Demokratiegeschichten

100 Jahre politischer Mord in Deutschland: Juristen für die Republik

„Von der Überzeugung durchdrungen, daß der deutsche Wiederaufbau – und in dessen Rahmen ein Vertrauensverhältnis des Volkes zur Rechtspflege – nur auf der Grundlage der demokratischen Republik gedeihen kann, haben sich in Berlin Richter und Angehörige verwandter Berufe zu einem republikanischen Richterbund vereinigt.“

Das berichtet der sozialdemokratische „Vorwärts“ am 30. Dezember 1921. Und fährt fort:

Wir wollen ein freiheitliches Richtertum, das frei von Standesdünkel, aus innerer Harmonie dem Herzschlag des Volkes, seiner schaffenden und schöpferischen Schichten folgt. Wir wollen ein unabhängiges Richtertum […].

Wie der vor kurzem gegründete Republikanische Lehrerbund, so heißen auch wir in unseren Reihen jeden willkommen, der sich rückhaltlos zur demokratischen Republik bekennt.“

Unabhängige Justiz?

Viele Richter betrachten sich in der Weimarer Republik als unpolitisch, selbst wenn sie den extrem rechten Parteien nahestehen oder gar für diese im Parlament sitzen. Den negativen Beigeschmack, „politisch“ zu sein, hat für sie jegliches Eintreten für die Republik oder für demokratische Parteien. Drakonische Strafen selbst für geringe Vergehen von Arbeiterinnen und Arbeitern sind üblich, Nachsicht gegenüber Adeligen und Offizieren ebenso. Die Mehrheit der Richter fühlt sich nicht der Republik, sondern dem monarchischen Obrigkeitsstaat verbunden.

Zentralbild Prof. Dr. Gustav Radbruch, Rechtslehrer und Politiker, geb: 21.11.1878 in Lübeck, 1920-24 sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter, von Oktober 1921-November 1922 unter Wirth und vom August-November 1923 unter Stresemann Reichsjustizminister, Quelle: Bundesarchiv Bild 183-H28400, Foto: o. Angabe

Der Republikanische Richterbund will dies ändern. Er setzt sich für eine Rechtsprechung im Geiste der Weimarer Verfassung ein. Zu den Mitgliedern gehören der sozialdemokratische Justizminister Gustav Radbruch, der spätere Rat am Oberverwaltungsgericht Wilhelm Kroner und Robert Kempner, der nach 1945 eine wichtige Rolle auf Seiten der amerikanischen Ankläger bei den Nürnberger Prozessen spielen wird.

Robert Kempner als Ankläger im Wilhelmstraßenprozess, 1946, Quelle: University of Georgia, Foto: o. Angabe

Fehlurteile

Immer wieder kritisieren die republikanischen Juristen Fehlurteile: Wilhelm Kroner etwa die Entscheidung im Fall einer Verleumdungsklage gegen einen Staßfurter Journalisten: Dieser hatte den Reichspräsidenten Friedrich Ebert als Landesverräter bezeichnet. Das Magdeburger Gericht verurteilt den Pressemann zu einer milden Strafe. Es unterstützt in der Urteilsbegründung sogar die Verleumdung, Reichspräsident Ebert habe Landesverrat begangen.

Die bürgerl. Parteien und ihre führenden Vertreter Verfassungsfeier am 11. Aug. 1922 in Berlin. Im Vordergrund Mitte: Friedrich Ebert, links Reichswehrminister [Otto] Geßler, Quelle: Bundesarchiv Bild Y 1-541-864-86, Foto: o. Angabe

Wilhelm Kroner vom Republikanischen Richterbund ist entsetzt über die Urteilsbegründung und distanziert sich 1924 in der „Vossischen Zeitung“ von seinen „Kollegen“:

„Richter […], die es unternehmen, das Oberhaupt des Staates in der dargelegten Art rücklings infamieren zu wollen, infamieren sich selbst. In diesem neuen, krassen Ausnahmefall ist es zu meinem Schmerz und meiner Empörung wieder geboten, auf der Stelle kundzutun: es gibt noch Richter in Deutschland, die von solcher ‚Justiz‘ abrücken.“

In anderen Fällen nutzen die Gerichte das Republikschutzgesetz von 1922 gezielt, um die Freiheit der Kunst anzugreifen. Kroner und Radbruch wehren sich als Unterzeichner eines Aufrufs „Für die Freiheit der Kunst“ im März 1928 dagegen:

„Nicht soll den Gesetzen das Recht bestritten werden, die Verfassung des Staates vor gewaltsamen Angriffen zu schützen. Aber es kann nicht Aufgabe des Staates oder seiner Organe sein, Gesinnungen zu verfolgen, ganz gleich, ob sie den Staat in seiner heutigen Gestalt bejahen oder verneinen. […].Die Fälle aber mehren sich, in denen ‚staatsfeindliche‘ Gesinnung auch im Kunstwerk gerichtlich verfolgt wird.“

Gegen die Übermacht der rückwärtsgewandten Beamten im Justiz- und Verwaltungsapparat hat der Republikanische Richterbund keine Chance. Als Hitler an die Macht kommt, verlieren Kempner, Kroner und Radbruch im März 1933 ihre Positionen. Während sich Radbruch ins Privatleben zurückzieht und Kempner über Italien in die USA emigriert, wird Kroner 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. Dort stirbt er Anfang Oktober 1942.

Deutschlandfunk Kultur sendet in Kooperation mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam) ab dem 25. August 2021 jeweils mittwochs gegen 19:25 Uhr die Reihe 100 Jahre politischer Mord in Deutschland.  

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Über uns 
Historikerin, Autorin, Kuratorin Mitarbeiterin im Projekt "Gewalt gegen Weimar" am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

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