Demokratiegeschichten

Erinnerung an Kurt Eisner (1867-1919) – Politiker, Demokrat, Pazifist

Dieser Beitrag wurde von GeschichtePLUSdigital der LMU München verfasst. Herzlichen Dank für den Artikel!

Demokratiegeschichte, die Erinnerung an Demokratie und digitale Medien gehen ein immer engeres Verhältnis ein. Auch in der Lehrerbildung gewinnt dieser besondere Aspekt historisch-politischen Lernens an Raum. An der LMU München, Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte und Public History, arbeitet bereits seit drei Jahren ein Projektteam im Rahmen der vom Bund geförderten „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“. Hier wird zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern der Umgang mit digitalen Methoden der Geschichtsdidaktik näher gebracht. Vorgestellt wird im Folgenden eine App aus dem Bereich der Augmented Reality, und zwar zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs und des Beginns der Münchner Räterepublik. Diese Ereignisse sind besonders mit dem Namen des Demokraten Kurt Eisner verbunden.

Entscheidende Handlungen Eisners

Während der schwierigen sozialen und politischen Lage nach dem Ersten Weltkrieg fällt Kurt Eisner als einer der führenden revolutionären Köpfe auf. Im November des Jahres 1918 gelingt es ihm als (provisorischem) ersten Ministerpräsidenten Bayerns bei Demonstrationen und Kundgebungen in der Münchner Innenstadt einige bahnbrechende Veränderungen herbeizuführen. Dazu zählt beispielsweise Folgendes:

  • Er erklärt König Ludwig III. für abgesetzt und beendet damit die über 800 Jahre währende Monarchie der Wittelsbacher in Bayern.
  • Stattdessen führt er ein parlamentarisches, demokratisches System mit modernem Verhältniswahlrecht ein.
  • Eisner führt ebenfalls das Frauenwahlrecht ein; erst seit 1919 können Frauen in Bayern wählen und gewählt werden.
  • Er ruft den „Freistaat Bayern“ aus – ein auch 100 Jahre später noch feststehender Begriff.

Nach heutigem Maßstab hat Eisner damit einige grundlegende und nachhaltige Entwicklungen für das moderne Bayern angestoßen, die Erinnerung an ihn und seine Leistungen war lange Zeit jedoch eher kritisch.

Einschränkungen seiner Popularität

Kurt Eisner entstammte einer jüdischen Berliner Fabrikanten-Familie. Bereits 1898 trat er in die SPD ein und arbeitete seitdem als Journalist bzw. Herausgeber für verschiedene sozialdemokratische Zeitungen. Im Verlaufe des Krieges verhielt sich die SPD für den Geschmack Eisners und einiger Mitglieder jedoch zu angepasst, was sie 1917 schließlich zur Abspaltung des radikalen linken Flügels veranlasste. Als Vorsitzender der USPD (= Unabhängige Sozialdemokraten) schlug Eisner einen revolutionäreren Kurs mit teils unpopulären Ansichten u.a. der Forderung nach einem sofortigen Kriegsende und das Eingestehen der deutschen Kriegsschuld ein.

Der von ihm forcierte, radikale Wandel traf nicht bei allen Zeitgenossinnen und –genossen auf Akzeptanz. Im Gegenteil – Kurt Eisner schlug ein rauer Wind entgegen, sodass er im Januar 1919 eine deutliche Wahlniederlage einstecken musste. Als er sich daraufhin im Februar zum Rücktritt aus der provisorischen Regierung entschloss, fiel er noch auf dem Weg zum Parlament einem Mordanschlag zum Opfer.

Eher kontroverse Erinnerungen

Kurt Eisner wurde – teils bereits zu Lebzeiten – mit Etiketten wie „tragischer Held“ „Außenseiter“, „Kommunist/Bolschewist“ oder „Vaterlandsverräter“ versehen. Schon unter seinen Zeitgenossinnen und –genossen war er umstritten. Zudem hat auch seine Zugehörigkeit zu einer kleinen, nur kurzzeitig bestehenden Partei, durch fehlende Fürsprecherinnen und –sprecher sicherlich zur Vernachlässigung seines Andenkens beigetragen. Außerdem wurde er später von den Nationalsozialisten aufgrund seines jüdischen Glaubens und seiner links-politischen Einstellung diffamiert.

Aufgrund seiner entscheidenden Rolle während der Revolution 1918/19 und der bis heute nachwirkenden Veränderungen, die er mitanstoßen konnte, lohnt dennoch eine differenzierte Betrachtung. In den letzten Jahren scheint hier bereits eine Revision des historischen Urteils begonnen zu haben. In München beispielsweise finden sich inzwischen mehrere Denkmäler, die auf Kurt Eisner verweisen – darunter ein Bodendenkmal in der heutigen Kardinal-Faulhaber-Straße (deren Namensgeber ironischerweise ein Gegner Eisners war). Der Revisionsprozess ist jedoch noch keinesfalls abgeschlossen, Projekte wie GeschichtePLUSdigital (Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte und Public History, LMU München) leisten jedoch gerade einen Beitrag zur Profilierung der Erinnerung an Kurt Eisner.

Ein erster Beitrag zur Erinnerungsprofilierung

An zwei kalten Montagen im Januar und Februar begaben sich Interessierte aus den unterschiedlichsten (Fach-)Bereichen sowie Schülerinnen und Schüler auf die Suche nach den Spuren, die das ereignisreiche Jahr 1919 in unserer Gegenwart hinterlassen hat. Angeleitet wurden sie dabei von Studierenden verschiedener Fachrichtungen der LMU und TUM, die gefördert durch das Kulturreferat der Stadt München über zwei Semester hinweg eine Augmented Reality App zum Thema „100 Jahre Revolution und Rätezeit“ entwickelt haben.

Augmented Reality, zu Deutsch „erweiterte Realität“, meint, dass die wahrnehmbare, „reale“ Umgebung durch virtuelle Elemente und Informationen angereichert wird. Unsere digital unterstützte Reise drehte sich um die sich um die Person des ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner. Wir starteten beim (leicht zu übersehenden!) Denkmal in der Kardinal-Faulhaber-Straße, das die Stelle seiner Ermordung markiert, und endete an der Münchner Residenz, Symbol für die Abdankung des letzten bayerischen Königs.

An insgesamt vier Stationen konnten sich die Teilnehmenden selbstbestimmt und je nach Interessensschwerpunkten informieren. Die Themen waren „Parteienlandschaft um 1919“, „Vergleich von politischen Systemen“ (v.a. Monarchie – Demokratie), „Ende der Wittelsbacher Dynastie/Ausrufung der Republik“ und „zeitgenössische Kunstwerke“. Per Tablet lenkten eingeblendete Bild- und Textquellen sowie Darstellungen und Tonaufzeichnungen die Aufmerksamkeit auf historisch relevante Orte. Dort wurden die geschichtlichen Hintergründe zu wichtigen Personen sowie Ereignissen und deren Bedeutung für unsere Gegenwart aufgezeigt.

Spielerische Elemente

So wurde beispielsweise mittels einer Karikatur auf die Abdankung des Königs hingeleitet. In dieser sind zwei einfache Bürger der Stadt zu sehen, welche den König mit den Worten: „Majestät, gengs` heim, Revolution is!“ über die aktuelle Lage ins Bild setzen. Diese Situation wurde dann im Hofgarten nachinszeniert und mit den Originalinhalten der Quelle in die echte Welt projiziert. So wurde mittels eines Blickfangs die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler auf diesen historischen Aspekt des Ortes gelenkt und neue Inhalte damit verknüpft.

Spielerische und künstlerische Elemente sorgten neben der kognitiven auch für affektive Stimulation. Dazu gehörten Quizaufgaben, das virtuelle „Auffangen“ von Flugblättern oder der Besuch einer „schwebenden“, teils animierten Galerie. Die abwechslungsreichen Darstellungen sollten das Interesse hochhalten und die in Vergessenheit geratene Demokratiegeschichte Bayerns für die Schülerinnen und Schüler attraktiv gestalten, um dem Prozess des Vergessens entgegen zu wirken.

Zusammenarbeit an der App

Ein interdisziplinäres Team entwickelte diese App. Dieses bestand im Kern aus zwei Informatikstudierenden der TU, einer Kunststudentin der LMU und zwei Geschichtsstudierenden der LMU bestand. Die Zusammenarbeit war für alle Beteiligten sehr ertragreich und trug zu dem Erfolg der Entwicklung bei.

So fruchtete die interdisziplinäre Zusammenarbeit besonders auf dem Gebiet des User-Interface, weil die Informatik-Studierenden die Studierenden aus den Geisteswissenschaften schnell einweisen konnten, wie genau die Informationen aufbereitet sein müssen, damit sie in der App optimal dargestellt werden können. Gerade beim Erstellen der Inhalte wie auch beim Designen der Benutzeroberfläche waren die „fachfremden“ Eindrücke hilfreich. Mit diesen konnte zum Beispiel eine Hilfeseite für Menschen, die weniger vertraut mit der digitalen Technik sind, eingerichtet werden, was zu einer verbesserten App beitrug!

GeschichtePLUSdigital

Beteiligt an dem Projekt waren:

Konzept & Forschung : Projektleitung: Prof. Dr. Barricelli, Koordinatorin GeschichtePLUS Regina Bäck, Angelika Pleyer, Dr. Moritz Pöllath, Dr. Hannes Liebrandt;
Umsetzung: Regina Bäck, Pierre Suchacek, David Plecher, Carolina Sievers, Marlene Pruss u.a.

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