Dass Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben vor Unglück fliehen und ihr Zuhause zurücklassen, ist traurigerweise ein Phänomen so alt wie die Menschheit selbst. Doch wie bei so vielen anderen negativen Erscheinungen setzt auch hier der Zweite Weltkrieg neue Standards. Erst als im Zuge des nationalsozialistischen Weltenbrands Millionen von Menschen ihre Heimat verlassen müssen, einigt sich die Staatengemeinschaft auf klare Regeln dazu, welche Rechte diese Menschen haben.
So unterzeichnet die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 28. Juli 1951 bei einer Sondersitzung in Genf ein völkerrechtliches Abkommen, das den offiziellen Namen „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ trägt. Besser bekannt ist es als Genfer Flüchtlingskonvention. Drei Jahre später tritt diese in Kraft.
Weltkriege als Auslöser
Bis heute bildet sie die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts. So definiert sie, wer überhaupt ein:e Geflüchtete:r ist und welchen rechtlichen Schutz, Hilfen und soziale Unterstützung die unterzeichnenden Staaten diesen Menschen gewähren müssen. Ebenso hält das Abkommen die Pflichten fest, die ein:e Geflüchtete:r in dem Land zu erfüllen hat, in dem er Schutz sucht. Dabei geht es vor allem um die Einhaltung der Gesetze vor Ort.
Die Genfer Flüchtlingskonvention ist dabei nicht der erste Versuch, Menschen auf der Flucht rechtlich einzuordnen. Bereits seit den 1920er Jahren gibt es im Rahmen des Völkerbundes, der mit wenig Erfolg gesegneten Vorgängerorganisation der UNO, Bemühungen, Menschen in internationalen Flüchtlingsströmen Hilfe zukommen zu lassen. Auch hier sind es vor allem Ereignissen rund um und im Anschluss an den Ersten Weltkrieg, die diese Notwendigkeit schmerzhaft vor Augen führen.
Gültig in der ganzen Welt?
Die Genfer Flüchtlingskonvention entsteht dann aber erst aus den Erfahrungen in Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung im Zweiten Weltkrieg heraus. Nach dessen Ende sind in Europa etwa zwei Millionen Menschen auf der Flucht. Zunächst möchte die Konvention auch nur diese ganz konkrete Herausforderung bewältigen, gar nicht das Problem Flucht generell behandeln. So bezieht sich das Abkommen zunächst nur auf Personen, die vor dem 1. Januar 1951 in Europa (!) zu Geflüchteten wurden.
Flucht und Vertreibung enden aber nicht nach dem Zweiten Weltkrieg, es besteht weiterhin Handlungsbedarf. Deshalb hebt das sogenannte Protokoll von New York („Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“) die bisher geltenden zeitlichen und geographischen Einschränkungen 1967 auf. Seither ist die Genfer Flüchtlingskonvention universell gültig. Aktuell sind 149 Staaten Unterzeichner des Abkommens bzw. des Protokolls von New York.
Der Kern des Abkommens
Nun aber zum konkreten Inhalt. Zunächst definiert das Abkommen in Artikel 1a ganz grundsätzlich, auf wen diese Regeln zutreffen. Als Geflüchtete:r gilt eine Person, die
… aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will.
So weit, so gut. Wie Staaten mit diesen Menschen nun aber umgehen müssen, ist damit noch nicht geklärt. Diesbezüglich findet sich der zentrale Punkt in Artikel 33: das Prinzip der Nichtzurückweisung (Non-Refoulement). Zunächst einmal dürfen Geflüchtete also nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit ernsthaft bedroht ist – in der Regel also in das Land, das sie ursprünglich hinter sich gelassen haben. Dieses Recht verfällt erst dann, wenn von dem oder der Geflüchteten eine Gefahr ausgeht oder er oder sie ein schweres Verbrechen begangen hat.
Was Geflüchteten zusteht
Der grundsätzliche Schutz von geflüchteten Menschen ist damit also gesichert. Die Genfer Flüchtlingskonvention geht aber noch weiter und hält im Detail fest, welche Rechte ihnen im aufnehmenden Land zustehen. Dazu gehören unter anderem folgende Rechte:
- … auf Wohnraum (Art. 21)
- … auf Zugang zu Gerichten (Art. 16)
- … auf Bildung (Art. 22)
- … zur Bewegungsfreiheit innerhalb eines Gebietes (Art. 26)
- … auf Arbeit (Art. 17 und 19)
- … auf Religionsfreiheit (Art. 49)
- … auf die Ausstellung von Identität- und Reisedokumenten (Art. 27 und 28)
Die Umsetzung und Überwachung der Genfer Flüchtlingskonvention liegt beim Flüchtlingshilfswerk bzw. dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR, United Nations High Commissioner for Refugees). Seit 2016 hat Filippo Grandi dieses Amt inne. Die Partnerin des UNHCR in Deutschland ist die UNO-Flüchtlingshilfe. Darüber hinaus ist die Konvention eingegangen in die EU-Grundrechtecharta und in Deutschland beispielsweise in Artikel 3 des Asylverfahrensgesetzes und in das aktuelle Asylgesetz.
Erfolg mit Einschränkungen
Nachvollziehbarerweise kann aber kein Abkommen ewig Gültigkeit haben und ein Problem, das mit der Zeit bisweilen andere Gestalt annehmen kann, ohne Abstriche lösen. So gibt es mittlerweile auch Kritik an der jetzigen Form der Konvention. Beispielsweise beschreibt das Genfer Abkommen etwa die Zerstörung der Lebensgrundlage, z.B. durch Umweltveränderungen im Zuge des Klimawandels, nicht als legitime Fluchtursache. Befürworter:innen hingegen sagen, Zusatzprotokolle der Konvention ließen diese Interpretation durchaus zu – explizit aufgeführt ist dieser Grund aber nicht.
Außerdem wird die Konvention immer wieder umgangen, auch von Deutschland bzw. der Europäischen Union. So verurteilt die UNO etwa den Einsatz von Frontex im Mittelmeer regelmäßig als nicht mit der Konvention vereinbar und auch der „Flüchtlings-Deal“ mit der Türkei von 2016 wirft ernsthafte Zweifel auf. Sanktionen kann die UNO aber nicht verhängen. Entsprechend müssen die Geflüchteten selbst in den Ländern, in die sie geflüchtet sind, ihre Ansprüche vor Gericht gelten machen.
Doch auch wenn das alles erst einmal sehr ernüchternd klingt, bezeichnen viele Expert:innen die Genfer Flüchtlingskonvention als Erfolgsgeschichte. Wie viele Menschenleben sie letztlich gerettet hat, ist allerdings kaum zu sagen. Viel wichtiger ist am Ende aber wohl sowieso die Frage, warum die Genfer Flüchtlingskonvention so viele Jahrzehnte nach ihrer Verabschiedung überhaupt immer noch gebraucht wird, warum aktuell mehr Menschen als jemals zuvor zur Flucht gezwungen sind.
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