Demokratiegeschichten

Die Schlesischen Weber

Wen das Wort „Gedichtanalyse“ schaudern lässt, der liest besser eine andere Demokratiegeschichte. Denn heute will ich mich zur Abwechslung mal nicht dem Verfasser, sondern einem seiner Werke widmen. „Die Schlesischen Weber“ von Heinrich Heine, erschien vor 179 Jahren im Vorwärts!

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Die Ausgabe des Vorwärts mit dem Gedicht Die armen Weber (unten links) vom 10. Juli 1844. Foto: Wikipedia/gemeinfrei.

Das Gedicht

Im düstern Auge keine Thräne,
Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:
Deutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
     Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten
In Winterskälte und Hungersnöthen;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt –
     Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,
Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt,
Und uns wie Hunde erschießen läßt –
     Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,
Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Wo Fäulniß und Moder den Wurm erquickt –
     Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben Dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch,
     Wir weben, wir weben!

https://www.deutschelyrik.de/die-schlesischen-weber.407.html

Der Historische Hintergrund

Düstere Bilder entstehen, liest man sich das Gedicht von den schlesischen Webern durch. Gefletschte Zähne, ein dreifacher Fluch und ein krachender Webstuhl – eine bedrohliche Atmosphäre. Finster und angsteinflößend sind die Weber im Gedicht.

Doch Heinrich Heine hatte einen guten Grund, die Weber so darzustellen. Im Juni 1844 kam es in Schlesien zu einem Aufstand der dortigen Heimweber:innen.

Die schlesischen Weber (Gemälde Carl Wilhelm Hübner, 1846). Bild: gemeinfrei/Wikipedia.

Mit der beginnenden Industrialisierung (ab ca. 1830) traten nicht nur technische Neuerungen, sondern auch soziale Missstände auf. Im Textilgewerbe etwa konnten die von Heimarbeiter:innen gefertigten Stoffe nicht mehr mit denen in Fabriken hergestellten konkurrieren. Denn im Vergleich waren letztere schneller hergestellt und hatten eine höhere Qualität. Folglich zahlten die Kaufleute, von deren Preisen die Heimarbeiter:innen abhängig waren, diesen weniger Lohn. In vielen Fällen kam es so zu Ausbeutung und Lohnverfall. Die zunehmende Verelendung ganzer Bevölkerungsgruppen im Zuge der Industrialisierung und des Bevölkerungswachstums bezeichnet man auch als Soziale Frage.

Zum oben genannten Weberaufstand kam es dann, als sich schlesische Heimweber:innen gegen Fabrikbesitzer und Kaufleute auflehnten. Sie zerstörten Maschinen, verbrannten Geschäftsbücher und verwüsteten auch Privathäuser. Hart gingen sie dabei gegen jene vor, deren Löhne sie als ungerecht empfanden oder die Fremdarbeiter:innen beschäftigten. Einzelne Fabrikanten, die „gerechte Löhne“ zahlten, blieben unbehelligt.

Nach zwei Tagen schlug preußisches Militär den Weberaufstand nieder. Dabei wurden elf Menschen getötet und zwanzig verletzt. Die verhafteten Anführer:innen wurden in Prozessen nur milde bestraft: Richter sahen die Not der Weber:innen als Milderungsgrund an.

Öffentliche Aufmerksamkeit

Der Weberaufstand von 1844 war weder der erste Aufstand seiner Art, noch der mit den meisten Opfern. Arbeiterunruhen und Proteste gegen schwierigee Lebens- und Arbeitsbedingungen hatte es zu diesem Zeitpunkt schon viele gegeben.

Was diesen von anderen Aufständen unterschied, war das Ausmaß an öffentlicher Aufmerksamkeit für die Geschehnisse. Insbesondere die stetig wachsende und kritischer werdende Presse griff die Ereignisse auf und diskutierte sie ausgiebig und kontrovers. Literarische und künstlerische Werke trugen zur weiteren Bekanntheit bei.

Karikatur zum Schlesichen Weberaufstand in den 1840er Jahren; Bild: Wikipedia/gemeinfrei.

Zwar kann der Weberaufstand an sich kaum als politisch motiviert bezeichnet werden. Doch entstand durch die Diskussion der Ursachen und Motivein Presse und Literatur politische Meinungsbildung. Insbesondere Arbeiter:innen in Handwerken konnten mit den Weber:innen sympathisieren und ihre Lage und Motive nachvollziehen. Die Soziale Frage wurde offen diskutiert und zunehmend wurden damit auch politische Forderungen verbunden. Man könnte dementsprechend vorsichtig von einer Politisierung oder auch Bewusstwerdung der Arbeiterklasse sprechen. Dies war einer der entscheidenden Punkte für das Ausbrechen der Revolution von 1848.

In Heines Gedicht wird dieser Umbruch besonders deutlich, bzw. greift der Entwicklung voraus. Denn statt nur die Ausbeutung zu beklagen, klagen die Weber Autoritäten an: Gott, König und Vaterland. Und mehr: Die Weber in Heines Gedicht werden aktiv. Letztlich ist es ihr Weben, was zum Schluss Altdeutschlands Leichentuch herstellt. Altdeutschland – nicht Deutschland. Die Hoffnung und die Möglichkeit eines Neubeginns, nach politischem Umbruch, sind trotz der finsteren Bilder weiter im Gedicht vorhanden.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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