Demokratiegeschichten

Von der Kraft der Entscheidung

Ein Gedanke dazu, warum ich in einem Land mit enormen innenpolitischen Herausforderungen gute Laune habe, weil ich in der politischen Bildung arbeite

Ich denke, wir können uns entscheiden. Für ein Zugehen aufeinander, trotz der inneren Überzeugung, dass der oder die andere im Gespräch eben völlig idiotisch handelte oder argumentierte. Ein Aushalten dieser Widersprüche – oder auch dezidierten Antipathien – kann uns wachsen lassen.

Als wissenschaftliche Referentin im Fachbereich Extremismusprävention im Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. stelle ich das gerne so konstruktiv dar.

Mal ehrlich

Als Privatperson reißt mir natürlich auch hin und wieder der Geduldsfaden, wenn ich mit Widersprüchen konfrontiert bin. Ein Beispiel: In einer Mail schrieb mir meine Schulfreundin, Corona sei ein Spiel mit der Angst. Todesangst sei das eigentlich Tödliche, nicht das Virus. Beim gemeinsamen Spaziergang sagt sie mir, es gebe eine nur einseitige Berichterstattung über die Notbremse. Die Intensivstationen wären ausgelastet wie sonst auch. Ich frage nach. Wir stellen fest, dass wir uneins sind.

Tatsache ist: Mein Geduldsfaden bleibt erhalten, wenn ich im Gespräch mit ihr bin. Ich lasse ihn erst einen Abend später reißen, als ich am Telefon einer anderen Freundin von dem schwierigen Spaziergangsgespräch berichte.

Hier merke ich dann, wie schwer es mir als Privatperson fällt, Verständnis für die Einschätzung meiner Schulfreundin aufzubringen. Denn ich wiederum nehme in diesem Jahr durchaus eine mediale Berichterstattungen wahr, in der kritische Stimmen laut werden.

Entschwörungstheoretiker:innen

Warum wird denn soziales Miteinander mitunter so unfassbar anstrengend, frage ich mich.

Ich denke, deshalb: Ich entscheide mich ganz bewusst dafür, eine eigene Position zu beziehen. Ich entscheide mich dafür, sie auch dann aufrecht zu erhalten, wenn ich mit kontrastierenden Meinungen konfrontiert bin. Ich entscheide mich dafür, selbst Kritik zu äußern, auch wenn es niemand neben mir tut oder meine Meinung unbestätigt bleibt. All dies ist nämlich im sozialen Raum wichtig.

Warum wird denn aber soziales Miteinander mitunter so unfassbar anstrengend, frage ich mich.

Bei diesem sichtbaren und lauten Positionieren handelt es sich um die erste meiner Entscheidungen, von denen dieser Blogbeitrag handelt.

Außerdem bemühe ich mich, den Ursprüngen pauschalisierender und fragwürdig recherchierter Positionen auf die Schliche zu kommen. Zahlreiche Onlineformate und Printanalysen helfen mir, die Muster hinter Verschwörungstheorien aka antisemitischen aka menschenfeindlichen Legenden nachzuvollziehen.

Was sind mir meine Werte wert?

Nicht nur meine Urteilsbildung für mich im Stillen zählt. Sondern auch, ob ich couragiert eintrete für meine Position und meine Werte.

Wer das in anderen Zeiten tat, zahlte dafür einen hohen Preis. Auch ich zahle einen gewissen Preis: Menschen wenden sich von mir ab, Freundschaften werden auf die Probe gestellt. Aber wieviel mehr Wert ist es, mündig durch die Welt zu gehen und eine gesellschaftliche Vision im Auge zu haben statt des eigenen Prestiges? Sehr viel mehr, denke ich mit Blick aus dem Bürofenster, der mir den Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zeigt.

Foto: Blick in den Ehrenhof der Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Die zweite Etage des historischen Gebäudes auf der linken Seite empfängt wieder Besucher:innen der Ausstellung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die dort Motive, Methoden und Ziele des Kampfes gegen die nationalsozialistische Dikatur vorstellt.

Heute scheint die Sonne auf einen Platz, der von Gewalt erzählt. Der Wind fährt friedlich durch Blätter einer alten Rotbuche. Sie steht vor unserem Bürozimmer im historischen Gebäudekomplex des Bendlerblocks. Sie steht dort auf jenem Hof, auf dem im Sommer 1944 mehrere Menschen andere Menschen erschossen.

So viele Jahre sind vergangen, seitdem auf deutschem Boden hier in Berlin-Mitte Menschen zu den Waffen griffen. Auf diesem Hof wurden am 20. und 21. Juli die vier Offiziere Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften kurz nach ihrem misslungenen Attentat umgebracht.

Beim Blick aus dem Fenster geht mir durch den Kopf: Wir können uns entscheiden, ob wir friedlich zusammen leben, oder ob wir in Feindschaft und steigender Aversion aufeinanderzugehen.

Ich kehre gedanklich wieder in die Gegenwart zurück.

Mit wem rede ich eigentlich?

In den meisten Situationen kann es gelingen, auszubalancieren, was uns voneinander unterscheidet. Als Privatperson bin ich auch mal entnervt. Manchen Personen erteile ich eine Absage. Die meiste Zeit aber widme ich der Arbeit dafür, dass wir als Gesellschaft dialogfähig bleiben.

Als Privatperson bin ich auch mal entnervt. Aber die meiste Zeit widme ich der Arbeit dafür, dass wir als Gesellschaft dialogfähig bleiben.

Im Alltag in der politischen Bildung erfahre ich von Kolleg:innen, politischen Akteur:innen auf Bundes- und Kommunalebene und Engagierten zivilgesellschaftlicher Organisationen, wo überall Menschen für ein vielfältiges und respektvolles Miteinander aktiv sind.

Das zeigt mir, dass wir in der Lage sind, menschliches Zusammenleben konstruktiv zu gestalten. Das ist die ultimative Quelle meiner guten Laune.

PS: Wer sich dafür interessiert, was Menschen in Deutschland alles so für ein respektvolles Miteinander tun, kann z.B. im Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ fündig werden.

Hier ist eine Landkarte mit Projekten zu finden.

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Über uns 
Ann R. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als wissenschaftliche Referentin im Fachbereich Extremismusprävention.

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