Demokratiegeschichten

Im Parlament nach Kompromissen streben – Robert Blum und die Frankfurter Nationalversammlung (I)

Auf dem Paulsplatz in Frankfurt versammelt sich im September 1848 eine aufgebrachte Menge demokratisch gesinnter Bürger:innen. Ihre Wut richtet sich gegen die preußischen Soldaten, die um die Paulskirche herum Stellung bezogen haben. Die Aufgabe der Militärs ist es, die Angehörigen der Nationalversammlung, die in dem Gebäude tagt, vor den Protestierenden draußen zu schützen. Denn eigentlich sind es genau diese Abgeordneten und ihre Zustimmung zu einem Waffelstillstand, auf die die Menschenmenge wütend ist. Bald schon errichten die Protestierenden in den Straßen Barrikaden und bewaffnen sich. Sie machen sich bereit für eine zweite Revolution, nachdem die erste im März nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht hat. So stehen am 18. September 1848 in Frankfurt 500 wutentbrannte Aufständische mehreren Tausend ausgebildeten Soldaten gegenüber.

Wer vertritt hier eigentlich wen?

Die Abgeordneten in der Paulskirche werden zunehmend unruhig. Die wütenden Massen vor der Tür, deren Vertreter sie ja eigentlich sind, sind ihnen überhaupt nicht mehr geheuer. Robert Blum, der wohl bekannteste und beim Volk beliebteste Abgeordnete, ergreift die Initiative. Er bittet darum, mit den Aufständischen verhandeln zu dürfen, bevor ein Feuerbefehl an die preußischen Soldaten geht. Begleitet von anderen Abgeordneten der Linken, verlässt Blum das Parlament und eilt zu den Barrikaden. Er versucht, die aufgebrachten Bürger:innen zu beruhigen und davon zu überzeugen, dass Gewalt nicht der richtige Weg sei. Blum bittet, fleht die wütende Menge sogar an, die Barrikaden wieder abzubauen.

Abgeordnete der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche (Robert Blum links neben der Wahlurne). Gemälde von Gerhard Delius, 1848. Quelle: gemeinfrei

Der linke Abgeordnete findet sich dabei in einer paradoxen Situation wieder. Eigentlich gilt er als Mann des Volkes, der selbst in Armut aufgewachsen ist und deshalb die Probleme und Nöte der einfachen Leute kennt. Zudem stimmt er den Forderungen der Aufständischen eigentlich zu. Noch vor wenigen Tagen hat er sich im Parlament gegen den umstrittenen Waffenstillstand ausgesprochen, hat die Abgeordneten ermahnt, dem Willen des Volkes zu folgen. Und jetzt steht Blum denjenigen gegenüber, als deren Repräsentant und Verbündeter er sich versteht, und versucht sie davon abzuhalten, ihre Forderungen mit allen Mitteln durchzusetzen.

Der Kompromiss als oberstes Gebot

Auch in den Augen der Aufständischen steht nicht der Robert Blum vor ihnen, den sie die vergangenen Monate so sehr verehrt haben. Sie nehmen ihn nicht mehr ernst, verhöhnen ihn und die anderen „hohen Herren“ in der Paulskirche. Ihrer Meinung nach sind diese sich schlicht zu schade, selbst mit der Waffe in der Hand auf den Barrikaden für die Freiheit aller zu kämpfen. Doch Blum bleibt hartnäckig, trotz des Spotts und der Ablehnung, die ihm in diesem Moment entgegengebrüllt werden. Er deutet auf die Paulskirche und versucht der aufgebrachten Menge klarzumachen, dass nur der Weg durchs Parlament der richtige ist. Dort wird um Kompromisse gerungen, um einen Ausgleich, mit dem am Ende alle leben können. Nur von der Mehrheit getroffene Beschlüsse sind für ihn legitim und haben Bestand.

Wilder Aktionismus ist nie Blums Sache gewesen, schon Demonstrationen sind ihm ein Stück weit suspekt. Deshalb setzt er auch heute bis zuletzt auf Vermittlung, sucht verzweifelt nach irgendeiner Art von Kompromiss. Er warnt die Aufständischen vor unüberlegtem Handeln, weist sie auf die militärische Übermacht der preußischen Soldaten hin, denen sie sich im Falle eines Kampfes gegenübersähen. Ebenso warnt er die Autoritäten vor einem Einsatz ebenjener Soldaten gegen die protestierenden Bürger:innen. Der Schaden für das Ansehen des Parlaments würde sich wohl kaum wiedergutmachen lassen. Wer würde der Frankfurter Nationalversammlung denn dann noch vertrauen? Alle bisherigen Errungenschaften des Revolutionsjahrs 1848 stehen an diesem Septembertag in Frankfurt auf dem Spiel.

Große Hoffnungen sind mit den revolutionären Aufständen im März 1848 überall in Deutschland verbunden. Kreidelithographie einer Barrikadenszene in der Nacht vom 18. auf den 19. März 1848, 1848-50. Quelle: gemeinfrei

Das Parlament in Frankfurt

Als im Februar 1848 aus Frankreich die Nachricht einer erfolgreichen Revolution eintrifft, begehren auch in den deutschen Ländern zahlreiche Untertanen gegen ihre Fürsten auf, fordern mehr Rechte und Freiheiten. Zunächst finden die Forderungen, Demonstrationen und teilweise auch Aufstände auf lokaler Ebene statt. Die deutsche Revolution entbrennt an vielen Stellen fast zeitgleich.

Doch bald nationalisiert sich die Bewegung. So versammeln sich Vertreter aus fast allen deutschen Ländern in Frankfurt am Main, um in der Paulskirche als sogenanntes Vorparlament über demokratische Wahlen zu debattieren. Robert Blum ist einer von ihnen. Als Vertreter Zwickaus reist er Ende März nach Frankfurt. Die ganze Stadt erstrahlt in Schwarz-Rot-Gold. Jahrhundertelang sind hier die Kaiser des Heiligen Römischen Reichs gekrönt worden, seit 1815 tagt am Main die Bundesversammlung. Und nun soll das Vorparlament hier die Gründung eines deutschen Nationalstaats vorbereiten.

Wie soll Deutschland künftig aussehen?

Der Einzug des Vorparlaments in die Paulskirche am 21. März 1848 in Frankfurt am Main.
Jean Ventadour, 1848. Quelle: gemeinfrei

Blum ist grundsätzlich zwar radikal in seinen Forderungen: Er will eine parlamentarische Republik und ist Demokrat durch und durch. Seine zentralen Ziele sind Freiheit, Fortschritt und Gerechtigkeit, alles unter dem Dach der deutschen Einheit. Doch er sucht auch immer den Ausgleich mit den Vertretern der gemäßigteren Liberalen, da auch er die Revolution mit Recht und Gesetz in geordnete Bahnen lenken möchte. Anders als die Radikaldemokraten, die den Fürsten die Macht gewaltsam entreißen möchten. Als sie das Parlament schließlich entrüstet verlassen, um die Revolution im Kampf fortzuführen, ist Blum entgeistert.

Das hartnäckige Festhalten der Radikalen an der eigenen Position bringt in Blums Augen weder die Revolution voran, noch liefert es irgendeinen Beitrag zur Schaffung der deutschen Einheit. Dies kann nur gelingen, wenn man sich auch die Argumente des politischen Gegners anhört. Nicht nur zwischen den Fraktionen innerhalb des Parlaments, sondern auch zwischen Parlament und Bürger:innen tritt Blum als Vermittler auf. Er erkennt schnell, dass eine zu weite Kluft zwischen Volk und Volksvertretung nichts Gutes bedeuten würde.

Teil II erscheint am 13. Dezember.

Bei diesem Text handelt es sich um einen Auszug aus der Publikation Vorbilder der Demokratiegeschichte. Handlungen und Einstellungen, die beeindrucken und Orientierung geben können. Diese und weitere Veröffentlichungen von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. können kostenfrei in der Geschäftsstelle bestellt werden und stehen hier zum Download zur Verfügung.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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