Demokratiegeschichten

Kant: Universalist und Rassist?

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.

Immanuel Kant, Gesammelte Schriften. Hrsg.: Bd. 1–22 Preussische Akademie der Wissenschaften, Bd. 23 Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, ab Bd. 24 Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berlin 1900ff., AA IV, 421.
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Immanuel Kant. Aquatint silhouette. Bild: Wikimedia/CC BY 4.0 DEED.

Nur bei wenigen Sätzen kann man zurecht sagen, sie hätten das Denken und die Geschichte der Menschheit verändert. Doch der oben zitierte kategorische Imperativ, den Immanuel Kant 1788 in der Kritik der praktischen Vernunft bestimmte, gehört zweifellos dazu.

Ein wichtiger Faktor des kategorischen Imperativs ist, dass er für alle Menschen gelten soll. Zeit und Situationen unabhängig soll jeder Mensch nach dieser Maxime handeln, Ausnahmen gibt es nicht. Diese Art von Moralphilosophie wird daher auch als Universalismus (lat. universalis = allgemein) bezeichnet.

Wie universalistisch war Kant wirklich?

Wie kommt es also, dass Kant, der die gleichen Rechte, Ideale und Pflichten für alle Menschen geltend machen wollte, heute wieder mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert ist?

Das liegt beispielsweise daran, dass Mitschriften aus seinen Vorlesungen in Königsberg zeigen, dass Kant etwa davon sprach, die weiße Rasse sei am vollkommensten. In seiner Schrift Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen von 1764 findet sich der Ausspruch, dass schwarze Menschen „von der Natur kein Gefühl“ besäßen, „welches über das Läppische stiege“. Den amerikanischen Ureinwohner:innen sagte er noch 1788 in Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie nach, sie seien „unfähig zu aller Cultur“.

Auch Menschen jüdischen Glaubens, Sinti und Roma, asiatische Bevölkerungsgruppen, Frauen und Kinder gehören nicht zu der allumfassenden Menschheit, auf die Kant seine Philosophie bezieht. Denn seiner Auffassung nach fehlt es all diesen Gruppen an geistigen und kulturellen Fähigkeiten.

Damit aber kommt Kant gefährlich nahe daran, diesen Personen Vernunft abzusprechen. Ohne Vernunft ist es aber kaum einem Menschen möglich, sich aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu befreien. So definiert Kant 1783 Aufklärung, als deren wichtigster europäischer Vertreter er gilt. Wer also nicht über Vernunft verfügt, dem oder der fehlt es auch an der Fähigkeit zur Autonomie. Und damit wiederum könnte auch der Universalismus nicht mehr gelten und würde an seine Grenzen stoßen. Dieser universelle Anspruch ist aber Kern von Kants Moralphilosophie.

Wie kommt es aber zu diesem Widerspruch in Kants Denken? Hätte er es nicht besser wissen müssen?

Kants Rassismus: Ein Trend der Zeit?

Schaut man sich die Texte von europäischen Philosophen der Zeit an, erkennt man schnell, dass Kant mit seiner Einstellung kein Einzelfall war. Dies ist nicht als Entschuldigung gemeint, lediglich ein Teil der Erklärung.

Kant lebte, bevor Darwin seine Evolutionstheorie erarbeitete oder Mendel seine Regeln zum Vererbungsvorgang entwickelte. Dennoch versuchte er, die Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen, was er als „Rassen“ bezeichnete, zu erklären. Dies machte er an offensichtlichen Merkmalen wie etwa der Hautfarbe fest. Unterschiede zwischen den vier, bzw. fünf „Rassen“, die er definierte, erklärte er u.a. anhand von Klima- und Umwelteinflüssen.

Hinter dieser Kategorisierung steckte nicht die Absicht, eine Ungleichbehandlung einzuführen oder zu rechtfertigen. Allerdings hatte dies dennoch den Effekt, weil Kant eben, wie oben beschrieben, den jeweiligen Gruppen unterschiedliche hohe Vernunftfähigkeit zugestand. Insbesondere letzteres stellt aber ein Werturteil dar, das aus heutiger Sicht absolut unzulässig ist. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass Kant weiße Menschen (auch hier mit Ausnahmen!) nicht aufgrund ihres Äußeren für vollkommener hielt, sondern weil er ihnen aufgrund ihres Äußeren höhere geistige Fähigkeiten zuschrieb.

Nun ist aber gerade das Vorurteil vom „unzivilisierten, unkultivierten Wilden“ eines, das Kolonialist:innen lange Zeit nutzten, um die Unterdrückung fremder Völker zu rechtfertigen. Im Namen von Nation, Zivilisation (und Religion) wurden als barbarisch und kulturlose angesehene Völker unterdrückt, versklavt und ausgebeutet.

Kants Weltenbürger: Gegner des Kolonialismus

Finden sich in Kants Werken rassistische Gedanken und Äußerungen? Diese Frage ist klar mit Ja zu beantworten. Unterstützte Kant also eine Hierarchie der Völker oder kolonialistische Bestrebungen? Während die Antwort auf den ersten Teil der Frage wohl nicht ganz eindeutig zu beantworten ist, muss die Antwort auf den zweiten Teil für sein späteres Leben ein klares Nein sein.

In seinen späteren Werken wie Zum ewigen Frieden und der Metaphysik der Sitten argumentiert Kant u.a. für das angeborene Recht auf Freiheit jedes Menschen. Und er übt starke Kritik an den Kolonialmächten:

Vergleicht man hiemit das inhospitale Betragen der gesitteten, vornehmlich handeltreibenden Staaten unseres Welttheils, so geht die Ungerechtigkeit, die sie in dem Besuche fremder Länder und Völker (welches ihnen mit dem Erobern derselben für einerlei gilt) beweisen, bis zum Erschrecken weit. Amerika, die Negerländer, die Gewürzinseln, das Cap etc. waren bei ihrer Entdeckung für sie Länder, die keinem angehörten; denn die Einwohner rechneten sie für nichts.

Immanuel Kant, “Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795),” Gesammelte Schriften Bd. VIII, dritter Definitivartikel.

Dann fährt Kant fort und führt die Idee des Weltbürgerrechts ein. Also eines Recht, das allen Menschen zukommen soll – egal, wo sie leben:

Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine nothwendige Ergänzung des ungeschriebenen Codex sowohl des Staats= als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt und so zum ewigen Frieden(…).

Immanuel Kant, “Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf (1795),” Gesammelte Schriften Bd. VIII, dritter Definitivartikel.

300 Jahre nach Kant: Wie umgehen mit seiner Philosophie?

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Büste von Kant in der Walhalla bei Regensburg; Foto: Hajotthu/CC BY-SA 3.0 DDED.

Vor 300 Jahren wurde Kant geboren, vor 220 Jahren ist er gestorben.

Insbesondere, aber nicht ausschließlich, in seinen früheren Schriften findet man rassistische Vorurteile. Diese erklären sich teilweise durch strukturelle rassistische Denkmuster, die in der Gesellschaft der Zeit vorherrschten (und es teilweise heute auch noch tun).

Trotzdem lässt der Gedanke nicht los, dass Kant als der Begründer der universellen Moralphilosophie es besser hätte wissen können. Zwar sprach er Menschen nie ihren Mensch- oder Personenstatus ab, distanzierte sich in späteren Jahren aber auch nicht von seinen früheren Überlegung zu rassischen Eigenschaften und Hierarchien.

Dennoch positionierte er sich klar gegen Sklaverei und war einer der stärksten Kritiker des Kolonialismus. Mit der Idee des Weltbürgerrechts gibt er uns ein weiteres Instrument, gegen seine früheren Äußerungen und Werke zu argumentieren.

Sollte man seinen 300. Geburtstag also feiern und einmal fünf gerade stehen lassen? Ich denke, in Kants Sinne wäre vermutlich, jede:r würde diese Frage für sich selbst entscheiden – und sich des eigenen Verstandes bedienen.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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