Danach gefragt, was denn mein Lieblingsartikel aus dem Grundgesetz sei, musste ich erst ein wenig nachdenken. Schließlich enthält die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland mit der Formulierung von 19 Artikeln, die sich explizit den Grundrechten widmen, eine Vielzahl wichtiger und wegweisender Artikel, auf die wir heute stolz sein können.
Als unschätzbar wertvoll empfinde ich natürlich den Passus „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Bildet er nicht die Grundlage zu allem Folgenden?
Meine Wahl fiel schließlich auf folgenden Artikel:
Artikel 3 (3)
„Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“
Obwohl dieser wohl zu den allgemein bekannteren Artikeln zählt, bleibt zu konstatieren, dass Geschlechterdiskriminierung, Homophobie, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islamfeindlichkeit und generell gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit für viele davon betroffene Menschen leider nach wie vor an der Tagesordnung sind.
So schön das Gebot (oder ist es gar ein Verbot?) zur Nicht-Diskriminierung auch anmutet – und das tut es! –, so muss es doch von Menschen mit Leben gefüllt und umgesetzt werden. Im tagtäglichen Miteinander bedeutet dies bspw., durch Begegnungen und Offenheit Vorurteile abzubauen und sich auch mal selbst in seinem Handeln und Denken zu hinterfragen (Stichwort: Stereotype im eigenen Kopf). Durch Gesetze und Anlaufstellen (etwa eine_n Antiziganismus-Beauftragte_n) müssen weitere Rahmenbedingungen geschaffen werden, um ungerechtfertigte Ungleichbehandlungen zu vermeiden.
Ich erachte es als wichtig, Kindern und Jugendlichen die Gefahren von Ausgrenzung, Hass(propaganda) und entgrenzter Gewalt vor Augen zu führen – und ihnen andererseits positive Gegenbeispiele eines gelingenden, friedlichen Miteinanders nahezubringen.
Begegnung und Bewegung
Erst vor wenigen Tagen durfte ich Zeugin einer berührenden Gedenkveranstaltung werden, in der sich Schüler_innen einer Berliner Gemeinschaftsschule mit dem Widerstand von Sinti und Roma gegen den Nationalsozialismus beschäftigten und Biografien von mutigen Menschen vorstellten, die dem Terrorregime der Nationalsozialisten tapfer die Stirn boten, so etwa Otto Rosenberg (1927-2001).
Der Höhepunkt der Veranstaltung war eine Lesung aus dessen Autobiografie „Das Brennglas“ durch seine Tochter Petra Rosenberg, die Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg. Frau Rosenberg lud die Schüler_innen dazu ein, mit ihr ins Gespräch zu kommen; es gäbe keine dumme Fragen. Die jungen Leute machten davon Gebrauch und befragten sie auch zu ihren eigenen Diskriminierungs- und Anfeindungserfahrungen. Denn ja, die gibt es. Laut einer aktuellen Broschüre der Berliner Landeszentrale für politische Bildung sind Sinti und Roma die „am meisten diskriminierte Minderheit Europas“.
Die Begegnung mit Frau Rosenberg und die Lesung über Otto Rosenbergs dramatisches Schicksal, das ihn u. a. in Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau führte, bewegte die Schüler_innen sehr. Es war ihnen deutlich anzusehen. Ein Junge kam sodann nach der Veranstaltung zu mir, sichtlich bewegt. Er bewunderte sowohl Otto Rosenberg als auch dessen Tochter für ihren Mut. In seinen Augen, aber auch in den Augen vieler anderer Schüler_innen, erkannte ich Verstehen. Die Erkenntnis, dass es die Aufgabe einer_s jeden Einzelnen ist, sich Ausgrenzung und Diskriminierung entgegenzustellen. Damit „so etwas wie mit Otto Rosenberg“ niemals wieder geschieht.
Die kleinen Erfolge wahrnehmen
Ich möchte hier nicht zu pathetisch werden. Natürlich gibt es auch jene, die sich durch solche wertvollen Begegnungen nicht erreichen lassen, die weiterhin diskriminierendes Vokabular benutzen, leider. Wichtig erscheint es mir jedoch, auch die kleinen Erfolge wahrzunehmen und sich über die Menschen zu freuen, die nachdenklich gestimmt werden und/oder in ihrer demokratischen Haltung bestärkt wurden. Ganz im Sinne von Artikel 3 (3) unseres Grundgesetzes.
Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Katharina K. Sie ist Mitglied bei Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.
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