sondern Familiennarrative und aktuelle Wahrnehmungen. Zudem kann der Fokus auf Zukunftsfragen gerichtet werden: „Wie wollen wir zusammen leben?“ (siehe unten). Zwar sind Jugendliche keine Zeitzeugen der 90er Jahr, aber sie sind die nächste Generation des deutsch-deutschen Zusammenwachsens. Dabei sehen sich jüngere Generationen selbst durchaus als eine Gruppe, die eine Übersetzungsleistung zwischen Ost und West erbringen kann, vermittelt und gegenseitiges Verständnis aufbaut.

Stelle verschiedene Fragen in den Mittelpunkt der deutsch-deutschen Begegnungen

Diese Fragen – oder nennen wir sie Impulse – dienen dem gegenseitigen Kennenlernen. Im Laufe der gemeinsamen Zeit können sie aus unterschiedlichen Blickwinkeln sowie in Kombination mit verschiedenen Methoden (siehe unten) erörtert werden:

Wie habe ich den Osten / den Westen vor 1989 wahrgenommen?

Welche Kontakte hatte ich vor dem Mauerfall in den anderen Teil Deutschlands? Waren diese Kontakte für mich wichtig?

Habe ich vor 1989 den anderen Teil Deutschlands schon einmal besucht? Was ist mir davon besonders in Erinnerung geblieben?

Was hat der Fall der Mauer in meinem Leben verändert?

Wie habe ich die Zeit nach 1989 erlebt? (Hier ein kleiner Einblick )

Welche Träume Wünsche und Hoffnungen habe ich mit dem Fall der Mauer verbunden und haben sie sich erfüllt?

Was hat sich in den 90er Jahren in meinem Leben verändert?

Was wünsche ich mir im Hinblick auf eine gemeinsame Erinnerung und Verarbeitung der 90er Jahre?

Wie nehme ich heute Ostdeutschland / Westdeutschland wahr?


Das Kennenlernen

Zum gemeinsamen Start empfiehlt sich ein Kennenlernen in entspannter Atmosphäre.

Positionierung im Raum

Eine beliebte Kennenlernmethode in der Arbeit mit Jugendlichen und Erwachsenen ist die sogenannte Positionierung im Raum“. Sie regt die Kommunikation an und erleichtert das Kennenlernen.

Durchführung: Die Teilnehmenden werden vom Moderator/der Moderatorin eingeladen, sich nach bestimmten Fragen im Raum zu positionieren. Dazu können beispielsweise die folgenden Fragen verwendet werden, die sich eher auf äußerliche Merkmale beziehen:

  1. Der Raum entspricht Deutschland: Nimm die Position im Raum ein, die Deinem Geburtsort (Wohnort) entspricht.
  2.  Stelle Dich mit den Personen zusammen, die den gleichen oder einen ähnlichen Beruf wie Du ausüben (die gleiche Berufsausbildung durchlaufen haben).
  3. Bitte sortiert Euch nach Alter (Schuhgröße, Zeit des Aufstehens).

Der Moderator kann anschließend bei einzelnen oder allen Personen eine Antwort einholen.

WICHTIG! Stellt genug Raum zur Verfügung und gebt nicht zu viele Fragen in die Gruppe.

Wegweisende Erlebnisse in Murmelgruppen

Um sich kennenzulernen können aber auch über wegweisende Erlebnisse des Lebens ausgetauscht werden; zum Beispiel in sogenannten Murmelguppen. So könnte es neben Erinnerungen an den Mauerfall oder die erste Reise nach West- bzw. nach Ostdeutschland auch um persönliche und private Erinnerungen gehen oder Ereignisse, die eine Vertrauensbasis schafften. Gib den Teilnehmenden auch die Chance, individuelle Themenwünsche einzubringen. Diese können z. B. auf einer Pinnwand gesammelt werden, die jederzeit für alle zugänglich ist. Später werden diese Themen im Plenum, in verschiedenen Gesprächsgruppen oder einem World-Café bearbeitet. (mehr zur Methode World-Café siehe unten)


Methoden der Begegnung und des Austausches

Grundsätzlich gilt: Erzählen ist genauso viel wert wie Zuhören. Darum sollten Kommentare, Diskussionen oder Unterbrechungen möglichst zurückgehalten werden. Denn jede Erinnerung steht für sich. Sie wird nicht korrigiert oder in Frage gestellt. Somit ist der wertschätzende Umgang eine wichtige Grundlage aller Methoden. Auch wenn manche Geschichten mit dem eigenen Empfinden und Erinnern gar nichts zu tun haben, ist es unsere Aufgabe sowie die Aufgabe der Moderatorinnen und Moderatoren, die Ambivalenzen auszuhalten.

Erzählcafé

Erzählcafés sind Erzählrunden, bei denen die Lebensgeschichten und Erfahrungen der Teilnehmenden im Zentrum stehen. Nach dem Mauerfall entstanden in Berlin an verschiedenen Orten Erzählcafés, bei denen Nachbarn aus Ost und West ihre Geschichten teilten und so die Perspektive der anderen Seite besser nachempfinden konnten.  Auch hier gilt: Erzählen ist freiwillig, Zuhören ist Pflicht.

Moderation: Jedes Erzählcafé wird von einem Moderator oder einer Moderatorin geleitet. Deren Aufgabe ist es, spontane Fragen einzubringen sowie eine respektvolle und vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen.

Thema: Das Thema ist frei wählbar (mögliche Fragen siehe oben). Dennoch sollte sich die Moderation oder der Moderator vor der Veranstaltung vorbereiten, um gut in das Thema einführen zu können und die Reflexion der Teilnehmenden anzuregen.

Durchführung:
  • Jeder Teilnehmende kann, keiner muss eine Geschichte erzählen.
  • Die Zeitanteile pro Erzähler müssen fair sein. Alle, die sprechen wollen, sollten die Gelegenheit dazu bekommen. 5 Minuten pro Erzählung sind eine gute Richtlinie (hier sollte die Moderatorin oder der Moderator auch eingreifen, wenn eine Erzählung zu ausschweifend wird).
  • Es bestehen keine Erwartungen an das Ergebnis oder Fazit eines Erzählcafés.

Mehr zur Planung, Durchführung und Moderation eines Erzählcafés erfahren sie hier

Besondere Gegenstände und familiäre Erinnerungsstücke

Manchen Menschen fällt es leichter, anhand eines bestimmten Gegenstandes über ihre Erinnerungen und Gefühle zu reden. Bitte vorab alle Teilnehmenden aus Ost- und Westdeutschland darum, einen Gegenstand mitzubringen, der für sie persönlich/ für die Familie in den 90er Jahren eine wichtige Rolle spielte oder die Umbruchsjahre der 90er symbolisiert.

Was hat der Gegenstand mit der Geschichte meiner Familie und mit meinem Leben heute zu tun?

In der Planung und Durchführung kann wie beim Erzählcafé verfahren werden.

Bilder – persönliche Assoziationen und Erinnerungen

Bilder regen zur Assoziation an und können Erinnerungen wecken. Nehmen wir das Thema Leben und Alltag in den 90er Jahren.

Vorbereitung: Drucke viele verschiedene Bilder aus, die im engeren und weiteren Sinn mit den 90er Jahren, der Wiedervereinigung, dem Wandel, dem Alltag in Ost und Westdeutschland zu tun haben. Situationen, Institutionen, Personen (z.B. Treuhand, Helmuth Kohl, Angela Merkel, Regine Hildebrand, Joachim Gauck, besetzte Häuser in Berlin, das erste gemeinsame Bundeskabinett, der Bundestag in Berlin, Einführung der D-Mark, Rückbau von Plattenbausiedlungen, Wegzug aus ländlichen Regionen, Zuwanderung aus Ex-Jugoslawien und den ehemaligen Sowjetrepubliken,). Zudem drucke Bilder, die Gefühle und prägende Eindrücke der 90er Jahre symbolisieren (Westautos, Woolworth, Otto-Katalog, Verlust des Arbeitsplatzes, Sterben ostdeutscher Firmen, angesagte Musikinterpreten der 90er Jahre, ein Bild vom Einigungsvertrag, Katharina Witt, Pendeln zur Arbeit – von Ost nach West und umgekehrt, Ost-Solizuschlag, „Blühende Landschaften“, Identitätsverlust, Verlust von Anerkennung der Lebensleistung, alles bleibt wie es war, sich in einem neuen politischen System zurechtfinden müssen, Angst vor Überfremdung … )

Durchführung:

Lege die Bilder für alle sichtbar auf den Fußboden.  Fordere die Teilnehmenden auf, sich ein Bild auszusuchen und gib dafür genügend Zeit. Dann setzen sich alle zurück in einen Stuhlkreis oder in kleine Einzelgruppen (siehe Murmelgruppen). Wer mag, kann erzählen, woran ihn das Bild erinnert, was er oder sie damit verbindet, welche Bedeutung die dargestellte, Person/Situation für ihn oder seine Familie hat. Auch hier gilt, jeder kann erzählen, niemand muss. Arbeite mit einem oder mehreren Moderatoren und achte auf eine Erzähllänge von ca. 5 min. Es geht nicht darum exakt zu wissen, was auf dem gewählten Bild ist. Im Vordergrund steht die eigene Geschichte der Teilnehmenden.

Ganz am Ende können unbekannte und noch nicht benannte Bilder aufgelöst werden.

Wie wollen wir zusammen leben? World-Café und Gesprächsrunden

Schauen wir nicht nur in die Geschichte, sondern auch in die Zukunft. Wie wollen wir in den kommenden Jahren zusammen leben? Und was können wir konkret tun? Folgende Fragen können im Mittelpunkt stehen:

Wie wollen wir miteinander leben?

Können wir vorleben, dass es die Grenze nicht mehr gibt? Und wenn ja, wie?

Was kann Ost von West und West von Ost noch lernen?

Wie können Lebensleistungen in Ost- und West mehr Anerkennung finden?

Es reicht nicht darüber zu reden, es muss etwas passieren. Was können wir konkret tun?

Wie können wir erfolgreich mit Pluralität in der Gesellschaft umgehen?

Wie stelle ich mir für die kommenden Jahre ein Zusammenleben von Ost und West vor?

Für die praktische Umsetzung gibt es verschiedene Möglichkeiten:

World-Café

Die Grundidee des „World-Cafés“ ist es, Probleme- oder Fragestellungen in Kleingruppen intensiv zu diskutieren und zu reflektieren. Die Teilnehmenden finden sich in Gruppen um Tische zusammen und diskutieren jeweils eine der gestellten Frage. Ihre Gedanken können die Gäste oder der Gastgeber des Tisches auf einem großen Papier festhalten. Nach ca. 25 Minuten wechseln die Teilnehmenden die Tische und finden sich in neuen Konstellationen zusammen. Der Gastgeber oder die Gastgeberin bleibt am Tisch zurück und trägt die Ergebnisse der ersten Runde in die nächste spontan entstandene Gruppe. So „befruchten“ sich die Teilnehmenden gegenseitig mit neuen Ideen und Perspektiven.

Die Arbeitsergebnisse der Tische können schließlich in einer „Vernissage“ für alle ausgestellt werden. Oder die Gastgeber stellen die Ergebnisse ihrer Tische vor.

Noch mehr Ideen zur Gestaltung eines World-Cafes gibt es hier.

Moderierte Gesprächsrunden

Die Teilnehmenden wählen Ihrem Interesse nach eine Frage aus und schließen sich der entsprechenden Gesprächsrunde an. Gemeinsam mit einer Moderatorin oder einem Moderator erörtern sie die Fragen, sammeln Ideen und suchen gemeinsam nach Wegen. Die Ergebnisse können mit Hilfe von Moderationskarten an einer Pinnwand visualisiert werden und anschließend im Plenum den anderen Teilnehmenden vorgestellt werden.


Ortsbegehung, spielen und regionale Küche

Und natürlich gehört zu einer Begegnung auch die Führung durch den eigenen Ort. Gerade bei einer Ortsbegehung kann u.a. ein Schwerpunkt auf die Veränderungen in den letzten 30 Jahren gelegt werden. Vielleicht gibt es noch Fotos, wie der Heimatort vor ca. 30 Jahren aussah? Klar ist, das Kennenlernen einer Region geht immer auch durch den Magen. Genießt einen bunten Abend zusammen. Auch ein Quiz mit gemischten Rategruppen, ein gemixtes Fußballspiel oder eine gemeinsame Wanderung könnten auf dem Plan stehen. Gerade im ungezwungenen Beisammensein, entstehen mitunter wunderbare Gespräche und Begegnungen.


Jugendjournalisten

Berichtet über euer Treffen z. B. in der Regionalzeitung. Vielleicht folgen andere Eurem Beispiel. Und warum nicht mit jungen Journalisten; damit meinen wir Schülerinnen und Schüler. Beim Treffen von Jugendgruppen ist es natürlich einfacher, eine jugendliche Autorin oder einen Autor zu finden. Aber man kann auch in der Redaktion der Regionalzeitung fragen, ob diese Ihnen einen jungen Journalisten oder eine Journalistin empfehlen kann, die das Treffen begleitet und anschließend für die Zeitung berichtet. Denn junge Menschen haben ohne ihr Zeitzeugenwissen oft eine erfrischend andere Perspektive auf das deutsch-deutsche Thema und stellen spannende Frage.

Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Ein Projekt im Rahmen des Kompetenznetzwerkes „Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft“
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