Demokratiegeschichten

Vor 30 Jahren – Besetzung von Stasi-Zentralen am 4.12. 1989

Bereits im November 1989 gehen in der DDR Gerüchte um, die Staatssicherheit verbrenne heimlich Beweismaterial für ihr Vorgehen. Menschen berichten, LKWs gesehen zu haben, auf denen tonnenweise Akten aus den verschiedenen Stasi-Objekten in der DDR herausgeschafft worden seien. Auch die Regierungserklärung von Hans Modrow am 17. November 1989, die Stasi werde zum Amt für Nationale Sicherheit umgebaut, beruhigt die Menschen nicht. Zu Recht befürchten sie, es könne der Stasi auf diese Weise gelingen, sich der Verantwortung zu entziehen. Außerdem wollen die Menschen wissen, was in den Akten über sie steht.

Erfurt bringt den Stein ins Rollen

Am Morgen des 4. Dezember 1989 stürmen Erfurter Bürgerinnen und Bürger die Stasi-Zentrale der Stadt und besetzen sie. Es sind vor allem fünf Erfurter Frauen, die die Besetzung initiieren und die Vernichtung der Akten zu stoppen – Claudia Bogenhardt, Tely Büchner, Sabine Fabian, Kerstin Schön und Gabriele Stötzer. Die Besetzer versiegeln Panzerschränke, kontrollieren Aktentaschen der Mitarbeiter sowie deren Autos. So wollen sie verhindern, dass die Stasi Akten und Beweise vernichtet. Auslöser für die Aktionen ist der rauchende Schornstein der Erfurter Stasi-Zentrale. Es sind Ascheteile in der Luft und Medienberichte deuten darauf hin, dass die Stasi in großem Umfang Unterlagen verbrennt. Eine Bürgerwache hält die Zentrale in Erfurt anschließend mehrere Wochen lang besetzt.

Erfurt hat Signalwirkung für Gotha

„Ich bekam einen Anruf von einem Freund aus Erfurt, der berichtete mir von den Ereignissen dort. Auch, dass die Stasi Akten vernichtet. Ich informierte das Bürgerkomitee in Gotha, und wir beschlossen zu handeln“, erinnert sich Ärztin Uta Dehmel.

Thüringische Landeszeitung 4.12.2014

Der damalige Pfarrer Eckardt Hoffmann erinnert sich, dass ihm als erstes im Hof der erstürmten Gothaer Stasi-Zentrale eine große Grube auffiel:

„Das Erdloch war etwa so groß wie ein normales Wohnzimmer und voll mit verkohltem Papier. Nicht nur das, dort lagen auch bundesdeutsche Autokennzeichen. Im Gebäude selbst stießen wir auf übergroße Schredder, vor denen sich die Papierschnipsel türmten.“

Thüringische Landeszeitung, 4.12.2014

Angst begleitet die Aktion vom ersten Moment an.

„Wir alle hatten ein mulmiges Gefühl“, sagt Hoffmann. „Es war ja nicht nur die Ungewissheit, ob von der Stasi Waffen eingesetzt werden …“

Thüringische Landeszeitung, 4.12.2014

Der 4. Dezember ist der Anfang vom Ende der Staatssicherheit

Während am Morgen des 4. Dezember 1989 die Stasi-Bezirksverwaltung in Erfurt besetzt wird, folgen am Abend dann auch die in Leipzig, Suhl und Rostock. Auch in vielen kleineren Städten der DDR bedeutet der 4. Dezember 1989 das Aus für die Arbeit der Staatssicherheit. In Bad Doberan, Greifswald, Angermünde, Templin, Jena, Weißwasser, Wernigerode, Stendal und anderen Orten werden die Kreisämter der Stasi besetzt. Die Bürgerinnen und Bürger versiegeln einzelne Räume oder stellen Wachen auf, um die weitere Aktenvernichtung zu verhindern.

In den nächsten beiden Tagen folgt die Besetzung aller anderen Bezirksdienststellen. Die Hauptforderung der Besetzer ist: Stopp der Aktenvernichtung und Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit. Mit den daraufhin gegründeten Bürgerkomitees und Bürgerwachen beginnt die Auflösung der Stasi.

15. Januar 1990 – Besetzung der Zentrale der Staatsischerheit der DDR in Berlin

Mit dem Sturm auf die Zentrale der Staatssicherheit der DDR in der Berliner Normannenstraße – die zu diesem Zeitpunkt von den Mitarbeitern schon beinahe leergeräumt ist – verliert die SED endgültig ihre wichtigste innenpolitische Machtstütze. Die friedlich verlaufende Besetzung reiht sich in den gewaltlosen Widerstand der Revolutionszeit ein und schafft die Basis für das Aufarbeiten der Stasi-Vergangenheit.

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