Demokratiegeschichten

Die Tafelrunde

Der „Runde Tisch“ war mir lange Zeit kein Begriff. Früher wäre meine erste Assoziation vermutlich König Artus und die Ritter der Tafelrunde gewesen. Seit ich mich mehr in das Thema Friedliche Revolution einlese, ist das anders. Nun weiß ich: An einem „Runden Tisch“ saßen nicht nur Menschen in Rüstung. Zu diesem trafen sich am 7. Dezember 1989 in Ost-Berlin erstmals Vertreter*innen der Kirche, der DDR-Regierung, der SED-Massenorganisationen, der Blockparteien und der Opposition, um über die Zukunft der DDR zu reden.

Das eckige Runde

Wirklich rund, im Sinne von kreisförmig, war der Tisch übrigens nicht. Wer Bilder der Versammlung googelt, sieht, dass es sich vielmehr um eine rechteckige Anordnung von mehreren Tischen handelte. Die ersten drei Versammlungen – am 7., 18. und 22. Dezember fanden im Kirchenraum des Dietrich-Bonhoeffer-Hauses statt.

Die Idee des „Runden Tisches“ stammte aus Polen. Dort trafen sich von Februar bis April 1989 Vertreter*innen der Regierungspartei PVAP (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) mit der oppositionellen Gewerkschaft Solidarność und anderen Gruppen zum Gespräch. Bei den Gesprächen versuchten Regierung und Opposition gemeinsam Reformen zu vereinbaren.

Der Runde Tisch, an dem 1989 die Gespräche in Polen stattfanden, steht heute im Präsidentenpalast in Warschau. Foto: Adrian Grycuk; Lizenz

Der Runde Tisch war hier tatsächlich rund. Durch die Sitzordnung sollte die gleichberechtigte Teilnahme aller Konfliktparteien betont werden. Ohne Hierarchien stand und steht die Findung eines Kompromisses im Zentrum der Runde.

1989 war dies äußerst erfolgreich: Mit den Gesprächen des Runden Tisches wandelte sich das politische System in Polen. Aus einem kommunistischen Regime bildete sich eine demokratische Republik. Im Zuge der Revolutionen ab 1989 fanden immer mehr Regierungen und Oppositionen an Runden Tischen zusammen. So etwa in Ungarn, Bulgarien und der DDR.

Zusammensetzung und Aufgabe des Runden Tisches

Bei den Gesprächen in der DDR übernahmen drei Kirchenvertreter als neutrale Moderatoren die Gesprächsleitung. Neben den Regierungsvertretern saßen für die Bürgerbewegung u. a. Mitglieder von „Demokratie Jetzt“, dem „Demokratischen Aufbruch“ und der „Vereinigten Linken“ am Tisch. Insgesamt bestand die Runde aus 33 Delegierten.

Diese nahmen übrigens keinerlei Regierungsfunktionen wahr. Sie hatten aber sehr wohl den Anspruch, Vorschläge zu erteilen, an Entscheidungen mitzuwirken und deren Umsetzung zu kontrollieren. Die Vertreter*innen der Opposition hatten so am „Runden Tisch“ die Möglichkeit, ihre Forderungen nach freien Wahlen, einer neuen Verfassung o. ä. einzubringen. Und die DDR-Regierung die Chance, von der Opposition nicht völlig überrannt zu werden.

Gleich in der ersten Sitzung fielen einige wegweisende Entscheidungen. Beispielsweise der Entschluss, die ersten freien Volkskammerwahlen abzuhalten. Eine neue Verfassung für die DDR auszuarbeiten. Und das Amt für Nationale Sicherheit – so hieß die Staatssicherheit seit November 1989 – aufzulösen.

Und nicht nur auf Bundesebene, auch in den Dörfern und Städten bildeten sich immer mehr „Runde Tische“. Sie trugen wesentlich dazu bei, die Demokratisierung in den Orten zu beschleunigen und die Arbeit der staatlichen Behörden zu überwachen.

Wie ging es weiter?

Bereits Ende Januar 1990 beschlossen die Delegierten, eine „Regierung der nationalen Verantwortung“ zu bilden: Acht Vertreter*innen aus den Oppositionsgruppen – eine*r pro Gruppe – wurden als Minister*innen ohne Geschäftsbereich in die Regierung aufgenommen. Bis zum 12. März 1990 – der 16. Sitzung – tagte der „Runde Tisch“ beinahe wöchentlich. 6 Tage später fanden die ersten freien Wahl in der DDR statt.

Was ist heute von dem „Runden Tisch“ übrig geblieben? Auf jeden Fall die Art der Gesprächsführung, die noch heute zur Lösung von Konflikten eingesetzt wird.

Wer mehr erfahren möchte, hat heute die Gelegenheit dazu. Am historischen Ort, dem Dietrich-Bonhoeffer-Haus, findet heute der 17. Zentrale Runde Tisch statt: Ab 14 Uhr berichten ehemalige Teilnehmer über ihre 30 Jahre zurückliegenden Erfahrungen.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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