Demokratiegeschichten

Zivi im Alten- und Pflegeheim

Vor 60 Jahren wurde der Zivildienst in der BRD eingeführt, 2011 traten die letzten Zivis ihren Dienst an. In unserer Themenreihe “Stets zu Diensten” veröffentlichen wir die Berichte von (ehemaligen) Zivildienstleistenden, Freiwilligen und Menschen, die einen Wehrersatzdienst geleistet haben.

Daniel Friedmann hat in den Jahren 1992 und 1993 in der AWO Alten- und Pflegeheim Einrichtung (Tannenweg, Gießen) seinen Zivildienst absolviert. Inzwischen ist er 48 Jahre alt und arbeitet in Frankfurt am Main für eine norwegische Investmentbank.

Bei welcher Organisation haben Sie Ihren Freiwilligendienst getätigt und wie lange? 

15 Monate waren bei der AWO angesetzt, aber ich habe zunächst 12 Monate absolviert. Wir hatten ein Arrangement, dass ich nach der Bank-Lehre die verbleibenden Monate nachholen würde. Nach den letzten drei Monaten habe ich dann mit dem Studium begonnen. 

Was waren Ihre Aufgaben in der Organisation? 

Grundsätzlich war meine Hauptaufgabe, zu koordinieren, dass das Essen im Alten- und Pflegeheim rechtzeitig „auf den Tisch“ kommt bzw. hierbei auch in der Küche zu helfen. Gegebenenfalls die Menschen zu begleiten, zum Teil auch nach Hause. Im Prinzip war ich eine Art Mädchen für alles in der Einrichtung. Ich habe morgens Zeitung in Lesegruppen besprochen, mittags Spiele gespielt, bin zum Kegeln gefahren, habe Bingo gespielt. Es war eine Tätigkeit, die alles Mögliche umfasst hat. Letztendlich war ich in einer Lebensphase (Schulzeit – Abitur 1992) in der ich offen und neugierig für alles mögliche war. Ich machte mir wenig Gedanken, was mich da erwarten würde. 

Warum haben Sie sich damals für den Zivildienst/für diese Dienststelle entschieden?  

Es ist nicht so, dass ich damals voller tiefster Überzeugung meine Kriegsdienstverweigerung geplant hatte. Mir war durch die Arbeit meiner Mutter bewusst, dass es Resourcen-Defizite in sozialen Bereichen der Gesellschaft gab. Speziell in der Betreuung von alten Menschen – was meine Mutter mir durch viele Arbeitsjahre in der Psychiatrie schildern konnte. Daher war mir bewusst, dass in Deutschland mit Hilfe der Zivildienstleistenden bestehende Lücken gefüllt werden konnten. Und dann war für mich klar, da ich keine Verbindung zum Thema Kriegsdienst hatte, dass ich mich lieber in dem Bereich „Soziales“ engagieren wollte.  

Das war mit einer Menge Bürokratie verbunden. Man musste schließlich erklären, warum man den Kriegsdienst verweigern wollte, in aller Detailliertheit. Für mich haben Gedanken wie, dass ich es mir nicht vorstellen konnte, auf andere Leute zu schießen, natürlich auch eine Rolle gespielt. Aber spontan würde ich sagen, dass das Thema soziale Arbeit und die Notwendigkeit, mich dort sinnvoll einzubringen, der ausschlaggebende Grund war. 

Dann kam es zum Kontakt zur AWO, die einen Platz für mich im Alten- und Pflegeheim in Gießen gefunden hatte. Formal war der Job als stationärer Mittagstisch deklariert – es war eine Einrichtung für Pensionäre, die noch zu Hause lebten, aber die Einrichtung der AWO nutzten, um dort Mittag zu essen.  

Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre Entscheidung zum Zivildienst reagiert? 

Ich konnte schnell feststellen, dass meine angenommene Rolle in der Einrichtung Energie freisetzte, aber auch viel Engagement benötigte. Wenn ich mich beispielsweise am Wochenende mit Schulfreunden traf, war ich oft müde und die Feiern fielen für mich kürzer aus als in den Jahren zuvor. Offengestanden gab es schon einige meiner Zivi-Freunde, die eher eine ruhige Kugel geschoben haben – je nach Bereichen des Zivildienstes in denen sie eingesetzt waren. Ich hingegen hatte relativ viel zu tun, sodass die Leerlaufphasen überschaubar waren. Aber rückblickend bin ich dankbar, dass es so gelaufen ist. Ja, es war Engagement notwendig, aber die Gewissheit etwas Sinnvolles zu tun und sich für die Gesellschaft einzusetzen, bestätigte mich jeden Tag aufs Neue.  

Positives Feedback von den Heimbewohnern und Gästen unterstützte diese Motivation. Auch in der Hinsicht, jüngeren Freunden eine Empfehlungen auszusprechen, ähnliche Erfahrungen wie ich zu machen.

Was haben Sie in Ihrer Zeit im Zivildienst gelernt? (Über die Tätigkeit und/oder über sich selbst) 

Gerade in der kälteren Jahreszeit  verstarben viele Menschen. Für mich war das eine neue Erfahrung in einer Lebensphase, in der man oftmals sehr lebensbejahend ist und sehr optimistisch durchs Leben schreitet. Mit dieser musste ich mich erstmal auseinandersetzen und lernen, was es heißt, sich mit dem Tod zu beschäftigen.

Auch ob ich letztendlich stark genug wäre, eine vergleichbare Tätigkeit im sozialen Bereich länger durchzuführen. Ich habe bemerkt, dass mich diese psychische Seite der Arbeit in der Pflege auch belastet hat. Letztendlich bin ich da gut durchgekommen und es war definitiv eine Zeit, in der ich viel lernen konnte. Inhaltlich wie auch über das Leben, den Tod. Die Phase des Zivildienstes hat somit entscheidend dazu beigetragen eine Entscheidung über meine perspektivische Berufswahl zu treffen. 

Ein Moment, der bei mir hängengeblieben ist… 

Eine kleine Anekdote: In der Schule hatte ich einen Musiklehrer, der uns pubertierende Jungs, die im Stimmbruch waren, ziemlich malträtiert hat. So hat er beispielsweise durch gezielte Einzelauftritte beim Vorsingen viele von uns oftmals ziemlich vorgeführt. Das war nicht so nett und es führte dazu, dass einige schlussendlich Angst davor hatten, in den Musikunterricht zu gehen.

Wie das Schicksal es so wollte, habe ich in der Einrichtung eine ältere Dame mit betreut, die, wie es sich herausstellte, die Mutter von dem besagten Musiklehrer war. Die Dame war auffallend nett und hatte ohne den Hintergrund zu kennen, über mich und meine Unterstützung wohlwollend berichtet. Man trifft sich immer zweimal und es war unschwer zu erkennen, das er sich ein wenig schämte.  

Hatte der Zivildienst Auswirkungen auf Ihren späteren Lebenslauf? 

Ich habe in der zweiten Hälfte des Dienstes schon gemerkt, dass ich eher Richtung Wirtschaft gehen würde. Ob das Kalkül war, weil es besser bezahlt wird oder einfach mehr meinem Naturell entspricht, weiß ich nicht. Ich hatte mich parallel zum Zivi bei einer Bank beworben und habe dann ein Jahr darauf eine Ausbildung angefangen. 

Nichtsdestotrotz hat mich die Zivi-Zeit sehr geprägt. Es hat mir viel Spaß gemacht und ich hatte auch wirklich eine gute Verbindung zur Einrichtung. Vielleich habe mich auch ein bisschen besonders gefühlt, weil meine Mutter dort beschäftigt war und ich nicht unbedingt einen schlechten Ruf zurücklassen wollte. 

Wenn Sie heute wieder vor der Entscheidung ständen, würden Sie sich nochmal für den Zivildienst entscheiden? 

Ich habe es nie bereut, just diese Stelle als Zivi in der AWO Einrichtung Gießen angetreten zu haben. Ich habe in der Zeit allerdings auch die berufliche Brücke nach Skandinavien (familiärer Hintergrund) gesucht und die dann eher im wirtschaftlichen Bereich finden können. Aber während des Zivildienstes hatte ich stets das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. 

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