Demokratiegeschichten

Bayern gegen das Grundgesetz

In wenigen Tagen, am 23. Mai, ist es wieder soweit. Dann feiert Deutschland den Tag des Grundgesetzes. An diesem Tag im Jahr 1949 trat in der Bundesrepublik Deutschland das Grundgesetz in Kraft.

Was einige nicht wissen: Der Freistaat Bayern lehnte das Grundgesetz wenige Tage zuvor ab. Die Mehrheit der Abgeordneten des Landtages stimmten gegen dessen Annahme.

Trotzdem gilt das Grundgesetz auch in Bayern. Doch wie kommt das?

Auf dem Weg zum selbstständigen Staat?

Bereits am 30. Juni 1946 wurde in Bayern eine verfassungsgebende Versammlung gewählt. Bei dieser erhielt die CSU 58,3 % der Stimmen. Bald legte die Versammlung eine Landesverfassung vor, die stark förderativ geprägt war. Der Entwurf fand die Zustimmung der US-Militärregierung, mit Ausnahme eines Artikels: Ein Artikel, der Bayern einen Nichtbeitritt zu einem zukünftigen deutschen Bundesstaat zugestanden hätte, wurde gestrichen. Am 1. Dezember nahm die bayrische Bevölkerung die Verfassung des Freistaates Bayern mit großer Mehrheit an. Die CSU gewann die gleichzeitig stattfindenden Wahlen mit einer absoluten Mehrheit.

Was sich an den Ereignissen des Jahres 1946 in Bayern zeigt und bis 1949 (und darüber hinaus) fortsetzte: Man war nicht gewillt, die Landesinteressen hinter Interessen eines (zukünftigen) Bundes zu stellen. Und man würde sich nur schwer Anweisungen „von oben“, etwa aus Bonn oder Berlin, der ehemaligen preußischen und Reichshauptstadt vorgeben lassen.

Die Abstimmung

20. Mai 1949, im Münchener Maximilianeum. Hier tagt der bayrische Landtag.

Es ist früher Morgen, als die 14-stündige Debatte endet. Diese wird im Radio live übertragen, gespannt lauschen viele Bayer:innen den Geschehnissen im Parlament. Endlich kommt es zur Abstimmung. Parlamentspräsident Michael Horlacher verkündet gegen zwei Uhr das Ergebnis:

Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung ist folgendes: Abgestimmt haben 174 Abgeordnete; davon stimmten 64 mit „Ja“, 101 mit „Nein“ und 9 mit „Ich enthalte mich“. Ich habe jetzt folgendes festzustellen: Das Grundgesetz in der vorliegenden Fassung hat nicht die Zustimmung des Bayerischen Landtags gefunden.

70 Jahre Grundgesetz: Das bayerische Nein zur Verfassung | Kontrovers | BR24, 19.05.2019: https://www.youtube.com/watch?v=YkSxXjUUxI8

Gründe für die Ablehnung

Als einziges der westdeutschen Länder verweigert Bayern somit die Zustimmung zum Grundgesetz. Gründe dafür wurden mehrere genannt, insbesonders von der CSU.

Große Teile der Regierungspartei befürchteten einen Verlust der Eigenständigkeit Bayerns durch die Annahme des Grundgesetzes. Sie sahen den Bund als zu hoch gewertet an. Gleichzeitig befürchteten sie eine Abnahme in der Gesetzgebungs- und Finanzhoheit der Länder. Deshalb hatte die Mehrheit der CSU-Abgeordneten bereits im Parlamentarischen Rat in Bonn, wo die Verfassung erarbeitet worden war, dagegen gestimmt. In der CSU verstand man die Länder als entscheidungsgebende Instanz, nicht den Bund.

Die Länder sind nicht die Kinder des Bundes, sondern der Bund ist das Gebilde der Länder. Die Länder übertragen Rechte auf den Bund, und nicht umgekehrt.

CSU-Abgeordneter Lacherbacher

Manche Abgeordnete empfanden das Grundgesetz nicht nur als zu zentralistisch, sondern auch als zu wenig christlich. Insbesondere im katholisch geprägten Bayern maß man der Verankerung von Religion in der Verfassung jedoch viel Bedeutung bei.

Mein Kollege Dr. Kroll hat bereits ausgeführt, daß das Bonner Verfassungswerk trotz der Anrufung Gottes in der Präambel und trotz mancher von unseren Freunden schwer errungenen Zugeständnisse doch letztlich ein Werk des säkularisierten Geistes unseres Jahrhunderts ist!

CSU-Abgeordneter Georg Meixner

Konsequenzen?

Datei:Landtagsprojekt-bayern Plenarsaal 2012 by-RaBoe 39.jpg
Plenarsaal des bayrischen Landtags, Foto: Ra Boe / Wikipedia / Lizenz: Creative Commons CC-by-sa-3.0 de

Zurück zu unserer Ausgangsfrage: Warum gilt das Grundgesetz trotzdem auch in Bayern?

Für den Fall, dass der Landtag das Grundgesetz ablehnen würde, hatte Ministerpräsident Hans Ehard einen Antrag eingebracht. Und zwar sollte im Falle eines negativen Ergebnisses eine zweite Abstimmung stattfinden. In dieser sollte darüber abgestimmt werden, ob man das Grundgesetz trotz Ablehnung bei einer Zweidrittelmehrheit der westdeutschen Länder dennoch anerkennen würde.

Die Zweidrittelmehrheit, bzw. die Zustimmung der anderen Länder zum Grundgesetz bestand bereits. Und in der zweiten Abstimmung erklärten sich auch die Abgeordneten der CSU bereit, sich zum Grundgesetz zu bekennen. Somit galt und gilt das Grundgesetz auch in Bayern und das erste Nein blieb ohne Konsequenzen. Ministerpräsident Ehard fand dafür folgende Worte:

Wenn die deutsche Bundesrepublik auf Grund der vorgeschriebenen Genehmigungen und Abstimmungen zustandekommt, dann ist Bayern ein Teil dieses Bundesstaates, ob wir zum Grundgesetz ja oder nein sagen. Es besteht die Tatsache – und sie darf und soll ausgesprochen werden – , daß nämlich bei diesem Entstehungsmodus der neuen Bundesrepublik ein alliierter Zwang vorliegt, der uns keine andere Wahl läßt. Diese Tatsache aber wollen wir in den Hintergrund stellen vor folgendem Bekenntnis: Wir bekennen uns zu Deutschland, weil wir zu Deutschland gehören.

https://www.deutschlandfunk.de/warum-bayern-das-grundgesetz-ablehnte-100.html
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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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