Demokratiegeschichten

Was ist ein Name?

Was ist ein Name? Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften.

William Shakespeare (1564 – 1616), englischer Dichter, Dramatiker, Schauspieler und Theaterleiter; Quelle: Shakespeare, Romeo und Julia, 1595, Raubdruck 1597, Erstdruck 1599

Um Shakespeares Worte anders auszudrücken: Einer Blume ist ihr Name egal. Wie auch immer wir sie nennen, sie duftet gleich.

Was aber, wenn ich anfangen würde, jede Rose fortan als Tulpe zu bezeichnen? Wäre das dann auch noch egal?

Den Blumen: Ganz bestimmt. Meinen Mitmenschen: Bestimmt nicht.

Doch warum ist das so? Und was haben Namen mit Demokratie zu tun?

Nomen est omen

Viele Figuren in „Asterix und Obelix“ sind nach ihren Funktionen benannt. So etwa Miraculix (dt. Mirakel, Wunderwerk), der den Zaubertrank braut.

Müsste ich den Kern dieses Beitrags fassen, würde ich sagen: Namen haben Bedeutung. Bedeutung im Sinne von Wichtigkeit, aber auch im Sinne von „das meint/bedeutet“.

Namen haben sogar so viel Bedeutung, dass jeder Mensch ein Recht auf einen eigenen Namen hat. So heißt es in der UN-Kinderrechtskonvention:

Das Kind […] hat das Recht auf einen Namen von Geburt an […].


Art. 7 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention.

Mit dem Recht auf einen eigenen Namen hängt das Recht auf eine eigene Identität zusammen. Erst mit dem Eintrag in das Geburtenregister existiert ein Mensch für den Staat und kann seine Rechte wahrnehmen. Außerdem darf in Deutschland kein Name an ein Kind vergeben werden, der negativ behaftet ist.

Eine Liste mit verbotenen Namen gibt es allerdings nicht. Eltern haben Wahlfreiheit beim Namen des Kindes. Aber die zuständigen Standesbeamt:innen entscheiden, ob der Name das Wohl des Kindes negativ beeinflussen könnte. Verboten wurden bisher deshalb beispielsweise Namen wie Judas, Herbstwind und Störenfried.

Namen in der Öffentlichkeit

Namen gehören nicht nur zur Identität eines Menschen. Sondern sie prägen auch den öffentlichen Raum. Beispielsweise in Form von Straßennamen oder als Namen von Gebäuden.

Viele Namen gehören so zu unserem Alltag, dass wir uns über sie kaum oder keine Gedanken mehr machen. Täglich fahren wir durch Straßen oder an Gebäuden vorbei, deren Namen einfach dazugehören. Manchmal jedoch rücken Namen aus der vermeintlichen Bedeutungslosigkeit in den Fokus der Öffentlichkeit. Das geschieht etwa dann, wenn um eine Umbenennung diskutiert wird.

Zu diesen Diskussionen kommt es etwa dann, wenn sich die Einschätzung einer Person (nach der die entsprechende Straße benannt wurde) verändert hat. Unsere Gesellschaft ist im Wandel und damit auch ihr Blick auf historische Epochen und Persönlichkeiten. Wer vor Jahrzehnten durch eine Straßenbenennung geehrt wurde, dessen „Ehrenhaftigkeit“ wird heute möglicherweise hinterfragt.

2012 beschloss der Rat Münster die Umbenennung von Hindenburgplatz in Schlossplatz. Eine Bürgerinitiative zur Rückbenennung in Hindenburgplatz scheiterte; die Mehrheit der Abstimmenden unterstützte den neuen Namen. Hintergründe: Stadt Münster. Foto: Wikimedia.

Als Beispiel kann man Namen von Personen anführen, die während der NS-Zeit vom Regime profitiert haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden – oft auf Druck der oder durch die Alliierten – Straßen, die nach NS-Funktionären benannt waren, umbenannt. Die Maßstäbe und Gründlichkeit waren von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Während Adolf Hitler-Straßen überall verschwanden, blieben beispielsweise Hindenburg-Straßen vielerorts erhalten. Letzterer hatte zwar als Reichspräsident eine Rolle beim Ende der Weimarer Republik und dem Aufstieg des Nationalsozialismus gespielt, war aber nie Parteimitglied gewesen und oft auch für seine „Verdienste“ als General mit Benennungen geehrt worden. Erst in den 70er und 80er Jahren, als die Aufarbeitung der NS-Zeit wirklich begann, kam es zu Diskussionen, die von den Gemeinden ausgingen. Sie werden bis in die Gegenwart geführt.

Was soll (nicht mehr) erinnert werden?

Viele weitere Straßen, Themen und Namen sorgen für Diskussionen. In den letzten Jahren wurde etwa vielerorts über Straßennamen diskutiert, die mit der deutschen Kolonialvergangenheit zusammenhängen. Kolonialherren, aber auch Fremdbezeichnungen, wie „Mohrenstraße“, geraten mehr in die Kritik. In Berlin sind es insbesondere Aktivist:innen, Afrodeutsche und Vertreter:innen von Vereinen wie der Internationalen Liga für Menschenrechte, die den Namen M*straße als rassistisch kritisieren. Sie bringen dies auch mit einer fehlenden Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte in Verbindung.

Viele Kinderbücher werden von Generation zu Generation weitergegeben. Doch neben zeitlos schönen Geschichten finden sich darin u.a. auch zeitlich gebundene rassistische Äußerungen. Foto: Pixabay.

Manch eine:r wird sich vielleicht an Debatten über Änderungen in Kinderbüchern erinnert fühlen. Denn auch hier wird diskutiert, welche Namen, Bezeichnungen und Beschreibungen aus alten Büchern heute als rassistisch gelten. (Sie waren es natürlich auch zum damaligen Zeitpunkt, wurden nur nicht als problematisch wahrgenommen.) Daraus folgt unter anderem, was heute als sagbar und in Ordnung vermittelt wird. Beispiel: Pippi Langstrum wohnte lange alleine, weil ihre Mutter verstorben und ihr Vater ein N*gerkönig war. Das die Bezeichnung heute als rassistisch und unsagbar gilt, leuchtet vermutlich den meisten ein. Vielleicht muss man hier auch weiterdenken. Denn was stand damals und steht heute für eine Idee dahinter, wenn ein weißer europäischer Mann in die Südsee fährt und zum König eines Eingeborenenstammes wird?

Aber ich schweife ab. Wer sich mehr für diese Diskussion orientiert, der wird ohne Probleme viele Beiträge dazu im Internet finden. Einer, der bereits 2011 im Deutschlandfunk erschien, ist hier als Einstieg verlinkt.

Die Diskussion ist entscheidend

Seit ungefähr fünf Jahren leite ich Workshops zur Demokratiegeschichte. Straßen und ihre Namen sind ein Thema, das ich besonders gerne aufgreife. Denn sie tauchen im Alltag auf, Diskussionen über sie kann ich mit Menschen allen Alters und jeder Herkunft führen.

In den Diskussionen mit den Teilnehmenden habe ich im Laufe der Jahre beobachtet, dass bestimmte Argumente um Straßenumbenennungen immer wieder kehren. Für beide Seiten möchte ich ein paar vorstellen, ohne sie zu bewerten.

Contra
  • Wer Straßennamen ändert, löscht damit die Geschichte und überschreibt sie. Statt den Namen einer Straße zu ändern, sollte besser eine Ergänzungsschild o.ä. angebracht werden, was die Herkunft des Namens und seine Problematik erklärt.
  • Mit einer Umbenennung sind hohe Kosten und Organisationsaufwand verbunden. Sowohl für die Stadt als auch für die Anwohner:innen: Anschriften, Haltestellen, Stadtpläne und vieles mehr müssen geändert werden.
  • Wer entscheidet, welche Straßen einer Umbenennung bedürfen und welche nicht? Kritisiert wird, dass es kaum die Möglichkeit gibt, sich auf Kategorien zu einigen. Aber auch, dass oft Gruppen von Umbenennungsprozessen ausgeschlossen werden.
  • Insbesondere die Anwohner:innen haben eine emotionale Bindung zum Namen der Straße. Über ihren Kopf hinweg zu entscheiden, wäre unfair.

Insbesondere das letzte Argument sollte man nicht unterschätzen. Viele Debatten werden deshalb so hitzig geführt, weil es nicht nur rationale, sondern emotionale Gründe gibt, Straßennamen (nicht) ändern zu wollen. Für mich ein schönes Zeichen: In Diskussionen über und um Demokratie spielen Gefühle eine Rolle.

Pro
  • Was für Contra gilt, gilt auch für pro. Straßennamen können in ihren Anwohner:innen, aber auch Passant:innen und anderen Personen emotionale Reaktionen hervorrufen.
  • Straßennamen sind eine Würdigung. Viele Personen, die nach damaligem Maßstab eine Ehrung verdienten, haben diese nach heutigem Stand nicht mehr verdient.
  • Gleichzeitig gibt es viele Personen, die in Vergangenheit übergangen wurden. Etwa aufgrund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion oder anderen Aspekten ihrer Identität. Gesellschaften können mit einer Umänderung deutlich machen, wie sich ihr eigenes Verständnis von ehrenhaft geändert hat.
  • Durch die Umbenennung kann ein Signal gesendet werden: Wir wollen, dass sich hier möglichst viele Menschen willkommen – und repräsentiert – fühlen.

Diskussion vor Ergebnis

Die Durchführung der Workshops hat mir gezeigt, dass oft der Dialog, nicht das Endergebnis das Entscheidende ist. Überhaupt die Möglichkeit zu haben, über die Straßen(namen) in ihrem Leben zu diskutieren, war für viele Teilnehmende eine neue Erfahrung. Viele haben Erfahrungen mit Straßenumbenennungen gemacht, aber nur wenige damit, dass damit eine offene und demokratische Debatte verbunden war.

Die Diskussionen im Workshop werden immer auf emotionaler und rationaler Ebene geführt. Aber die Ergebnisse und Schlussfolgerungen, die die Teilnehmende für sich ziehen, sind stets andere. Straßennamen, das kommt eigentlich immer an, prägen ein Stadtbild – nicht immer sind wir uns dessen bewusst.

Stellt euch eine Karte vor, mit lauter leeren Straßenzügen. Wie würdet ihr sie benennen? Welche Namen tauchen in eurer Stadt auf – und welche zieht ihr auf keinen Fall in Betracht?

Den Workshop zum Thema Straßen und ihre Namen, sowie andere Angebote zur Demokratiegeschichte findet ihr in den Angeboten von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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