Demokratiegeschichten

Eine Gemeinschaftshalle architektonisch umgestalten – Kurt Beck und die Kommunalpolitik (I)

Der Streit um eine Gemeinschaftshalle

Als Kurt Beck 1989 Bürgermeister seines Heimatdorfes Steinfeld wird, sieht er sich mit einem Streit konfrontiert, der beispielhaft für viele kommunalpolitische Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik steht.

Im beschaulichen Steinfeld im Süden von Rheinland-Pfalz gibt es Ärger wegen einer kürzlich erbauten Gemeinschafts- und Merkzweckhalle. Aufgebrachte Anwohner:innen klagen gegen das Projekt, weil sie sich durch den regen Betrieb in und um die Halle herum gestört fühlen. Gerade abends, wenn besonders viele Menschen Veranstaltungen besuchen oder nach dem Sporttraining das Gebäude verlassen, störe die Halle die Ruhe in der Nachbarschaft. Am Ende bekommen die Klagenden Recht. Die Halle muss künftig um 20 Uhr schließen, die Benutzung des Gebäudes zu einem späteren Zeitpunkt ist nicht mehr erlaubt.

Allerdings ist schnell klar: Dies widerspricht völlig dem Sinn und Zweck einer Gemeinschaftshalle. Vereinsleben findet naturgemäß abends statt, weil die meisten Beteiligten tagsüber arbeiten und deshalb ihren Hobbys wie etwa dem Engagement im Sportverein oder im Chor nur im Anschluss daran nachkommen können. Viele Steinfelder beklagen nun, dass ihre Freizeitgestaltung entscheidend vom Zugang zur Mehrzweckhalle abhängt.

Ebenso aufgebracht wie zuvor die Anwohner:innen gehen deshalb jene Bürger:innen, die Steinfelds Mehrzweckhalle weiterhin zu den üblichen Zeiten nutzen wollen, vor dem Oberverwaltungsgericht in Berufung. Von Anfang an ist dieses Unterfangen wenig erfolgversprechend. Die Niederlage vor Gericht steht eigentlich schon fest, die Fronten zwischen den Steinfeldern scheinen sich mehr und mehr zu verhärten. Es ist nicht das erste Mal, dass in deutschen Dörfern oder Städten ein Streit wie dieser jahrzehntelang Unruhe und Ärger unter den Einwohner:innen schürt.

Beck als Streitschlichter und Kompromissfinder

Bürgermeister Kurt Beck möchte genau dies in Steinfeld vermeiden. Er sucht deshalb das Gespräch mit den betroffenen Nachbar:innen der Gemeinschaftshalle, hört sich ihren Ärger über die Halle und inzwischen wohl auch über ihre Mitbürger:innen an, die aus ihrer Sicht vermutlich schlicht uneinsichtig erscheinen. Am Ende gelingt es Beck in der Nacht vor dem entscheidenden Gerichtstermin, einen Kompromiss zwischen den streitenden Lagern auszuhandeln: Der Haupteingang der Gemeinschaftshalle wird auf die Hallenrückseite verlegt. Dies ist zwar architektonisch nicht unbedingt schön, aber die Nutzer:innen können das Gebäude nun betreten und verlassen, ohne die Anwohner:innen zu stören. Zudem werden die Wege und Zugänge zum Gebäude bepflanzt, was zusätzlichen Lärm- und Sichtschutz bietet.

Die Steinfelder Vereine können künftig wieder uneingeschränkt in der Halle trainieren, musizieren oder einfach nur Gemeinschaft erleben, die Nachbar:innen haben ihre Ruhe, ohne sich in ihrer Position als Nörgler:innen verteidigen zu müssen, und die Gemeinde hat Millionen Euro gespart, die im Falle einer Verlegung der Mehrzweckhalle fällig geworden wären. So ist es Beck gelungen, wieder Ruhe und Frieden in Steinfeld herzustellen.

Kommunalpolitik: Grundstein der Demokratie

Was machen Kommunalpolitiker:innen? Video: ZDF/Terra X.

Kommunalpolitik wird zu Recht als Grundstein und Schule der Demokratie bezeichnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft mit extrem zentralistischen Machtstrukturen sind es vor allem die auf kommunaler Ebene Aktiven, die sich selbst und ihren Mitbürger:innen beibringen, was es bedeutet, demokratisch Entscheidungen zu treffen. Nach zwölf Jahren totalitärer Diktatur müssen die Deutschen praktizierte Mitbestimmung und das Leben in einer Demokratie erst wieder lernen.

Entsprechend werden, auch wenn es mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland wieder Partizipationsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene gibt, diese nicht von heute auf morgen wahrgenommen. Erst verstärkt in den 1970er Jahren führen diejenigen, die in den Neuen sozialen Bewegungen wie der Friedens-, Ökologie- oder Frauenbewegung aktiv sind, gerade auf kommunaler Ebene Aktionen durch und gewinnen Mitstreiter:innen.

Die kleinste politische Einheit der Bundesrepublik

Dreieck mit dem Bund an der Spitze, darunter in Schichten die Bundesländer, optional Regierungsbezirke, (Land-)Kreise, optional Gemeindeverbände und Gemeinden. Die strikte Schichtung wird durchbrochen durch Stadtstaaten und Kreisfreie Städte, die Aufgaben mehrerer Schichten wahrnehmen.
Hierarchie der Verwaltungsgebiete in Deutschland, Foto.

Die Kommune, also eine Stadt oder Gemeinde, ist die kleinste politische Einheit der Bundesrepublik. Heute gibt es über 11.000 von ihnen im wiedervereinigten Deutschland. Sie übernehmen wichtige Verwaltungsaufgaben und halten die Infrastruktur aufrecht, auf die sich der Staat und damit auch die deutsche Demokratie stützt. Was für den einen oder die andere auf den ersten Blick wie ein unnötiges Klein-Klein wirken mag, nützt vor allem den Bürger:innen. Denn zentralistisch aufgebaute Staaten haben eine gewisse Vorliebe für Großprojekte aller Art, bei deren Umsetzung sie sich aber wenig um die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung sorgen.

Föderal strukturierte Länder dagegen sind gezwungen, die Menschen vor Ort einzubeziehen und Lösungen zu finden, die von den Bürger:innen akzeptiert werden. So gilt in Deutschland das Subsidiaritätsprinzip. Dieses besagt, dass Probleme auf der politischen Ebene gelöst werden sollen, wo dies am schnellsten und zweckdienlichsten möglich ist. Dadurch ist die Kommunalpolitik nicht einfach nur der verlängerte Arm der Landes- und Bundespolitik, sondern hat eigene Kompetenzen. Die kommunale Selbstverwaltung ist im Grundgesetz festgelegt. Gemeinden verwalten also selbst die ihnen zustehenden Ressourcen, Personal und Strukturen.

Teil II folgt am XX.

Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus der Publikation Vorbilder der Demokratiegeschichte. Handlungen und Einstellungen, die beeindrucken und Orientierung geben können. Diese und weitere Veröffentlichungen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. können kostenfrei in der Geschäftsstelle bestellt werden und stehen hier zum Download zur Verfügung.

Teil II des Beitrags folgt am 28.11.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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