Demokratiegeschichten

„Einig Vaterland“? Eine ganz persönliche „Spur der Steine“ von West nach Ost

Fast dreieinhalb Meter sind sie hoch, die Betonblöcke eines arg sperrigen Mahnmals namens „Unteilbares Deutschland“ mitten im westfälischen Münster. Umwickelt durch eine Kette, eisenhart, kalt, unbeweglich, symbolisieren sie die Macht-Blöcke des Kalten Krieges, die zweierlei Teile Deutschlands, die noch so unüberbrückbar getrennt erschienen und eben doch symbolisch irgendwie aufs Engste als „Einig Vaterland“ verbunden verbleiben sollten: Zeichen der Zeit, als die Freiplastik in der Innenstadt von Münster aufgestellt worden war. Und zwar im Winter vor dem Berliner Mauerbau ab 13. August 1961. Anni Buschkötter, eine Absolventin der Werkkunstschule Münster, hatte das „Unteilbare Deutschland“ geschaffen  – und 30 Jahre später in Euphorie nach der ‚Friedlichen Revolution‘ angeregt, noch ein Schild anzubringen. Mit den Jahreszahlen 1945-1990.

Münster, Servatiiplatz: Mahmal Unteilbares Deutschland; Foto: Rüdiger Wölk, Münster; CC BY-SA 2.5

Die zwei Beton-Klötze sagten mir lange Zeit herzlich wenig. Doch ausgerechnet das Schild, das zur deutsch-deutschen Teilungsgeschichte und deren Überwindung weist, weckt in mir aufwühlende Erinnerungen: Tief im Westen aufgewachsen, besuchte ich als Schüler in den letzten drei Jahren der real existierenden DDR oft mit meinen Eltern Dresden, Weimar, Eisenach, Lychen, Potsdam, Aschersleben, Ost-Berlin, Schwedt, Guben und Frankfurt. Von Rhein, Ruhr und Aa bis an Oder und Neiße – das war einerseits ein richtiges Abenteuer aus meiner jugendlichen Sicht. Und bei den Grenzkontrollen hatte ich plötzlich regelrecht Angst.

Wendehälse und Besserwessis

Heute bin ich froh, „drüben“ mit vielen Deutschen offen geredet zu haben, als sie noch DDR-Bürgerinnen und Bürger waren. Denn ich hoffe, dadurch auch Wandel, „Wende“ und „Wendehälse“ oder andere harte Wechsel der jüngsten drei deutschen Jahrzehnte etwas besser zu begreifen. Und auch mal Unbegreifliches einfach stehen lassen zu können.

Vor allem die zerstörte Dresdner Frauenkirche mit Martin Luthers Statue in Bronze davor hat sich mir als ein Bild bis heute tief in die Seele gebrannt. Und ich muss zugeben, dass ich als junger „Besserwessi“ Mitte der 1990er Jahre vehement gegen einen Wiederaufbau des Ensembles war. Damals erschien mir das mahnende Gedenken an den Zweiten Weltkrieg deutlich wichtiger als irgendeine rekonstruierte barocke Touri-Kulisse.

„Spur der Steine“ – Bedeutungen hier wie dort

Verstanden habe ich erst viel, viel später, was diese Kirche den Menschen in Sachsen, Stiftern, Spendern, Frommen auf der ganzen Welt bedeutet. Wie stark das Leiden an der „Barack- statt Barockstadt“ Dresden war. Am Zwinger der so genannte „Fresswürfel“, Verfall in der Neustadt, Steinhaufen und Bombenkrater der Kirche taten in den Augen weh.

Wie gepuzzelt und „gepatchworkt“ wirkt die Fassade der neu aufgebauten Frauenkirche jetzt oft auf mich: Der alte Sandstein, der mit verbaut wurde, hat Patina, auch hier macht sich Eisen bemerkbar. Das neue Material aus Elbsandstein dunkelt noch nach. Auch den Beton und die Eisenkette des „Unteilbaren Deutschlands“ auf dem Rasen an der Promenade zu Münster sehe ich inzwischen mit völlig anderen Augen als noch vor zehn, zwanzig, dreißig Jahren. Mir ist jetzt klar, dass wir die „Spur der Steine“ hier wie dort mit ihren Bedeutungen, mit Verve, Appellen, Sorgen, Nöten intensiver verfolgen müssen, um einander auch als Menschen besser zu verstehen.

Stefan Querl wuchs als evangelisch-reformierter Pastorensohn im Ruhrgebiet und am Niederrhein auf. Er kam als Konfirmand früh mit kirchlichen Partnergemeinden in den ostdeutschen Gliedkirchen der EKD in Kontakt, nämlich über sein Elternhaus und die Reisen zu Synoden und zu den Christinnen und Christen in der damaligen DDR. Im westfälischen Münster erklärt er mittlerweile für die Regionalarbeitsgruppe Münsterland von Gegen Vergessen – Für Demokratie bei Fahrradtouren die Bedeutung des Mahnmals namens „Unteilbares Deutschland“.

Der Film „Spur der Steine“ mit Manfred Krug, Krystyna Stypułkowska und anderen Schauspielerinnen und Schauspielern, gedreht von der DEFA, kassiert von der Zensur in der DDR wegen angeblich „antisozialistischer Tendenzen“, hat ihm enorm imponiert. Beruflich tätig ist er als stellvertretender Leiter des Geschichtsorts Villa ten Hompel in Münster, der Erinnerungsstätte.

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Über uns 
Stefan Querl, Jahrgang 1974, besuchte kurz vor Ende des Kalten Kriegs während einer Auschwitz-Exkursion nach Oświęcim und Kraków erstmals Polen. Seither engagiert er sich im Maximilian Kolbe Werk. Die kirchliche Hilfsorganisation begleitet polnische Überlebende von Ghettos, Konzentrationslagern, Gestapo-Gefängnissen - das ganz unabhängig von ihrer Herkunft, politischen Haltung, Religionszugehörigkeit oder Weltanschauung. Der Mitarbeiter der Erinnerungsstätte Villa ten Hompel in Münster ist Mitglied von Gegen Vergessen Für Demokratie.

3 Kommentare

  1. Ricarda Forysch

    7. Oktober 2019 - 12:21
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    Danke für die persönliche Spurensuche. Sie lädt zum Innehalten und Neudenken ein.

  2. Niklas Barden

    7. Oktober 2019 - 14:34
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    In meinem Geschichtszusatzkurs, den ich als Schüler belegte, baten wir unseren Lehrer die DDR zu behandeln. Es dauerte tatsächlich ein paar Minuten bis er uns erstaunt antwortete: „Stimmt, für euch ist das Geschichte.“ Dieser Moment ist mir noch sehr gut in Erinnerung.
    Ich gehöre zu den ersten Jahrgängen, die die DDR nicht erlebt haben. Lange Zeit habe ich deshalb nicht verstanden, warum zwischen West und Ost/Ost und West unterschieden wird. Erst mit der Zeit, mit Erzählungen, Geschichten, Büchern und Dokumentationen habe ich gelernt die Unterscheidung wahrzunehmen. Und an dieser Stelle frage ich mich, ob ich wirklich die Unterschiede oder tatsächlich die Wahrnehmung gelernt habe? Denn der Unterschied zwischen meinem Geschichtslehrer und meinem Kurs ist für mich symbolisch für einen Generationenkonflikt von Menschen, die die Teilung und den Zusammenschluss erlebt haben und den Menschen, für die der Zusammenschluss selbstverständlich ist. Es ist eine große Aufgabe der aktuellen Zeit, dass wir die Selbstverständlichkeit nicht zu groß werden lassen und gleichzeitig sollte darauf geachtet werden, dass die aufgezeigten Unterschiede nicht wieder zur Teilung führen. Ich hoffe, dass wir alle ein gutes Maß für ein Zusammenwachsen finden, was die Vergangenheit in Erinnerung behält, ohne dabei die gemeinsame Zukunft zu gefährden.

  3. Kerstin

    8. Oktober 2019 - 10:34
    Antworten

    hallo, Niklas, ich hab mich sehr über Deinen Kommentar gefreut wie auch über den Artikel, der sich mit der DDR und der Teilung Deutschlands beschäftigt. Ich bin Jahrgang 1961, habe schon als Kind und Jugendliche die DDR besucht, weil ich dort Verwandte und eine Brieffreundin hatte und die Teilung Deutschlands gehörte zu meinem Alltag. Ich habe mich an dem Wort Generationenkonflikt gestoßen. Ja, es ist bestimmt nicht selbstverständlich, dass sich jüngere Menschen für die DDR und ihre Geschichte interessieren, aber es schockt mich immer wieder, dass in meiner Generation, die ja viel mehr miterlebt hat so wenig Interesse am „Osten“ da ist. Ich glaube, dass wir in der Gegenwart viel Neugier, Interesse und die Bereitschaft zum Kennenlernen brauchen- in allen Generationen-um wirklich ein „ungeteiltes Deutschland“ zu sein.

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