Demokratiegeschichten

Graphic Novel: „Emil. Tagebücher aus der Weimarer Republik“

Tagebücher? Sowas schreiben doch nur Mädchen!

So jedenfalls denkt Moritz, genannt Mo, ein 15-jähriger Schüler in Berlin. Bis er auf dem Dachboden die Tagebücher seines Urgroßvaters Emil findet. Der fing an zu schreiben, als er in Mos Alter war. Und hatte, ungeachtet seines Alters, so einiges zu erzählen …

Mo beim Lesen des Tagebuches, Cover: Greven Verlag Köln/Thomas Neuhaus

Kieler Matrosenaufstand und Revolution 1918/19

Das erste Tagebuch, das Moritz aufschlägt, reißt ihn gleich mitten rein ins Geschehen. Eigentlich sollte sich Emil bei seiner Tante in Kiel an der frischen Luft ausruhen und erholen. Stattdessen schlittert er quasi versehentlich in die Ereignisse herein, die Ausgangspunkt der Novemberrevolution 1918 waren. Denn statt eine Postkarte abzuliefern, erkundet er doch lieber, was am Kriegshafen vor sich geht. Dort haben einige Matrosen den Befehl zum Auslaufen verweigert und fordern nun offen ein Ende der Kriegshandlungen und die Herausgabe ihrer inhaftierten Kameraden.

Emil erreicht den Kriegshafen; © Rüdiger Trebels, Düsseldorf

Was an diesem Tag noch glimpflich verläuft, sieht am nächsten Tag schon anders aus: Auf den Demonstrationszug aus Matrosen, Arbeitern und Frauen, dem sich Emil anschließt, wird von Soldaten geschossen. Sieben Menschen sterben, Emil entkommt nur knapp.

Auf die Matrosen wird geschossen; © Rüdiger Trebels, Düsseldorf

Der blutige Zwischenfall vom 3. November führt zum bewaffneten Widerstand der Matrosen und zum Umsturz in Kiel. Daran können auch die nach Kiel beorderten Offiziere nichts mehr ändern: Nun verweigern auch die Soldaten ihren Gehorsam und laufen zu den Matrosen über. Die Revolution nimmt Fahrt auf!

Diesmal verweigern die Soldaten die Befehle; © Rüdiger Trebels, Düsseldorf

Wie aber geht es weiter, jetzt, wo doch der Kaiser abgedankt hat? In ganz Deutschland bilden sich Arbeiter- und Soldatenräte, die für Ordnung auf den Straßen sorgen. Doch wie regieren, und wer? Selbst die Genossen der SPD- und Gewerkschaftsveranstaltung, die Emil besucht, sind sich uneinig. Sozialistisch, sozialdemokratisch, bürgerlich – nur knapp entgeht Emil einer Schlägerei.

Da geht es zu Hause, in Münster, doch wesentlich ruhiger zu. Bald hängen die ersten Plakate mit Wahlaufrufen zur Nationalversammlung aus. Die Kämpfe in Berlin und die Uneinigkeiten der politischen Parteien scheinen weit entfernt. Und als dann noch Emils großer Bruder aus dem Krieg heimkehrt, steht einem Neubeginn nach dem Krieg nichts im Wege.

Tagebücher der Weimarer Republik

Nur Lehrer Mawede, der gegen den Schandvertrag wettert, stört das friedliche Bild. Mit seinem Monolog über den Vertrag von Versailles und die Reparationen beginnt das zweite Kapitel, bzw. das zweite der Tagebücher, „Der Versailler Vertrag 1919“. Je länger Mo in den Tagebüchern seines Großvaters Emil liest, desto mehr Stimmen/Menschen begegnet er, die sich kritisch zur Weimarer Demokratie äußern.

Aber das ist kein Wunder, bedenkt man, in welchen Zeiten Emil lebte und schrieb: Auf die Novemberrevolution und den Versailler Vertrag folgen die Tagebücher „Die Ruhrkrise 1923“, „Die große Geldentwertung 1923“ und „Die Weltwirtschaftskrise und der Vormarsch der Radikalen 1929-1933“. In gerade einmal 14 Jahren musste die erste gesamtdeutsche Demokratie einige Krisen durchstehen. Und scheiterte endgültig mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933.

Mit eben jener Ernennung enden auch Emils Tagebücher. Wie es für ihn, seine Familie und Freund*innen weiterging, erfährt Mo nicht mehr. Aber die zunehmend feindlichen Reaktionen auf Emils jüdischer Freundin Rose und die immer stärker werdende Präsenz der Nationalsozialist*innen sind eindeutiger Hinweis darauf, in welche Richtung sich Deutschland entwickelte.

Erzählstil

Auf 260 Seiten kann man eine ganze Menge Geschichte unterbringen. Trotzdem wünschte ich mir, das Ludger Grevelhörster und Rüdiger Trebels noch ein paar Kapitel dran gehängt hätten. Nicht, weil ich ein Kapitel Geschichte aus der Weimarer Demokratie besonders vermisst hätte. Sondern, weil ich gerne noch mehr und länger gelesen hätte.

Der Geschichte von Emil kann man aus verschiedenen Gründen gut folgen, zwei seien hier genannt:

© Rüdiger Trebels, Düsseldorf

Es gibt eine klare Untertrennung zwischen den Storylines von Mo und Emil. Zwar fungiert Mo v. a. als Leser, der uns mit durch die Geschichte seines Urgroßvaters nimmt. Aber auch Mo hat sein Leben, trifft sich mit Freund*innen am See, geht zur Schule und redet mit seinen Eltern. Diese Trennung von Mos und Emils Leben wird auch durch unterschiedliche Zeichenstile (feinere vs. dickere Linien) hervorgehoben.

Einer der „Erklärkästen“; © Rüdiger Trebels, Düsseldorf

Der zweite Grund ist, dass sich die Autoren nicht scheuen, längere Erklärungen miteinfließen zu lassen. Viele davon erfolgen durch Figuren in der Geschichte – Sozialdemokraten, Nationalsozialisten, Matrosen, Unternehmer, einfache Arbeiter: sie alle und mehr sind in die Tagebücher eingebunden und kommen zu Wort. Außerdem gibt es an einigen Stellen Erklärkästen, in denen einzelne Begriffe, Ereignisse oder Sachverhalte aufgegriffen werden. Aber auch Mos Nachfragen bei seinen Eltern und im Internet machen deutlich, dass alles wissen fast unmöglich und etwas nicht wissen kein Problem ist.

Wenn ihr also etwas unverfänglich in das Thema Weimarer Republik einsteigen oder euer Wissen vertiefen wollt, liegt ihr mit dieser Graphic Novel richtig. Auch, wenn ihr nicht mehr wie Mo und Emil zur Schule geht.

Emil. Tagebücher aus der Weimarer Republik:

  • Ludwig Grevelhörster (Geschichte und Text)
  • Rüdiger Trebels (Zeichnungen)
  • 264 Seiten, durchgehend s/w gezeichnet
  • ǀ17 × 24 cm
  • Gebunden 22 Euro
  • ISBN 978-3-7743-0610-3
  • Greven Verlag Köln
  • https://shop.greven-verlag.de/emil.html

Die Rechte der Bilder liegen beim Greven Verlag Köln und Rüdiger Trebels. Vielen Dank für die Bereitstellung der Seiten!

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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