Demokratiegeschichten

Demokratie muss immer neu errungen werden!

Demokratie in der Krise? 

Nach über 70 Jahren, in denen uns Demokratie Sicherheit und Wohlstand gebracht hat und nach wie vor bringt, entstehen hin und wieder Zweifel an ihr, ist ihre öffentliche Wahrnehmung manchmal nicht mehr ungeteilt positiv. Um sich greifende populistische Aktivitäten mit dem Ziel einer Destruktion unserer politischen Ordnung gehen nur von einem kleinen Teil unserer Gesellschaft aus, schrecken uns aber auf und fordern uns zu entschlossener Gegenwehr heraus. Dies könnte eindrucksvoll und überzeugend geschehen mit Hilfe folgender Maßnahmen: 

  • Verdeutlichung der enorm freiheitlichen Regelungen, die in unserem Grundgesetz vorhanden sind, wobei die Grundrechte in einmaliger Weise sogar gerichtlich von jedem Bürger eingeklagt werden können; 
  • Verdeutlichung des langen Weges, den die Demokratie seit der Antike in immer größerer Ausweitung der Freiheitsrechte genommen hat und in der heutigen Form unter großen Opfern erkämpft worden ist; 
  • Verdeutlichung der historischen Errungenschaft und des hohen Wertes, den die Demokratie in Deutschland darstellt und die auch anderen europäischen Staaten gegenüber als vorbildlich bezeichnet werden kann.
Ein Blick auf andere Länder lohnt sich. Hier zu sehen eine Versammlung der Landsgemeinde Glarus (Schweiz) 2006; Foto; www.icarus-design.ch; CC BY-SA 3.0.

Die Demokratie und ihre Entwicklung wären dabei in europäischer Perspektive zu sehen, wobei sie in dieser Form menschlichen Zusammenlebens als Errungenschaft des europäischen Kulturkreises aufgefasst und als Alleinstellungsmerkmal desselben sichtbar gemacht werden müsste. Bei der historischen Entwicklung wird der Fokus sinnvollerweise auf dem Aspekt einer zunehmenden Erweiterung der Freiheitsspielräume für den einzelnen Menschen liegen, – im Konkreten, aber auch bei allgemeinen und grundsätzlichen Fragen, wie etwa: Welche Vorteile brachte die Gewaltenteilung für den Einzelnen im täglichen Leben und jenseits aller Theorie? 

Projekt: Das Werden der Demokratie

Anhand dieses Projekts soll verdeutlicht werden, dass unsere heutige Demokratie unter großen Mühen und mit vielen Rückschlägen errungen worden ist. Vorschlag einer Gliederung: 

Die Wurzeln der Demokratie in der abendländischen Antike in Theorie und Praxis.

Versammlung im antiken Athen, Quelle: Pixabay

Fragestellungen z.B.: Wie kam es dazu? Gab es Ansätze dazu schon vorher? Wer war wahlberechtigt? Welcher Personenkreis durfte wann, wie oft und zu welchen Fragen seine Stimme abgeben? Unter welchen Bedingungen erfolgte die Stimmangabe? Wer wachte über die Korrektheit des Verfahrens? Wie sah es mit der anschließenden Realisierung der Beschlüsse aus? Stimmt der Terminus „Demokratie“? Wo, wie und wie lange existierte diese Herrschaftsform in der Antike? Wie kam es zur Vorbildfunktion für die Nachwelt? Wie lange hielten sich Reste diese Form der Ur-Demokratie in Europa? 

Vorformen von politischer Mitbestimmung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. 

Eine Sitzung im britischen House of Lords; Gravor von 1809, Graveure:
Thomas Rowlandson, Augustus Charles Pugin, John Bluck, Joseph Constantine Stadler, Thomas Sutherland, J. Hill und Harraden, Quelle: Wikimedia

Fragestellungen z.B.: Inwieweit basierte das mittelalterliche Königtum aufgrund der Macht der Stammesfürsten auf einer Teilung der Herrschaftsgewalt und auf Partizipation? Welche Folgen ergaben sich daraus für die Menschen? In welchem Umfang realisierten 1215 die Magna Charta und die Bill of Rights von 1689 in der Glorious Revolution Englands politische Mitwirkung? Welche Mitwirkungsmöglichkeiten und Aspekte der Gewaltenteilung sind in der Ständeversammlung des Reichstags des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation festzustellen? Welche Möglichkeiten der Partizipation gab es auf regionaler und kommunaler Ebene, vor allem in den Städten? Wie weit reichten diese Möglichkeiten? Wie wirkte sich die Reformation auf die Frage der Partizipation aus? 

Erste Realisierungen von Volksherrschaft in den USA 1787 und  in der Französischen Revolution von 1789. 

File:Sénat, hémicycle et tribune.jpg
Der französische Senat im Palais Luxembourg; Foto: Wikimedia/Soleil1409; CC BY-SA 4.0.

Fragestellungen z.B.: In welcher Weise organisierte sich diese in den USA? Wie sah es mit Freiheit in der Theorie und wie in der Praxis aus? Welche sozialen Schichten hatten an politischer Partizipation Anteil? Wie organisierte die Französische Revolution politische Mitbestimmung? Und wie entwickelte sich dieser Ansatz im Laufe der Jahre weiter? Wie verhielt sich zudem die Theorie von erklärten Freiheitsrechten zur politischen Praxis? Welche Bevölkerungsteile kamen in den Genuss der neuen Freiheitsrechte, welche nicht? 

„Unterzeichnung der Verfassung der Vereinigten Staaten“ mit George Washington, Benjamin Franklin und Alexander Hamilton (v. r. n. l. im Vordergrund), Gemälde von Howard Chandler Christy; Quelle: Wikimedia

Erster Demokratieversuch in Deutschland in der Mainzer Republik von 1792/93. 

 Versammlung des Mainzer Jakobinerclubs im ehemaligen kurfürstlichen Schloss. Lavierte Federzeichnung, Landesmuseum Mainz

Fragestellungen z.B.: Was trug das liberale Klima im Kurfürstentum und speziell im reformbemühten Mainz zu der Entwicklung bei? Welche Vorstellungen von der Errichtung einer Volksherrschaft hatten die Klubisten, welche  führende Personen dabei wie Georg Forster, Georg Wilhelm Böhmer, Friedrich Lehne, Adam Lux u.a.? Wie ist der Einfluss der französischen Revolutionstruppen zu bewerten? Welche Rolle beim Scheitern der Mainzer Republik spielten theoretische Irrtümer und Fehlplanungen, welche die militärischen Umstände? Wie erklärt sich das schlechte Image der Mainzer Republik bei der Nachwelt? 

Der Kampf um die Errichtung einer Demokratie in Deutschland im 19. Jh.

Plenarsitungssaal im Reichstag in der Berliner Leipziger Straße 4, um 1889. Quelle: Bundesarchiv, Bild 147-0978 / CC-BY-SA

 Fragestellungen z.B.: Welche Rolle spielten die Befreiungskriege und die preußischen Reformen in der Demokratiefrage? Welchen Einfluss hatte der Liberalismus in den neu entstehenden Parlamenten in dieser Hinsicht? Wie verlief die Durchsetzung der Freiheitsrechte in den deutschen Staaten? Welche Auswirkungen auf Deutschland hatten die Vorgänge in Frankreich während des 19. Jahrhunderts? Welche Rolle spielte das Hambacher Fest 1832? Wie ist die Revolution von 1848 zu bewerten im Hinblick auf die Entwicklung von Demokratie und von Freiheitsrechten? Wie wirkten sich die Verhältnisse im Zeitalter Wilhelms I. und Wilhelms II. in dieser Hinsicht aus? Welche Bedeutung hatte die Sozialdemokratie für die Demokratiefrage?

Die Verwirklichung von Demokratie in Deutschland 1919-1933 und ihre Zerschlagung 1933-1945. 

Fragestellungen z.B.: Welche bisher unbekannten Freiheiten bot die Weimarer Verfassung? In welcher Lage befand sich eine „Demokratie ohne Demokraten“? Konnte die Demokratie in der Weimarer Republik die Menschen an sich binden angesichts der mentalen und wirtschaftlichen Notlage? Bestand die Chance, dass die Demokratie gegenüber dem autoritären Nationalsozialismus erfolgreich Widerstand leisten konnte? Scheiterte die Weimarer Republik an ihren vielen Freiheiten?

Demokratie als tragende Staatsform der Bundesrepublik und ihr Missbrauch in der DDR. 

Fragestellungen z.B.: Welche Grundrechte garantiert das Grundgesetz jedem Bürger der Bundesrepublik Deutschland? Welche Fortschritte bringt das GG hinsichtlich der Freiheitsrechte im Vergleich zur Weimarer Verfassung? Welche historischen Erfahrungen und Vorbilder gingen in das GG ein? Was macht das GG und seine Grundrechte einzigartig in der Geschichte der Demokratie? Welche Freiheitsrechte hatte der Bürger der ehemaligen DDR nach der Verfassung im Vergleich zur Alltagspraxis?

Blick in den Plenarsaal des Bundestags. Seit 1999 tagt er im Reichstagsgebäude in Berlin-Mitte. Quelle: Wikimedia/
Steffen Prößdorf; CC BY-SA 4.0.

Dr. Peter Lautzas ist Historiker und war von 2002-2012 Bundesvorsitzender des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD).

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2 Kommentare

  1. Peter Brunner

    15. Dezember 2020 - 17:55
    Antworten

    Stimme im Wesentlichen zu, aber leider wird der Aufsatz gerade seiner Überschrift „… immer neu ..“ für das Heute nicht gerecht. Unsere Aufgabe ist ja nicht, den Status quo zu verteidigen, sondern wir müssen, ganz im Sinne „unsere“ Protagonisten, stets realisieren, dass sowohl „Geschichte schon deshalb stets werdend ist, weil sie stets wertend ist“ wie, dass ideale Gesellschaftsverhältnisse so real sind wie die Parallelen, die sich in der Unendlichkeit schneiden. Mit anderen Worten: wir werden unseren Aufgaben nur gerecht, wenn wir stets auch uns selbst und unsere Lebensverhältnisse in Frage stellen.

  2. Peter Lautzas

    17. Dezember 2020 - 16:17
    Antworten

    Mein Blog ist gegenwartsbezogen und zugleich, wie die Überschrift aussagt, zukunftsgerichtet. Damit wird kein Status quo verteidigt, wobei Demokratie nicht als unerreichbare Utopie aufgefasst wird, die als Parallele zur Wirklichkeit verläuft, sondern als realer und lebendiger politischer Gesellschaftskörper, der selbstverständlich stets geprüft und den Entwicklungen angepasst, aber in seinem Kern erhalten bleiben muss. Um dieser immerwährenden Verpflichtung Nachdruck zu verleihen, erinnert der Blog in der formulierten Aufgabenstellung daran, mit welchen Mühen und Kämpfen über Jahrhunderte hinweg diese Demokratie erreicht worden ist.

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