Demokratiegeschichten

Wie demokratisch war die Frankfurter Nationalversammlung?

Wenn wir heute an die Errungenschaften der Revolution von 1848/49 zurückdenken, gehört die Eröffnung der Frankfurter Nationalversammlung am 18. Mai 1848 zweifellos dazu. Die Frankfurter Nationalversammlung – auch als Paulskirchenparlament bekannt – war das erste auf Wahlen beruhende gesamtdeutsche Parlament. In ihm saßen 585 Abgeordnete, die zwei wichtige Aufgaben hatten: Zum einen die Ausarbeitung einer Verfassung, zum anderen die Festlegung der Grundrechte der deutschen Bevölkerung.

Ein Überblicksvideo der Geschichte und Leistungen des Parlaments findet ihr hier:

Nationalversammlung in der Paulskirche I musstewissen Geschichte

Wir wollen uns heute aber besonders mit einer Frage beschäftigen: Wie demokratisch war die Nationalversammlung?

Ein Parlament aus Professoren?

Oft beklagten Historiker:innen, dass untere Bevölkerungsschichten im Parlament kaum vertreten waren. Unter 585 Abgeordneten fanden sich gerade einmal vier Handwerker. Der oft verwendete Begriff „Professorenparlament“ trifft dennoch nicht zu: Lediglich 12 Prozent der Abgeordneten waren tatsächlich Professoren. Korrekter wäre es, von einem „Akademikerparlament“ zu sprechen: Immerhin fast 82 Prozent.

Konnte das Paulskirchenparlament den Willen der Bevölkerung überhaupt repräsentieren? Tatsächlich eine spannende Frage, insbesondere auch mit Blick auf heute, wo die Repräsentanz von Minderheiten immer wieder/noch diskutiert wird.

Mindestens eines hat unser heutiges Parlament dem von 1848 voraus: Frauen haben es mitgewählt und sitzen als Abgeordnete darin. Dies stand 1848 außer Frage, nur ein kleiner Teil der Abgeordneten hätte ein Frauenwahlrecht unterstützt.

Wie demokratisch war die Wahl zur Nationalversammlung?

Dass ein Parlament überhaupt gewählt wurde, war keine Selbstverständlichkeit. Nicht alle deutschen Länder hatten Parlamente und wenn sie diese hatten, waren ihre Abgeordneten oft ernannt. Manche Länder wie Baden hatten auch ein Zweikammersystem: Die erste Kammer setzte sich aus Adeligen und anderen festgesetzten Personen zusammen. Die zweite Kammer bestand aus freigewählten Abgeordneten, etwa 70 Prozent der Männer konnten wählen.

Eine andere Möglichkeit bestand im Zensuswahlrecht, dass sich an den Finanzen der Wählenden festmachte. So zählten die Stimmen von Gutverdienenden und damit höhere Steuern Zahlenden mehr als die von Geringverdienern. In manchen Ländern, wie etwa Preußen, setzte sich dieses Wahlrecht auf Landesebene durch und galt noch bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

Vergleicht man die Wahl zur Frankfurter Nationalversammlung mit anderen Wahlvorgängen der Zeit, ist diese ausgesprochen fortschrittlich. Wählen durften alle volljährigen Männer und ihre Stimmen zählten gleich viel.

Wie demokratisch war das Parlament?

Werfen wir einen Blick auf die Abgeordneten des Parlaments selber.

Von 805 Sitzen waren 121 demokratisch besetzt. (Die Differenz von Abgeordneten und Sitzen ergibt sich daher, dass manche Abgeordnete mehrere Wahlkreise vertraten.) Zwar verband die Abgeordneten zweifellos das Interesse, Rechte für die deutschen Bürger zu erstreiten. Die Märzforderungen, zu denen unter anderem Pressefreiheit, Menschen- und Bürgerrechte sowie eine Verfassung gehörten, hat der Großteil von ihnen unterstützt.

Doch lässt sich die Einstellung der Mehrheit der Abgeordneten nicht als demokratisch bezeichnen. Was die demokratischen Abgeordneten der Zeit von den Liberalen und Konservativen unterschied war ihr Verständnis von Autorität. Alle Abgeordneten waren nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht gewählt worden, hatten den Auftrag also vom Volk bekommen. Doch die Mehrheit der Frankfurter Nationalversammlung berief sich nicht auf die Volkssouveränität, die für ein demokratisches System entscheidend ist. Vielmehr wollten sie ihre Anerkennung von oben absichern, von den Fürsten und Königen. Auch deshalb war die Frage nach einem deutschen Staatsoberhaupt – einem deutschen Kaiser – eine wichtige Streitfrage im Parlament.

Die Revolution von 1848 ging von der Straße aus, von den Massen. Doch die Masse galt vielen Bildungsbürgern – und hier kommt das Akademikerparlament vielleicht doch ins Spiel – als nicht qualifiziert, um Entscheidungen zu treffen. Die Masse war für sie emotional und unzurechnungsfähig, die Mündigkeit der vielen, wie wir sie heute praktizieren, wurde daher heruntergespielt oder negiert.

Frankfurt: Ein Meilenstein der Demokratiegeschichte?

Die Frankfurter Nationalversammlung war eine wichtige Errungenschaft der Revolution von 1848/49. Dass man hier, auf der Straße und in Zeitschriften über Menschen- und Bürgerrechte, über Verfassungen und Nationalstaat diskutierte, war ein völlig neue Art der Politisierung.

Die Nationalversammlung wies demokratische Elemente auf und unter ihren Unterstützer:innen fanden sich überzeugte Demokrat:innen.
Aber, das sollte man nicht aus dem Blick verlieren: Sie war keine Institution, die auf direktem Weg zur Demokratie führte oder führen sollte. Sie war Ergebnis eines Prozesses, dessen Ausgang offen war und über den lange und ausführlich gestritten wurde.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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