Demokratiegeschichten

April 1946: Der Völkerbund besiegelt förmlich sein eigenes Ende

Gewaltsame Konflikte und Kriege gehören seit jeher zum Zusammenleben menschlicher Gemeinschaften. Vermutlich genauso alt ist aber auch der Wunsch, diesem scheinbar unentrinnbaren Fluch zu entkommen. Am 18. April 1946 löst sich eine internationale Organisation auf, die sich diesem Ziel auf globaler Ebene verschrieben hat: der Völkerbund.

Nach nicht einmal drei Jahrzehnten seiner Existenz beschließen dessen Mitglieder die Selbstauflösung. Den Völkerbund deshalb als grundsätzlich gescheitert zu verurteilen, wäre allerdings zu kurz gedacht. Vielmehr ist seine Geschichte ein vorsichtig hoffnungsvolles Drama mit Fortsetzung.

Der Krieg, der alle Kriege beendet?

Die Idee einer internationalen Organisation, in der Staaten ihre Konflikte friedlich lösen sollen, ist nicht neu. Bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert beschließen die Herrscher mehrerer Staaten grundsätzliche Regelungen zu Abrüstung und fairer – für manche an sich ein Paradoxon – Kriegsführung. Eine feste Institution kommt dabei aber nicht zustande. Erst das unvorstellbare Grauen des Ersten Weltkriegs bringt schließlich das Fass zum Überlaufen.

Ein französischer Angriff auf einen deutschen Schützengraben während des Ersten Weltkriegs, August 1917. Quelle: gemeinfrei

Auf Initiative des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, der die Idee einer Friedensorganisation in seinem 14-Punkte-Programm für eine Nachkriegsordnung aufgreift, gründen 32 Staaten am 10. Januar 1920 den Völkerbund (Englisch: League of Nations). Diese alliierten Staaten, die den Weltkrieg gewonnen haben, möchten künftig den Frieden durch internationale Konfliktregelungen, Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie durch ein System der kollektiven Sicherheit bewahren. Krieg soll nunmehr kein akzeptables Mittel der Politik mehr sein.

Nicht alle machen mit

US-Präsident Woodrow Wilson, 1919. Quelle: Library of Congress, gemeinfrei

Die Satzung des Völkerbundes ist Teil des Versailler Vertrags und tritt deswegen gleichzeitig mit diesem in Kraft. Allerdings sind diejenigen, die diesen Friedensvertrag nicht unterschreiben, somit (zunächst) auch nicht Teil des Völkerbundes. Die Vereinigten Staaten, auf deren Präsident die Idee dieser Staatenliga überhaupt erst zurückgeht, treten dem Bund sogar niemals bei. Denn der US-Senat verweigert die Ratifizierung des Friedensvertrags und damit auch die der Völkerbundsatzung.

Diesen Geburtsfehler des Völkerbundes kann leider auch die Tatsache nicht wettmachen, dass schnell weitere, nicht am Weltkrieg beteiligte Staaten hinzukommen. Auch der Sitz des internationalen Bundes wird auf neutralen Boden angesiedelt: Die Mitglieder treffen sich – erstmals am 15. November 1920 – in Genf.

Am Ende entscheiden doch die Großmächte

Alle Mitgliedsstaaten verfügen in der einmal jährlich zusammentretenden Völkerbundversammlung über eine Stimme. So gut wie alle Beschlüsse müssen einstimmig gefasst werden. Dieses Prinzip schränkt die Handlungsfähigkeit der Liga von Anfang an erheblich ein. Zudem verlässt sich die Versammlung meist auf die Empfehlungen eines anderen Gremiums.

Dieser Völkerbundrat besteht zum einen aus ständigen Mitgliedern: Großbritannien, Frankreich, Italien (bis 1937), Japan (bis 1933), das Deutsche Reich (von 1926 bis 1933) und die UdSSR (von 1934 bis 1939). Zum anderen gehören dem Gremium zwölf nichtständige Mitglieder an, die immer wieder wechseln. Dadurch haben die Großmächte gegenüber kleineren Nationen automatisch eine herausgehobene Stellung innerhalb der Staatenliga.

Das Haus des Völkerbundrates in Genf, Januar 1931. Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-11045 / CC-BY-SA 3.0

Die Satzung des Völkerbundes sieht vor, dass sich alle Mitgliedstaaten verpflichten, jedem anderen angegriffenen Mitglied sofort und direkt militärische Hilfe zukommen zu lassen. Im Grunde könnte dies als wirkungsvolle Abschreckung gegen mögliche Aggressoren dienen. Wie genau und in welchem Umfang diese militärische Unterstützung für andere Mitgliedstaaten aber im Einzelfall aussieht, entscheidet jeder Staat für sich selbst.

Zu tun gibt es genug

Mehr als 40 Fälle landen zwischen 1920 und 1939 vor dem Völkerbund. Zunächst kann die Liga sogar einige Erfolge bei der Schlichtung einiger dieser Konflikte vorweisen, etwa zwischen Finnland und Schweden sowie zwischen Bulgarien und Griechenland. Dabei handelt es sich aber in der Regel um „kleinere“ Konflikte, an denen die Großmächte nicht beteiligt sind. Doch auch in den Bereichen Dekolonisation, Hungerbekämpfung und Geflüchtetenbetreuung setzt der Völkerbund Maßstäbe.

Dramatischere Fälle wie etwa der Ruhrkonflikt, der Spanische Bürgerkrieg und die Sudetenkrise werden hingegen gar nicht erst im Rahmen des Völkerbundes verhandelt. Seine offenkundige Ohnmacht zeigt der Bund zunächst beim Angriff Japans auf China 1931 und dann endgültig beim italienischen Überfall auf Abessinien vier Jahre später. Die vom Bund verhängten Sanktionen verpuffen wirkungslos, da die USA und das Deutsche Reich sie schlicht ignorieren.

Italienische Truppen in der abessinischen Hauptstadt Adis Abbeba, Mai 1936. Quelle: gemeinfrei

Auch die Versuche des Völkerbunds, das nationalsozialistische Deutschland diplomatisch von dessen Expansionsbestrebungen abzuhalten, scheitern. Es häuft ungebremst Waffen und Kriegsgerät an und bereitet sich ohne Unterlass auf einen Krieg vor, der noch schrecklicher und verheerender sein wird als der Weltkrieg von 1914 bis 1918. Das wichtigste Ziel des Völkerbunds, Abrüstung und Rüstungskontrolle, kann die Organisation also nicht erfüllen.

Ein weiteres Opfer des Zweiten Weltkriegs

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs tritt der Völkerbund dann immer weiter in den Hintergrund. 1939 treten die Mitglieder zwar noch einmal zusammen, um die Sowjetunion nach ihrem Überfall aus Finnland auszuschließen. Doch das ist nur noch ein verzweifelter Versuch, die eigenen Ideale aufrechtzuerhalten in einer ins Chaos stürzenden Welt.

Nach dem Beginn des deutschen Westfeldzugs verbleibt dann nur das Generalsekretariat in der Schweiz. Alle anderen Bereiche werden zur Sicherheit in die USA, Kanada und Großbritannien verlagert. Die meisten Mitgliedstaaten stellen im weiteren Verlauf des Krieges darüber hinaus ihre Beitragszahlungen ein – der Völkerbund wird irrelevant.

Als 1945 die Vereinten Nationen gegründet werden, wird der Völkerbund endgültig obsolet. Der Eindruck, dass es sich bei der UNO um die Nachfolgeorganisation und idealerweise eine bessere Version des Völkerbundes handelt, soll durch die gleichzeitige Existenz beider Organisationen verhindert werden – erfolglos. Denn die Vereinten Nationen übernehmen nicht nur die Grundidee des Vorgängers, sondern auch Teilinstitutionen und Aufgaben.

Der geglückte zweite Versuch

Die Selbstauflösung durch die Mitglieder mit sofortiger Wirkung erfolgt am 18. April 1946 auf der 21. Völkerbundversammlung. Die Gründe hierfür lassen sich leicht aufzählen: Zu keinem Zeitpunkt gehören dem Bund alle Groß- und Mittelmächte an; die Satzung des Völkerbundes sieht kein absolutes Kriegsverbot vor; Beschlüsse des Bundes werden häufig von einzelnen Mitgliedern aus Eigeninteresse blockiert und auch die generelle Zurückhaltung der Mitglieder, einen Teil ihrer Souveränität an eine derartige Institution abzugeben, trägt nicht gerade zu einem erfolgreichen Gelingen bei. Außerdem beruhen alle Maßnahmen des Völkerbundes auf der Freiwilligkeit der Mitglieder. So hat die Organisation letztlich keine Werkzeuge, um die Durchsetzung ihrer Beschlüsse sicherzustellen.

Ein Emblem des Völkerbundes, das 1939 auf der New Yorker Weltausstellung verwendet wurde. Quelle: Archiv des Völkerbundes, CC BY-SA 4.0

Trotzdem sind die grundlegenden Ansätze und Ideen des Völkerbundes richtig und eine Organisation, die sich der friedlichen Konfliktregelung verschrieben hat, muss es in jedem Fall geben. Beim Völkerbund waren schlicht nicht alle Stellschrauben korrekt eingestellt – oder er war seiner Zeit vielleicht einfach voraus. So benötigte es tragischerweise mehr als einen Weltkrieg, um die Existenz einer solchen Organisation, dann in Form der Vereinten Nationen, langfristig zu garantieren. Und auch wenn es bis heute viel berechtigte Kritik an der UNO gibt – eine Welt ohne sie wäre sicherlich ein gefährlicherer Ort.

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Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

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