Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Schwarzrotgold – Schwarzweißrot: der Flaggenstreit

Am Heiligabend 1921 erfährt die Leserschaft der „Münsterländischen Volkszeitung“, wie die nun fast drei Jahre alte Republik offiziell beflaggt wird – das Deutsche Reich, wie der Staat nach wie vor heißt: Die Reichsregierung übergibt der Öffentlichkeit eine Flaggentafel des Deutschen Reiches, auf der die betreffenden Flaggen dargestellt sind:

Die Nationalflagge schwarz-rot-gold,

die Flagge der Reichsbehörden zu Lande: schwarz-rot-gold mit dem Reichsadler in der Mitte,

die Reichspostflagge: schwarz-rot-gold mit dem gelben Posthorn auf dem roten Streifen,

die Handelsflagge: schwarz-weiß-rot mit der schwarz-rot-goldenen Gösch im schwarzen Streifen,

die Flagge der Reichsbehörden zur See: schwarz-weiß-rot mit dem Reichsadler auf dem goldenen Schild in der Mitte,

die Reichskriegsflagge: schwarz-weiß-rot mit der schwarz-rot-goldenen Gösch auf dem schwarzen Streifen und einem großen Eisernen Kreuz in der Mitte,

und die Standarte des Reichspräsidenten, die den neuen Reichsadler auf gelbem Grund in roter Umrandung zeigt.“

Flaggenstreit im Parlament

Ab dem 1. Januar 1922 sind diese Hoheitszeichen zwingend vorgeschrieben. Zuwiderhandlungen bedroht die Regierung mit strengen Strafen. Die Regelung ist das Ergebnis eines heftigen Flaggenstreits. Schwarz-weiß-rot waren die Farben des Kaiserreichs. Die rechten Parteien und auch einzelne Abgeordnete der Deutschen Demokratischen Partei hatten an der alten schwarz-weiß-roten Flagge festhalten wollen – etwa für die Marine. Am Ende einigt man sich auf einen Kompromiss, bei dem auf hoher See weiterhin die Farben des Kaiserreichs zu sehen sind – und bei genauem Hinsehen eine schwarz-rot-goldene Gösch – ein oben links angebrachtes Rechteck, das wie eine kleine Flagge in der Flagge erscheint.

Originaltitel:
Schwarz-Weiß-Rot oder Schwarz-Rot-Gold
Unter diesen Farben wurde Deutschland einig groß, mächtig und glücklich!, Wahlplakat 1924, Quelle: Bundesarchiv Bild Plak 002-020-011, Grafik: o. Angabe, Verlag: Berliner Spezialdruckerei, Berlin

Die sozialdemokratische Magdeburger „Volksstimme“ lehnt diese Lösung ab:

„Die Rechtsparteien haben durch ihre blödsinnige Hetze in der Flaggenfrage eine recht gefährliche Stimmung geschaffen. Der Zündstoff muß aus der Welt geschafft werden, und darum ist es grundfalsch, die zwei Flaggen nebeneinander bestehen zu lassen. Die Entscheidung ist jetzt wiederholt für Schwarzrotgold gefallen, und wir verlangen, daß mit den Halbheiten Schluß gemacht wird. Es war ein Fehler, daß man den Reedern schon so weit entgegengekommen war, sich mit der Gösch zu begnügen. Zu verhängnisvollen Zwischenfällen kann aber die Kriegsflagge führen. Ihre Abänderung ist dringend erforderlich, und zwar so, daß das Schwarzweißrot durch Schwarzrotgold ersetzt wird.“

Flaggenstreit auf der Straße

Die politische Rechte findet sich nicht mit den neuen Farben ab, die seit dem 19. Jahrhundert die deutsche Demokratiebewegung symbolisieren: Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen, sobald die schwarz-rot-goldene Nationalflagge gehisst wird.

ADN-ZB / Archiv Konterrevolutionärer Kapp-Putsch vom 13.-17.3.1920 in Berlin Die etwa 5000 Mann starke Marinebrigade II unter dem Befehl von Kapitän Hermann Ehrhardt marschiert, aus Döberitz kommend, in den frühen Morgenstunden des 13. März in Berlin ein. Die Brigade bildet die militärische Stoßkraft des von Wolfgang Kapp und General Walther von Lüttwitz geführten Putsches. Aufziehen der Wache durch das Brandenburger Tor am 13. März, Bundesarchiv Bild 183-H28541; Foto: o. Angabe

Mitte Mai 1922 reißen Studenten die Beflaggung am Münchner Hauptbahnhof herunter und verbrennen sie unter Gejohle und nationalistischen Gesängen. Der sozialdemokratische Münchener Stadtrat hisst vorsichtshalber nur die blauweiße bayerische Flagge.

An der Elbe flaggt wenig später die Hamburg-Amerika-Linie zur Begrüßung ihrer amerikanischen Gäste mit den Flaggen deutscher Länder, nicht aber mit der Nationalflagge.

Andernorts verzichtet man ganz auf eine Beflaggung, selbst wenn diese angeordnet ist. Die Reichspost besitzt angeblich nicht genügend „neue“, also schwarz-rot-goldene Fahnen; unter diesem Vorwand beteiligt sie sich im Juni 1922 nicht an der staatlich angeordneten Halbmastbeflaggung nach dem Mord an Außenminister Rathenau.

Flaggennutzung in der Praxis

Und zwei Jahre später klagt ein Zuschauer des Endspiels um die Deutsche Fußballmeisterschaft im „Vorwärts“:

„Wie wäre früher wohl der Platz mit Fahnen und Fähnchen ausstaffiert worden. Schwarzweißrot an allen Ecken und Enden. Und heute? Der Deutsche Fußballbund kennt anscheinend die Farben der deutschen Republik nicht. Ein einziges Banner hing über dem Eingang zum Stadion, aber sonst alles kahl und leer. […]

Der ‚neutrale‘ Deutsche Fußballbund hat ein neues Abzeichen des Bundes herausgegeben. Der ‚Deutsche‘ Bund in den Farben Schwarz-Weiß-Rot. Auch diesen Herren müßte einmal Unterricht in der Flaggenkunde gegeben werden, damit sie die Farben ihres Vaterlandes kennen lernen. […]

Solche Beispiele könnte man noch viele aus dem ‚neutralen‘ Sportlager bringen. Vielleicht werden dadurch manchem die Augen geöffnet! Denn es ist und bleibt doch ein Zeichen trostloser Gesinnung, daß alle diese Sportler sich mit besonderer Betonung als deutsch bezeichnen und dabei, teilweise mit einer gewissen Hinterhältigkeit, noch immer die Farben eines blamierten und zusammengebrochenen Kaisertums tragen.“

In der Distanz zu Schwarzrotgold offenbart sich die fehlende bürgerliche Loyalität zur Republik. Und für die Rechtsradikalen sind die Nationalfarben gleichbedeutend mit den drei von ihnen bekämpften „Internationalen“ – Katholizismus, Bolschewismus und Judentum. Sie zeigen bei jeder Gelegenheit die Farben des Kaiserreichs: schwarzweißrot.

Auch die Kommunisten sind gegen Schwarzrotgold: Ihre Fahne ist rot.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland.  

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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