Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Der Mythos Hindenburg und die Dolchstoßlegende

Auf die Frage, ob es nicht auch die Pflege des Geistes der deutschen Wehrhaftigkeit nötig sei, erwiderte Hindenburg: ‚Ja, und das bedeutet noch lange nicht Krieg. […] Trotzdem müssen wir immer daran denken, jenen Geist zu pflegen, um für alle Entwicklungsmöglichkeiten vorbereitet zu sein. Vergeblich wehrt man als Legende ab den Dolchstoß von hinten – und doch haben wir täglich neue Beweise dafür. Unser herrliches Heer – und mußte so zusammenbrechen.‘“

Am Vorabend seines 74. Geburtstags veröffentlichte das „Hamburger Tageblatt“ ein Gespräch mit dem im konservativen Bürgertum als „Sieger von Tannenberg“ verehrten ehemaligen Generalfeldmarschall und Chef der Obersten Heeresleitung Paul von Hindenburg. Seit seinem Abschied aus dem aktiven Dienst 1919 lebte Hindenburg in Hannover. In zahlreichen Vorträgen in ganz Deutschland verbreitete er – wider besseres Wissen – die Behauptung, die deutsche Armee sei „im Felde“ unbesiegt gewesen, und nur ein „Dolchstoß in den Rücken“ durch die „feindlichen Kräfte“ im Innern habe die Armee entscheidend geschwächt.

Kurt Tucholsky alias Ignaz Wrobel nannte Hindenburg wegen seiner lebhaften Reisetätigkeit in der „Freiheit“ vom 27. August 1922 einen „General auf Rädern“:

„Hindenburg übt augenblicklich seinen Beruf im Umherziehen aus. Kaum ist das Land ruhig, kaum gelingt es, unter den schwierigsten Umständen zur gedeihlichen Zusammenarbeit zu kommen, dann taucht irgendeine uniformierte Schießbudenfigur auf und hetzt die Leute auf. Ein geplagter Mann – aber die Auftraggeber lassen nicht locker.“

Bundesarchiv Bild 102-00120A, Archivtitel: Generalfeldmarschall Paul von Beneckendorff und von Hindenburg in Uniform mit erhobenem Arm, undatiert, Fotograf: Georg Pahl

Die Situation 1918

Tatsächlich hatte die Oberste Heeresleitung im Herbst 1918 unverzüglich zu einem bedingungslosen Waffenstillstand gedrängt, weil sie keine Chance mehr sah, den Krieg zu gewinnen. Doch davon wollte Hindenburg nichts mehr wissen, als er im November 1919 vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aussagte:

„Während sich beim Feinde trotz seiner Überlegenheit an lebendem und totem Material alle Parteien, alle Schichten der Bevölkerung in dem Willen zum Siege immer fester zusammenschlossen, und zwar um so mehr, je schwieriger ihre Lage wurde, machten sich bei uns, wo dieser Zusammenschluß bei unserer Unterlegenheit viel notwendiger war, Parteiinteressen breit, […] und diese Umstände führten sehr bald zu einer Spaltung und Lockerung des Siegeswillens. […]

So mußten unsere Operationen mißlingen, es mußte der Zusammenbruch kommen […]. Den guten Kern des Heeres trifft keine Schuld.“

Der „Dolchstoß“

Bundesarchiv Bild 102-00057: Denkmals-Einweihung für die im Weltkrieg gefallenen unter Beisein des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg, des Reichswehr-Ministers Gessler und des Prinzen Eitel-Friedrich. Hindenburg 1, Reichswehrminister Gessler 2, beim Abschreiten der Front, 1923. Fotograf: Georg Pahl.

Diese Dolchstoßlegende entfaltete eine außerordentliche Wirkung in weiten Teilen der Gesellschaft. Sie bestärkte das Gefühl, dass die Republik am Unglück des verlorenen Krieges schuld sei und dass sie eigentlich nicht rechtmäßig zustande gekommen sei. In seinen 1920 veröffentlichten Memoiren verwies Hindenburg sogar auf den Nationalmythos der Deutschen, das Nibelungenlied, und unterstellte den Demokraten „Hinterlist“:

„Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front […].“

Wiederholt versuchte die demokratische Presse, der Dolchstoßlegende mit historisch korrekten Darstellungen über das Ende des Krieges etwas entgegenzusetzen. Dabei konnte sie sich auch auf die Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses berufen. Doch diese Aufklärungsbemühungen blieben in weiten Kreisen der Bevölkerung wirkungslos. Hindenburgs immer wieder vorgetragene Legenden wirkten stärker. Verstärkend kam hinzu, dass die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses und die Sachverständigengutachten erst 1928, und dann auch nur in abgemilderter Form, veröffentlicht wurden.

Ein neuer Siegfried?

So entwickelte der Pensionär Hindenburg, ein maßgeblich Verantwortlicher für die deutsche Kriegführung und für die Wucht der Niederlage, jene Aura, die ihn zum Gegenpol der demokratisch gewählten Regierenden machte. Die konservative Presse unterstützte ihn dabei vorbehaltlos, wie auch der Abschied des Hamburger Autors unterstrich:

„Ein letzter Händedruck, ein letzter Blick in das ernste Antlitz des großen, ehrwürdigen Mannes.

Gewaltig war der Eindruck, diesem Manne unter vier Augen gegenüber zu sein, in seinem schlicht vornehmen Heim.“

Eine auch nur im Ansatz kritische Hinterfragung der Äußerungen dieses Idols verbot sich von selbst. Die mythische Verehrung, die ihm entgegengebracht wurde, war eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass Hindenburg 1925 zum Reichspräsidenten gewählt wurde – mithin genau der Mann, dessen Dolchstoßlegende die Reputation der Republik von Anfang an untergraben hatte. Seinen Einlassungen wurde damit noch mehr Gewicht verliehen.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe „100 Jahre politischer Mord in Deutschland“.  

Hier den Beitrag Nachhören.

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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