Demokratiegeschichten

Freiheit für alle: Die Edmonson-Schwestern

Über die europäische Dimension der Revolution von 1848/49 haben wir bereits berichtet. Beispielsweise darüber, wie diese im Februar 1848 startete und auf andere Länder und Fürstentümer übergriff. So etwa auf Österreich, Baden und auch Preußens Hauptstadt Berlin.

Die Revolution hatte aber sogar Auswirkungen auf der anderen Seite des Atlantiks, nämlich in den USA. Dort, in einer bereits bestehenden Demokratie, feierten die Menschen die neuen Freiheiten für die Europäer:innen. Doch im eigenen Land waren keineswegs alle Menschen frei. Ein paar von ihnen nutzten die Gunst der Stunde, um aus der Unterdrückung zu entkommen. Die Geschichte von zwei von ihnen, Mary und Elisabeth Edmonson, ist der Kern unserer heutigen Demokratiegeschichte.

Die Familie Edmonson

Mary und Emily Edmonson, Ende 1848; Foto: gemeinfrei/Wikipedia.

Mary und Elisabeth waren zwei von 14 Geschwistern. Sie lebten mit ihrer Familie in Montgomery County, Maryland. Ihre Vorfahren waren aus Afrika als Sklaven nach Amerika verschleppt worden. Zwar war ihr Vater nach dem Tod seines Besitzers testamentarisch frei, doch ihre Mutter war weiterhin versklavt. Da schwarze Kinder bei Geburt den Status der Mutter erbten, gehörten die Schwestern und ihre Geschwister von Geburt an der Besitzerin ihrer Mutter. Alles Geld, was sie durch Arbeit verdienten, ging direkt an ihre Besitzerin. Diese „vermietete“ die Schwestern als Dienstmädchen an wohlhabende Familien im nahegelegenen Washington D.C.

Nicht überall in den USA war Sklaverei legal. In einigen nördlichen Staaten war diese bereits verboten. Als sich in den Vereinigten Staaten die Neuigkeiten von der Revolution in Europa verbreiteten, feierten viele Amerikaner:innen dies. In Washington sollte zur Feier der neuen Freiheiten für Europa sogar ein Fest stattfinden. Auch Samuel Edmonson, ein Bruder der Schwestern, hörte davon und diskutierte mit seinen Freunden darüber. Warum, so ihre Gedanken, sollte die Freiheit von Menschen auf einem Kontinent gefeiert werden von Leuten, die in ihrer eigenen Heimat Menschen als Sklaven unterdrückten?

… Senator Foote and all the rest of them [are] rejoicing that liberty and freedom from oppression have come to people thousands of miles away, while right here under the very sound of their voices, is a race of people who they themselves are holding in the very worst sort of human slavery.

Women History Blog, Edmonson sisters.

Der Fluchtversuch

Gemeinsam mit seinen Freunden schmiedete Samuel einen Plan: Mit einem Schiff wollten sie Washington verlassen und Richtung New Jersey segeln. Würden sie ihr Ziel erreichen, wären sie frei.

Auch seinen Schwestern erzählte er von dem Plan. Die zwei Schwestern und vier ihrer Brüder versteckten sich am 15. April 1848 auf der Pearl. Sie waren nicht alleine: Insgesamt 77 Schwarze Menschen versuchten mit dem Segelschiff in die Freiheit zu entkommen. Ursprünglich war nur die Flucht von sieben Menschen geplant gewesen. Doch der Plan hatte sich herumgesprochen. So wurde er zum größten Fluchtversuch Schwarzer Sklav:innen in den USA. Die zwei Kapitäne des Schiffs – beide weiß – waren in den Plan eingeweiht, hatten aber nicht mit der Anzahl an Leuten gerechnet.

Der Gedenkstein an den Fluchtversuch in der alten Werft Washingtons.

Letztlich war es schlechtes Wetter, was den Plan scheitern ließ. Aufgrund wechselnder Gezeiten verzögerte sich die Abfahrt. Dann sorgten starke Winde dafür, dass die Pearl an einem weiteren Hafen ungeplant ankern musste. In Washington hatten derweil mehrere Sklavenhalter:innen das Verschwinden bemerkt und sich zusammengetan, um die Geflüchteten zurückzuholen. Mit einem Dampfboot fuhren sie der Pearl hinterher, holten sie ein und schleppten sie nach Washington zurück.

Als die Pearl in Washington anlegte, wartete ein wütender Mob auf sie. Die zwei Kapitäne brachten sich in Sicherheit, weil Sklavereibefürworter:innen sie angriffen, da sie ihr „Recht auf Eigentum“ bedrohten. Die geflüchteten Sklav:innen wurden ins Gefängnis gebracht. Reue zeigten sie allerdings nicht: Auf die Frage, ob sie sich nicht schämten, antwortete Emily, sie würde jederzeit wieder so handeln. Emily war zu dem Zeitpunkt 13 Jahre, Mary 15 oder 16 Jahre alt.

Nach dem Fluchtversuch

Der Fluchtversuch sorgte für viel Aufmerksamkeit. Drei Tage lang griffen Sklavereibefürworter:innen Anti-Sklaverei Betriebe und Druckereien von Sklavereigegner:innen an, um die Bewegung der Abolitionist:innen (lat. Abschaffung, Aufhebung) zu unterdrücken. Die Gesellschaft in den USA war in der Frage der Sklaverei gespalten.

Viele der Sklavenhalter:innen verkauften die geflüchteten Sklaven, um sie nicht bei einer erneuten Flucht zu verlieren. Auch die Edmonson-Geschwister sollten verkauft werden; in den Süden, wo es versklavten Menschen oft noch schlimmer erging. Ein Gelbfieber-Ausbruch in New Orleans verhinderte zunächst den Verkauf, die Mädchen wurden nach Alexandria zurück gebracht. Dort arbeiteten sie tagsüber in der Wäscherei eines Sklavenhändlers, nachts wurden sie eingeschlossen. Am Ort des damaligen Geschehens steht heute eine Statue der Schwestern.

Die Bronze der Schwestern in der Duke Street in Alexandria VA. Foto: Bronzecastman/Wikimedia.

Das Schicksal der Geflüchteten, insbesondere der zwei Schwestern, bewegte viele Menschen. New Orleans war bekannt dafür, dass man hier junge Mädchen, insbesondere solche mit relativ heller Haut, in die Prostitution verkaufte. Die Edmonson-Schwestern entgingen diesem Schicksal. Ihr Vater Paul sammelte mit Hilfe einer Kirchengemeinde aus New York Spenden, sodass er seine Töchter im November 1848 freikaufen konnte. Ihrem ältesten Bruder Hamilton, der bereits frei war, gelang es, zwei ihrer Brüder freizukaufen. Durch weitere Spenden und die Hilfe der anderen Geschwister gelang es nach und nach, alle Geschwister aus der Sklaverei frei zu kaufen.

Leben in Freiheit

Kurz nach ihrer Befreiung zogen Emily und Mary nach New York. Durch die weitere Unterstützung der Kirchengemeinde konnten sie hier eine Schule besuchen. Um sich selbst zu finanzieren, arbeiteten sie zudem weiter als Dienstmädchen.

Außerdem nahmen sie an inszenierten Sklaverei-Auktionen teil. Henry Ward Beecher, Prediger der Gemeinde, die sie unterstützte, hielt diese inszenierten Auktionen ab, um Menschen von der Falschheit der Sklaverei zu überzeugen. Ausführlich erklärte er dem Publikum, was mit den Mädchen geschehen würde, würden sie verkauft werden. Oft spielten bei den Auktionen Mädchen oder Frauen wie die Edmonson-Schwestern mit, die eine helle Haut hatten. Beecher hoffte, so die Sympathie der weißen Anwohner:innen zu erhalten.

Im Sommer 1950 nahmen sie an der „Fugitive Slave Convention“ in Cazenowia, New York teil. Hier trafen sich ehemalige und geflüchtete Sklav:innen sowie führende Abolitionist:innen, um gegen ein geplantes Gesetz zu protestieren. Dieses sollte es Sklavenbesitzer:innen möglich machen, ihre geflüchteten Sklav:innen auch aus den Nordstaaten zurückzuholen. Unter den Teilnehmenden war auch Frederick Douglass, einer der einflussreichsten (Schwarzen) Abolitionisten und Aktivisten der amerikanischen Geschichte.

Die Edmonson-Schwestern (weiße Hüte, stehend) und Frederick Douglass (links am Tisch sitzend) auf der Fugitive Slave Convention. Bild: Ezra Greenleaf Weld. 

Spätere Lebensjahre

1853 zogen die Schwestern ins Oberlin College in Ohio. Unterstützung erhielten sie weiterhin von Beecher und seiner Schwester Harriet Beecher Stowe, der Autorin von Onkel Toms Hütte. Die Schule hatte sowohl weiße als auch Schwarze Schülerinnen und war ein Zentrum des Abolitionismus.

Eine Szene aus Onkel Toms Hütte. Der Anti-Sklaverei-Roman wurde zu einem Weltbestseller, geriet aber gerade im 20. Jahrhundert auch in die Kritik. Bild: Wikimdia.

Sechs Monate nach ihrer Ankunft starb Mary Edmonson an Tuberkulose. Emily kehrte daraufhin mit ihrem Vater nach Washington zurück, wo sie eine Schule für Schwarze besuchte. Hier wurde sie zur Lehrerin ausgebildet, eine Tätigkeit, die sie neben ihrem Aktionismus ihr Leben lang ausübte.

1860 heiratete Emily Larkin Johnson, das Paar zog nach Maryland. 12 Jahre später zogen sie nach Anastocia in Washington D.C., wo sie zu den Gründungsmitgliedern der Hillsdale Gemeinde gehörten. Mit Frederick Douglass, der ebenfalls in Anastocia lebte, verband Emily eine lebenslange Freundschaft.

1862 wurde die Sklaverei in den USA abgeschafft. Dies war nicht das Ende der Ausbeutung und Diskriminierung Schwarzer in den USA. In der Gesellschaft verankerter (institutioneller) Rassismus ist heute nach wie vor ein großes Problem – auch in Deutschland und anderen Ländern.

Trotzdem ist es wichtig, diesen Schritt als einen Schritt in die Richtung zu sehen. Auch deshalb, damit der Einsatz und der Mut von Menschen wie Emily und Mary Edmonson anerkannt wird.

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Über uns 
Annalena B. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinatorin im Bereich Demokratiegeschichte.

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