Demokratiegeschichten

An Gottes Gnaden gescheitert? Der liberale Vorkämpfer August Hergenhahn

August Hergenhahn aus Usingen schreibt Geschichte, als im März 1848 unter seiner Federführung die neun Forderungen der Nassauer veröffentlicht werden, die Reformen für die Bewohner des Herzogtums durchsetzen. Die Worte eines Mannes werden zur Stimme des Volkes. Der Anwalt aus Wiesbaden wird zum Vorkämpfer des deutschen Liberalismus.

Hergenhahns Überzeugungen bringen ihn weit: Bis in den Fünfzigerausschuss zur Vorbereitung der Wahlen für die Nationalversammlung und als Mitglied der liberal-konservativen Casino-Fraktion als Abgeordneten in die Frankfurter Paulskirche. Hergenhahn kämpft für das Ideal einer konstitutionellen Monarchie, die liberale Rechte wie Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit fordert und: Er gehört zu dem Ausschuss, der über die Verfassung für einen demokratischen Bundesstaat und einen Grundrechtskatalog berät.

Kein Kaiser von Volkes Gnaden

Karte des Herzogtums Nassau 1815–1866. Quelle: ziegelbrenner, CC BY-SA 3.0

Er ist dabei, als sich die Nationalversammlung für eine kleindeutsche Lösung entscheidet, die zwar die österreichischen Gebiete außen vorlässt, doch die Konflikte zwischen den Großmächten minimiert. Hergenhahn will einen neuen Staat, in dem die Monarchen ihre Macht behalten, aber alle unter einer Krone zusammengebracht werden: der des Königs von Preußen. Hergenhahn gehört zu der Abordnung, die im April 1849 Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone anträgt. Wieder schreibt Hergenhahn politische Geschichte – nur diesmal mit unerwartetem Ergebnis.

Der König empfängt die Delegation aus Frankfurt. Doch Friedrich Wilhelm IV. verweigert die Krone unter dem Vorwand, er könne keine vom Volk angetragene Krone akzeptieren. Die Kaiserdeputation ist enttäuscht, hat aber noch ein Ass im Ärmel − sie spielen die als „Note der Achtundzwanzig“ bekannte Schrift aus, in der die Fürsten den König von Preußen an der Spitze des neuen Staates akzeptieren. Sie erkennen die Frankfurter Reichsverfassung an und fordern Friedrich Wilhelm auf, sich ihnen anzuschließen.

Die Fürsten der Kleinstaaten, die diese Note unterschreiben, fürchten um ihre eigene Zukunft. Ihre Bevölkerung droht mit Straßenkämpfen und Demonstrationen, wenn sie nicht zustimmen. Einen Strich durch diese Rechnung machen die Fürstentümer Bayern, Sachsen und Hannover, Preußen sowie Österreich. Sie lehnen den Vorschlag ab. Sie haben mittlerweile an Macht zurückgewonnen und vertrauen auf die Unterstützung ihrer Armee. Die Erfolgsaussichten der Nationalversammlung verschlechtern sich schlagartig. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, der König bleibt stur, ohne die Zustimmung der übrigen deutschen Fürsten gibt er am 28.April 1849 vor, gezwungen zu sein, die Kaiserkrone zurückweisen zu müssen.

Ist Hergenhahns revolutionärer Traum geplatzt?

König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1847. Quelle: gemeinfrei

Hergenhahns politisches Konzept einer konstitutionellen Monarchie ist an diesem Tag gescheitert. Er zeigt sich in der Stunde der Niederlage konsequent: Da er sich für die Unantastbarkeit der in der Nationalversammlung beschlossenen Reichsverfassung verbürgt hat, tritt er am 7. Juni 1849 von seinen politischen Ämtern zurück. Auch Friedrich Wilhelm IV. ist konsequent: Er lässt die Revolution gewaltsam niederschlagen und verfügt rechtswidrig, dass die preußischen Mitglieder der Nationalversammlung ihr Mandat niederlegen müssen.

Hergenhahn, der ausgezogen ist, um seinen Traum – „das ganze Deutschland soll es sein“, wie es die Abgeordneten formulieren – zu verwirklichen, muss erleben, wie dieses Vorhaben von einem selbstherrlichen, verstaubten und absolutistischen Gottesgnädigen beendet wird. Sein Konzept sei „aus Dreck“, albern und dumm. Hätte Friedrich Wilhelm IV. die Krone angenommen, wäre eine friedliche Revolution Wirklichkeit geworden. Meinungs- und Pressefreiheit, Glaubensfreiheit und Versammlungsfreiheit wären als Teil der Reichsverfassung in Kraft getreten. Adelsprivilegien und die Todesstrafe wären abgeschafft worden.

Hergenhahn zieht sich aus der aktiven Politik zurück. Er gibt sein Vorhaben aus der Paulskirche auf und widmet sich seiner Arbeit als Jurist am Appellationsgericht in Wiesbaden und Dillenburg und seiner Familie.

In der Auseinandersetzung des Herzogs mit der von ihm unterstützten liberalen preußenfreundlichen Opposition 1863 muss Hergenhahn sein hohes Richteramt aufgeben und wird zunächst zum Leiter der Nassauischen Landesbank degradiert. Auch in der Zeit nach der Revolution, nach dem Rücktritt als Minister, muss Hergenhahn also weiterhin Schläge für seine politische Ausrichtung einstecken.

Zu naiv, zu feige, zu zögerlich agiert?

Hergenhahn wächst mit der Überzeugung auf, dass eine konstitutionelle Monarchie möglich ist. Er wird in ein für die Zeit fortschrittliches Fürstentum hineingeboren. Nach dem frühen Tod seiner Eltern wird seine schulische Ausbildung von fürstlichen Zuschüssen finanziert. Aus seiner Sicht hat er nur mit Unterstützung eines Fürsten seine Bildung erhalten, ohne ihn hätte er die Position als Abgeordneter der Paulskirche und Ministerpräsident von Nassau nicht erreicht.

Nach dem Studium wird er beim Hofgericht in Usingen eingestellt, als reaktionäre Kräfte nach dem Hambacher Fest von 1836 die zehn Artikel erlassen. Als Prokurator ist er für die Umsetzung dieser repressiven Maßnahmen zuständig. Die zehn Artikel stehen im Widerspruch zu seinen Überzeugungen, was ihn dazu veranlasst, das Hofgericht zu verlassen. Er würde sich nicht gegen die Monarchie stellen, um seine Ziele zu erreichen.

Holzstich der Deputation, die im April 1849 Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone anträgt. Quelle: gemeinfrei

Im Herbst 1866 wird Nassau von Preußen annektiert. Während der darauffolgenden Übergangsregierung wirkt Hergenhahn als Staats- und Justizminister. Schließlich kehrt er bis zu seinem Tod 1874 als Präsident an das Hof- und Appellationsgericht des nun preußischen Regierungsbezirks Wiesbaden zurück.

August Hergenhahn hat seinen revolutionären Traum weiterverfolgt. Er muss erkennen, dass er seine Vision in der Paulskirche nicht umsetzen kann. Er ist Realist, verhält sich konsequent und zieht sich zurück: Das Projekt einer konstitutionellen Monarchie ist gescheitert, aber Hergenhahn bleibt sich treu, lebt seinen Traum bis zu seinem Lebensende weiter − und das nicht naiv und zögerlich, sondern leise.

Politiker wie Hergenhahn haben das politische Denken in Deutschland geprägt. Das Parlament der Paulskirche hat die spätere demokratische Entwicklung in Europa entscheidend vorbereitet. Die Rechte der Deutschen, welche von der Nationalversammlung erstmals als Grundrechte festgeschrieben wurden, bilden die Grundlage für die Verfassung der Weimarer Republik und das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. August Hergenhahn ist ein Teil dieser Geschichte. Er hat als Schlüsselabgeordneter einen bedeutenden Einfluss genommen. Zwar ist die Revolution 1848/49 gescheitert, aber sein Traum von einer Demokratie ist nicht geendet, er ist erfolgreich in Erfüllung gegangen. Nur nicht zu seinen Lebzeiten.

Die Autorinnen: Mailen Novoa und Helen Ortmann, Geschichte LK/Q2, Anna-Schmidt-Schule Frankfurt am Main

Dieser Beitrag ist Teil des Projekts „Geist der Freiheit“. Es hat Akteur*innen verschiedener Bereiche in der Rhein-Main-Region eingeladen, an einer Zeitung zum Revolutionsjubiläum 1848/49 mitzuwirken. Sie berichten über Orte, Ereignisse und Personen der Zeit und fragen, was uns die Revolution auch nach 175 Jahren heute angeht. Acht Beiträge von Schüler:innen der Anna-Schmidt-Schule erscheinen in Kooperation mit Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. vorab auf dem Blog „Demokratiegeschichten“. Das „Extrablatt im Geist der Freiheit“ ist kostenfrei bei der KulturRegion FrankfurtRheinMain erhältlich. Weitere Informationen finden Sie hier.

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