Demokratiegeschichten

Küchendiplomatie im Kalten Krieg

Debatten sind ein zentraler Baustein jeder Demokratie. Sie helfen dabei, verschiedene Meinungen und Perspektiven zu präsentieren und im Austausch abzuwägen. Eine gelebte und offene Debattenkultur stärkt die Meinungsfreiheit und die Beteiligung an politischen Prozessen und Entscheidungen. Missverständnisse können so geklärt, Kompromisse gefunden und das Vertrauen in die Demokratie grundsätzlich gestärkt werden.

Natürlich ist aber Debatte nicht gleich Debatte. Nicht immer überzeugt am Ende diejenige Seite, die die stärkeren Argumente hat. Manchmal bewegen sich die Debattierenden wenig oder sogar gar nicht aufeinander zu. Ein besonders kurioser Fall einer solchen Diskussion ereignet sich während des Kalten Krieges zwischen zwei führenden Politikern der USA und der Sowjetunion: die Küchendebatte vom 24. Juli 1959.

Stolz auf die eigene Kochstube

Zu dieser Diskussion besonderer Art kommt es am Tag der Eröffnung der Amerikanischen Nationalausstellung im Moskauer Sokolniki-Park, auf der Sowjetbürger:innen die neuesten Trends und Innovationen aus den USA begutachten können. Im Gegenzug stellte die UdSSR ihre Vorzeigeprodukte knapp einen Monat zuvor in New York aus. Befürworter:innen betonen, dass durch diesen Austausch von Ideen für beide Völker das Beste an Lebensqualität herauszuholen sei.

Ganz so harmonisch ist das ganze Unterfangen dann im Kern aber natürlich nicht. Die Ausstellungen dienen hauptsächlich der Selbstdarstellung und in Moskau sollen die Stärkung der US-amerikanischen Wirtschaft und Technologie zu sehen sein. Nicht zuletzt soll das Unterfangen Balsam für das angekratzte Selbstbewusstsein der USA sein. Denn der Sowjetunion ist es zwei Jahre vorher gelungen, als erstes Land der Erde einen Satelliten ins All zu schicken.

Speziell die präsentierten US-amerikanischen Küchen mit allen möglichen Erleichterungen der alltäglichen Arbeit sollen zeigen, wie viel besser das Leben in den Vereinigten Staaten ist – gerade für Frauen. Als fleißige Hausfrau den eigenen Ehemann zu umsorgen ist im Kapitalismus doch so viel einfacher als im Kommunismus!

Modell des ersten Satelliten im All, Sputnik 1. Quelle: NASA, gemeinfrei

Wer konsumiert besser?

Insgesamt werden rund zwei Millionen Sowjetbürger:innen die Ausstellung besuchen. Doch die zwei wichtigsten Gäste der Ausstellungseröffnung sind der damalige US-Vizepräsident Richard Nixon und der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow. Obwohl sich dieser schon bei der Pressekonferenz zur Eröffnung über die Qualität der präsentierten Waren lustig macht, herrscht zunächst gute Stimmung zwischen den beiden Politikern. Die geteilte Abneigung der Jazz-Musik gegenüber scheint die beiden Männer in Freundschaft zu verbinden.

Doch genau vor einer der US-amerikanischen Modellküchen kippt die Stimmung dann doch. Chruschtschow wirft jegliche diplomatischen Gepflogenheiten über Bord und versucht nicht einmal mehr, das sonst übliche Prinzip des „etwas durch die Blume Sagens“ anzuwenden. Pampig zweifelt er die grundsätzliche Qualität der US-Küchen an und meint, die eingebauten technischen Neuerungen seien sowieso nur nutzloses Beiwerk.

Nixon kommt Chruschtschow rhetorisch erst einmal einen Schritt entgegen und gibt zu, dass die Sowjets den USA in der Weltraumfahrt durchaus voraus seien. Doch die USA hätten die Nase im Bereich des Konsums, etwa mit Blick auf das Farbfernsehen, vorn. Doch Chruschtschow scheint absolut kein Interesse an irgendeiner Art von Übereinkunft zu haben und unterbricht Nixon ruppig.

Chruschtschow und Nixon während ihres Besuchs auf der Amerikanischen Nationalausstellung, Juli 1959. Quelle: IIP Photo Archive, CC BY 2.0

Vehement widerspricht er, auch mit Blick auf den im Westen hochgepriesenen Konsum, jeglichem US-amerikanischen Fortschritt. Dies kommt durchaus einer beeindruckenden Realitätsverweigerung gleich, angesichts der wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den USA und der Sowjetunion.

Das ganz Große im Kleinen

Die Qualität der Küchenausstattungen im eigenen Land scheint für einen Moment zum entscheidenden Schlachtfeld des globalen Kalten Krieges zwischen Ost und West, zwischen Kommunismus und freier Marktwirtschaft zu werden – aus heutiger Sicht zugegebenermaßen ein wenig befremdlich. Doch dahinter steht nicht weniger als eine der zentralen Fragen des gesamten Konflikts. Welches System verschafft den eigenen Leuten am Ende des Tages ein besseres Leben?

Chruschtschow und Nixon sind beide eingefleischte Ideologen, die voll und ganz überzeugt sind von den Vorteilen des jeweils eigenen Systems. Selbst wenn es an der einen oder anderen Stelle noch Defizite gibt, am Ende wird man über den Kontrahenten triumphieren! Dies gelte für die Raumfahrt und Militärtechnik, das eigene Bündnissystem und die Zufriedenheit der heimischen Bevölkerung – und eben auch mit Blick auf kulinarische Zubereitungstechniken.

Gelungene Selbstdarstellung

Der Zwist zwischen Nixon und Chruschtschow auf der Ausstellung in Moskau geht noch eine Weile hin und her, keiner will von seiner Position abrücken. Doch am Ende geht das Gespräch noch einigermaßen glimpflich aus. Chruschtschow verspricht Nixon per kräftigem Handschlag, ihr Gespräch landesweit auszustrahlen. Auch Nixon sagt zu, dass die US-Bürger:innen ihren ideologischen Schlagabtausch zu sehen bekommen werden. So meinen beide Politiker, sich den eigenen Leuten gegenüber als überzeugte Kalte Krieger und standhafte Staatsmänner präsentieren zu können.

Tatsächlich feiert die US-amerikanische Presse und Öffentlichkeit ihren Vizepräsidenten, der dem sowjetischen Staats- und Parteichef mutig die Stirn geboten habe. Und auch wenn es an diesem Tag zu keinem wirklichen Kompromiss zwischen Nixon und Chruschtschow kommt (was auch keiner von beiden ehrlich anstrebt), kann man die Küchendebatte doch als, wenn auch merkwürdigen, Erfolg werten. Letztlich ist es besser, stoisch auf der Richtigkeit der eigenen Argumente zu beharren, als mit Raketen aufeinander zu schießen. Von einer demokratischen Debattenkultur sind die beiden Alphatiere im Juli 1959 aber noch ein Stück entfernt.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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