Demokratiegeschichten

Der nackte König – 18 Fragmente über Revolution

In dem Film „Der nackte König – 18 Fragmente über Revolution“ führt
Regisseur Andreas Hoessli die Zuschauer*innen in die Vergangenheit. Und durch zwei Revolutionen. Zum einen ins Jahr 1979 in den Iran, zum anderen nach Polen ins Jahr 1980. Ausgangspunkt sind die Berichte des Reporters Ryszard Kapuscinski, den Hoessli während seines Forschungsstipendiats in Polen traf. In den Film fließen außerdem Berichte des polnischen Geheimdienstes ein, der damals versuchte, Hoessli anzuwerben. Entstanden ist dadurch eine vielschichtige Dokumentation, die tiefe Einblicke in das Gefühl von Revolution gibt.

Ausgangspunkt Kapuscinski

Es gibt viele Arten, einen Film zu sehen. Beim Schauen von „Der nackte König“ ist es, als säße man auf dem Beifahrersitz. Andreas Hoessli lenkt uns als Regisseur durch die Revolution(en) und wir lassen das Geschehen – und die Stimme von Bruno Ganz – auf uns wirken. Viele der historischen und Gegenwarts-Aufnahmen, gedreht mit dem Blick aus Fahrzeugen nach außen, verstärken diesen Eindruck.

Copyright: W-film / Mira Film

Doch auch unser Fahrer folgt jemand anderem. Hoessli folgt dem polnischen Reporter und Journalisten Ryszard Kapuscinski. Kapuscinski, den er während seines Aufenthalts in Polen zu Beginn der 1980er Jahre kennenlernte.

Ryszard Kapuscinski im Interview 1976, Copyright: W-film / Mira Film

Kapuscinski, der gerade von einer Revolution berichtet hatte und nun zu Hause die nächste miterlebte. Und der in seinem Buch über die Ereignisse im Iran nachträglich sagt:

Alle Bücher über Revolution beginnen mit einem Kapitel, in dem über die Fäulnis der zerfallenen Macht oder dem Leiden des Volkes die Rede ist. Dabei sollten sie eher mit einem Kapitel Psychologie beginnen, das davon handelt, wie ein gepeinigter furchtsamer Mensch unversehens seine Angst ablegt und Mut fasst.

Ryszard Kapuscinski: Schah-in-schah: Eine Reportage über die Mechanismen der Macht und des Fundamentalismus

Dieses Zitat, möchte man meinen, ist zentraler Gedanke Kapuscinskis und Fokus von Andreas Hoesslis Film. Denn anstatt Ereignisse chronologisch aneinanderzureihen, begibt sich der Film auf die Suche nach einem Gefühl. Und zwar nach dem Gefühl, dass die Menschen im Iran und in Polen packte, und auf die Straßen trieb. Was war der Moment, der sie dazu bewegte, ihr Leben verändern zu wollen? Und was davon findet sich heute noch in den Menschen wieder?

Lech Wałęsa , Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarność, wird durch die Straßen getragen. Copyright: W-film / Mira Film 

Fragmente und Zeitzeugen

Antworten auf diese Fragen finden sich zum einen in historischen Aufnahmen. Kurze Ausschnitte, die für einen Moment einen Eindruck in die Innenwelt der versammelten Menschen geben. Das können ruhig und bestimmt vorgetragene Forderungen eines Werftarbeiters in Danzig sein. Aber auch der von Tausenden geschriene Ausruf „Nieder mit dem Schah!“ auf Teherans Straßen. In beiden Momenten wird der Wunsch nach Veränderung – Verbesserung – deutlich.

Demonstrierende in Teheran mit Porträts von Ajatollah Ruhollah Chomeini, Copyright: W-film / Mira Film

Die Kraft, die dieser Wunsch in dem Moment hatte, ist auch in der Gegenwart zu spüren. Verschiedene Menschen – Zeitzeugen – erinnern sich an die Ereignisse und ihre Erwartungen zurück. Sie waren damals denkbar unterschiedlich beteiligt: Einer als Kameramann fürs Fernsehen, der die Werftarbeiter in Danzig filmte. Eine als Übersetzerin für die Studierenden, die die US-Botschaft besetzen. Ein anderer als Chauffeur des Autos, das Ajatollah Chomeini vom Flughafen abholte. Eine der Interviewten war zum Zeitpunkt der Revolution noch gar nicht geboren. Und trotzdem, sagt die junge Frau, sucht sie in den Bildern der Revolution nach ihrem Gesicht.

Die Revolution hinterlässt Spuren, nicht nur bei jenen, die damals mit streikten und auf die Straße gingen.

Der Journalist und Zeitzeuge Parviz Rafie in Teheran. Copyright: W-film / Mira Film

Der Figurant Hoessli

Hätte es nicht gereicht, die eine Seite der Revolution zu zeigen? Den einen Moment der Euphorie?

Nein, das hätte es nicht. Denn dann könnten wir nicht begreifen, was es war, dass die Menschen im Iran und in Polen zu überwinden hatten. Beziehungsweise, gegen wen sie sich da stellten. Ein jahrzehntelang etabliertes System zu Zugeständnissen zu bringen, ist das Gegenteil von selbstverständlich. Und dass dieses System diese Zugeständnisse auf Dauer zulässt, ist es ebenfalls nicht.

Polens Erster Sekretär Edward Gierek verteilt und erhält Blumen anlässlich der Staatsfeier am 1. May 1980. Copyright: W-film / Mira Film

Quasi im Kontrast zu den anderen Stimmen des Films lässt Andreas Hoessli diese Konter-Seite durch seine eigenen Erfahrungen sprechen. Während er in Polen als Doktorand tätig war, versuchte der polnische Geheimdienst ihn anzuwerben. Als „Hassan“ wurde er in den Akten geführt. Auszüge aus seiner Akte zeigen, wie gegen ihn vorgegangen wurde.

Ehemalige Agenten des Geheimdienstes erklären, wie Druck auf die „Figuranten“ aufgebaut wird, bis diese nachgeben. Diese Interviews zeigen das Gegenteil des revolutionären Geschehens. Nämlich bis ins kleinste Detail kalkulierte und berechnende Operationen. Ein erschreckender Kontrast.

13. Dezember 1981: Die polnische Staatsführung erklärt den Kriegszustand und sendet das Militär gegen streikende Arbeiter. Copyright: W-film / Mira Film

Aber nicht so erschreckend wie die anderen Bilder, die es ebenfalls im Film gibt. Aufnahmen von einer niedergeschlagenen Revolution in Polen. Und von einer Machtübernahme durch eine religiös-autoritäre Elite im Iran, deren Folgen sich dort noch heute finden.

Erschreckende Bilder, aber nicht ohne einen Lichtblick. Denn wenn der Film „Der nackte König“ etwas zeigt, dann, dass es fast unmöglich zu sein scheint, das Gefühl der Revolution zu vergessen. Und damit das Gefühl plötzlicher Verbundenheit mit zuvor fremden Menschen. Noch Jahrzehnte später sind Andreas Roessli und die Protagonist*innen seines Films von dem Sog der Revolution fasziniert.

Fazit des Films

Filmplakat, Copyright: W-film / Mira Film

„Der nackte König – 18 Fragmente über Revolution“ ist ein spannender Dokumentarfilm über die Revolutionen im Iran 1979 und in Polen 1980. Historisches Vorwissen ist hilfreich, aber nicht notwendig zum Verständnis des Films. Denn Regisseur Andreas Hoessli geht es nicht um eine genaue Darstellung der Ereignisse. Angelehnt an Kaszynski lässt sich sein Film vielmehr als eine psychologische Studie, ein erstes Kapitel in einem Buch verstehen. Spannend und eine Erzählung, die man sich auch mehrmals ansehen kann!

Stream – Online-Ausleihe

Der Dokumentarfilm „Der nackte König – 18 Fragmente über Revolution“, produziert von Mira Film, findet sich seit dem 11. Februar – pünktlich zum 42. Jahrestag der Islamischen Revolution im Iran im W-film Online-Kino. Sobald der Lockdown endet, wird „Der nackte König“ bundesweit auch im Kino zu sehen sein.

Wer den Film vor dem Kinostart sehen will, kann ihn auf der Seite von W-film als Stream für 7.99€ ausleihen oder als DVD vorbestellen. Auch die Möglichkeit zu einer Online-Vorführung ist gegeben, Kontakte finden sich auf der Seite von W-film.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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