Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord: Ein Polizeipräsident als Schützer rechter Gewalttäter

„München.
Heute Vormittag hat sich der bisherige Polizeipräsident Pöhner offiziell von den Beamten der Polizeidirektion und der Landespolizei verabschiedet. Er appellierte dabei an die Beamten, den Geist der Sauberkeit und Lauterkeit stets aufrecht zu erhalten, sich nicht von der Wandelbarkeit der Gesinnungen anstecken zu lassen und die Angriffe und Verleumdungen in der Öffentlichkeit nicht zu beachten, sondern den geraden Weg der Pflichterfüllung zu gehen. Gleichzeitig mit dem Polizeipräsidenten Pöhner ist auch der Leiter der politischen Abteilung der Polizeidirektion, Oberamtmann Dr. Frick aus seinem Amte geschieden. Er galt sozusagen als die rechte Hand des Polizeipräsidenten Pöhner.“

So meldete der „Rosenheimer Anzeiger“ am 30. September 1921 den Rücktritt von zwei hochrangigen Beamten der bayerischen Staatsregierung. Beide waren und blieben Schlüsselfiguren der rechten Szene in München. Die links-sozialdemokratische „Freiheit“ aus Berlin hingegen schrieb am 10. Juni 1921 ein vernichtendes Urteil über den Polizeipräsidenten Ernst Pöhner:

„Dieses zweifelhafte Individuum trifft für die völlige Demoralisierung und Verrottung der Zustände die Hauptschuld. Die ganze Tätigkeit dieses Burschen war auf die Verfolgung der Arbeiterbewegung gerichtet, während die Ordnungsbanditen seiner liebevollen Unterstützung stets gewiß waren. […] Poehner gehört wegen Begünstigung des terroristischen Treibens vor Gericht.“

Polizeipräsident Ernst Pöhner, undatiert. Foto: Bayerische Staatsbibliothek Bildarchiv, Fotoarchiv Heinrich Hoffmann. Pöhner, Ernst, Bildnummer: hoff-308

Tatsächlich hatte Ernst Pöhner seine schützende Hand über polizeilich gesuchte Rechtsradikale gehalten: Beispielsweise über den Anführer des Kapp-Putsches 1920, Kapitänleutnant a. D. Hermann Ehrhardt und seine Gefolgsleute, wie auch über die Mörder des ehemaligen Finanzministers Matthias Erzberger. Letztere konnten sich nach ihrer Flucht aus dem Schwarzwald noch tagelang in München aufhalten, während sie bereits steckbrieflich gesucht wurden. Auch der sozialdemokratische „Vorwärts“ fragte Mitte September 1921 denn eher rhetorisch:

„Ist es wahr, daß die steckbrieflich verfolgten Hochverräter Kapitänleutnant Ehrhardt und Oberst Bauer in München bei dem Leiter der dortigen Polizei, dem Polizeidirektor Poehner, ein- und ausgegangen sind?“

Unterstützung von Rechtsextremen und Teilnahme am Hitler-Luddendorf-Putsch

Aber die Wahrheit übertraf selbst diese Einschätzung: Das Polizeipräsidium ging sogar so weit, dass die Gesuchten falsche Ausweispapiere erhielten, um ihnen das Leben in der Illegalität zu erleichtern. Unhaltbar wurde Pöhner als Polizeipräsident erst, als die bayerische Regierung unter Gustav von Kahr zurücktrat. Doch der Rücktritt bedeutete keineswegs das Karriereaus für den Juristen. Pöhner wechselte als Rat ins Oberste Landesgericht München.

„Poehner, der Beschützer der Mörder Erzbergers, der Hüter der deutschnationalen Mörderzentrale, der vorsätzliche Verächter von Gesetz und Recht, soll jetzt Organ zum Schutze des Rechtes werden! Wir müssen zugeben: Die Justiz kann ärger nicht bloßgestellt werden als durch diese Verwendung Poehners im Justizdienst.“

Und selbst diese düsteren Vorahnungen der „Freiheit“ vom 29. September 1921 wurden sogar noch übertroffen: Ernst Pöhner nahm 1923 am Hitler-Ludendorff-Putsch in München teil. Er sollte bei erfolgreichem Verlauf bayerischer Ministerpräsident werden. Wie die anderen Putschisten wurde auch er nur zu einer geringen Strafe verurteilt und nach drei Monaten frei gelassen. Kurz darauf kam er bei einem Autounfall ums Leben.

Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am Münchener Putsch vom 9. Nov. 1923; München 1924, Foto Bundesarchiv Bild 102-00344A, Fotograf: Hoffmann

Hingegen stand Pöhners rechte Hand Wilhelm Frick, der 1921 ebenfalls zurücktreten musste, erst am Anfang seiner politischen Karriere. 1930 übernahm er für die NSDAP das thüringische Innenministerium, 1933 dann wurde er Hitlers Reichsinnenminister.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe  „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“.  

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

1 Kommentar

  1. Thomas Wasmer

    13. November 2021 - 9:39
    Antworten

    Die Parallelen zu heutigen Ereignissen sind offensichtlich, leider nicht mehr nur in Deutschland : nationales Denken, Isolation, „selbstbestimmt“ Handeln stehen im Mittelpunkt der Politik.
    Rechtsextremisten in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft und Exekutive treiben im Schutz des Rechtsstaates nahezu ungestraft ihr Unwesen. Die Internationale der Rechtsextremen ist gut vernetzt und finanziert in Europa und der Schweiz sowie der ganzen Welt.
    Die Geschichte könnte dabei helfen, Gefahr zu erkennen und zu verhindern würde sie denn wahrgenommen und weitererzählt.
    Wo die Gefahr für die Demokratie steht ist heute so gut zu erkennen wie vor hundert Jahren.
    Ich bin gespannt auf weitere Beiträge von Ihnen.

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