Demokratiegeschichten

Das Inkrafttreten der Freiheit – der Slavery Abolition Act

Im 19. Jahrhundert steigt Großbritannien zur mächtigsten Nation der Welt auf. Die britische Regierung herrscht zum Zeitpunkt der größten Ausdehnung des British Empire (1922) über mehr als 450 Millionen Menschen, also etwa ein Viertel der Weltbevölkerung. So haben die Entscheidungen, die in London getroffen werden, lange Zeit Einfluss auf Menschen auf allen Kontinenten. Auch am 1. August 1834 ändert sich, zumindest auf dem Papier, für viele Hunderttausend versklavte Menschen ihr Leben, als der Slavery Abolition Act in Kraft tritt und die Sklaverei beendet.

Dieser ist ein vom britischen Parlament verabschiedetes Gesetz, welches die Sklaverei im Britischen Weltreich endgültig abschafft und verbietet. Damit erweitert das Gesetz den Slave Trade Act von 1807, der bereits den Handel von Sklav:innen untersagt. Wer aber bereits Sklav:innen besitzt, darf diese auch nach 1807 behalten. Der Slavery Abolition Act soll dem nun ein Ende setzen.

Weltkarte mit den rot markierten Gebieten des Britischen Weltreichs 1897. Quelle: Cambridge University Library, gemeinfrei.

Aus Unmenschlichkeit gewonnener Reichtum

Die moderne Sklaverei geht auf das späte 15. Jahrhundert zurück und nimmt im darauffolgenden Jahrhundert massiv an Intensität zu. Im Grunde beteiligen sich alle europäischen Kolonialmächte daran, so eben auch Großbritannien. Die Briten investieren besonders seit Mitte des 17. Jahrhunderts stark in den Sklavenhandel: Bis zur Abschaffung der Sklaverei in den 1830er Jahren werden schätzungsweise dreieinhalb Millionen Afrikaner:innen auf britischen Schiffen in die Neue Welt verschleppt und dort verkauft.

Insgesamt deportieren europäische Kolonialmächte im Rahmen des sogenannten Atlantischen Dreieckshandels mindestens zwölf Millionen Menschen aus Afrika, manche Schätzungen gehen sogar von 17 Millionen aus. Sie tauschen Waren aus Europa an der westafrikanischen Küste gegen Gefangene, verschleppen sie in die Amerikas und zwingen sie dort vor allem zur Arbeit auf Plantagen.

Der Transport von verschleppten Menschen in Ostafrika durch arabische Sklavenhändler (1866). Quelle:The last journals of David Livingstone in Central Africa, from 1865 to his death, gemeinfrei

Anschließend transportieren sie die Erzeugnisse dieser Arbeit – beispielsweise Kaffee und Baumwolle – zurück nach Europa und verkaufen sie dort gewinnbringend. Großbritannien profitiert vor allem vom Zuckeranbau und -verkauf und finanziert dadurch indirekt nicht zuletzt die Industrialisierung im Mutterland. Außerdem trägt der Sklavenhandel maßgeblich dazu bei, London zu einem globalen Finanzzentrum zu machen.

Rassismus als Notwendigkeit

Die europäischen Sklavenhändler nehmen den aus Afrika Verschleppten ihre Heimat, Kultur und Identität. Sie reißen sie aus ihrem sozialen Netzwerk, trennen Eltern von ihren Kindern und werfen sie in ein Leben voller Schmerz und Tod. Letztlich sprechen sie ihnen ihr Menschsein ab und nehmen ihnen alle Rechte. So machen sie die Menschen zur Ware, deren einziger Wert nunmehr darin besteht, wie viel Profit sich mit ihnen und ihrer Arbeitskraft machen lässt.

Wirtschaftliche Gier und pervertiertes Streben nach Reichtum stehen hinter dieser grausamen Praxis, Moral und Menschlichkeit bleiben dabei vollständig auf der Strecke. Wichtig zu betonen ist: Die Europäer werden nicht zu Sklavenhändlern, weil sie Rassisten sind. Sie werden zu Rassisten, weil sie Sklavenhändler sind. Denn auch sie brauchen irgendeine Art von Erklärung, um ihr Handeln zu rechtfertigen. Diese finden sie im rassistischen Denken, dass bestimmten Gruppen von Menschen ihren Wert als solche abspricht und sie deshalb entsprechend unmenschlich behandelt werden können. Welche Gruppen welchen Wert hat, entscheiden stets die Weißen, die stets an der Spitze dieser diskriminierenden Hierarchie stehen.

Widerstand ums Überleben

Anhand derartiger Grausamkeiten stellt sich die Frage, warum sich die verschleppten Afrikaner:innen nicht wehren. Doch die Antwort darauf mag den einen oder die andere überraschen: Die verschleppten Afrikaner:innen leisten durchaus Widerstand. Wie wirkmächtig die Sklaverei und das dahinterstehende Denken bis heute sind, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass auch in der Geschichtsschreibung des Sklavenhandels den Verschleppten in vielen Fällen immer noch jegliche Agency abgesprochen wird. Ware sind sie selbstverständlich nicht mehr, aber als handelnde Akteur:innen treten sie trotzdem in den wenigstens Darstellungen auf.

Die Schlacht von Ravine-à-Couleuvres (1802) während der Haitianischen Revolution, an deren Ende die Gründung der ersten Schwarzen Republik steht. Quelle: Library of Congress, gemeinfrei

Doch schon auf den Sklavenschiffen selbst gibt es unzählige Rebellionen und Aufstände bis hin zur Übernahme der Bote, die anschließend umkehren und zurück nach Afrika segeln. Auch nach der Ankunft in den Amerikas geben sich viele Verschleppte nicht einfach so ihrem Schicksal hin. Arbeitsverweigerung, Ungehorsam, Sabotage und Flucht gehören zu diesem widerständigen Verhalten und waren keine Seltenheit.

Auch nach der Ankunft in den europäischen Kolonien kommt es immer wieder zu organisierten Sklavenaufständen. Die meisten schlagen die Herrschenden brutal nieder. Doch einer davon führt in der französischen Kolonie Saint Domingue sogar zur Gründung der Schwarzen Republik Haiti. Dass diese Tatsachen nichts an der haarsträubenden Grausamkeit des Systems Sklaverei ändern, steht außer Frage. Aber der Widerstand gegen die Sklaverei von den Versklavten selbst gehört trotzdem zu deren Geschichte und hilft, die Verschleppten als das zu sehen, was sie sind: handelnde und denkende Menschen.

Eine Bewegung der späten Einsicht

Die Sklaverei – nicht nur, aber auch im britischen Kolonialreich – scheint lange Zeit naturgegebenen Regeln zu folgen. Doch am 28. August 1833 verabschieden beide Kammern des Parlaments in London den Slavery Abolition Act und erklären alle Sklav:innen im Britischen Weltreich für frei. Damit sind die Ziele des Abolitionismus, der Bewegung, die sich seit nahezu einem halben Jahrhundert vor allem aus religiöser Überzeugung für die Abschaffung der Sklaverei einsetzt, zumindest rechtlich gesehen erfüllt.

Das House of Parliament in London (vor 1834). Quelle: Day & Haghe, gemeinfrei

Seit den 1780er Jahren entwickelt sich der Abolitionismus von einer zunächst nur kleinen Gruppe zu einer Massenbewegung, die sich mit Demonstrationen, Petitionen, Vorträgen und einem Zuckerboykott Gehör und Einfluss verschafft. Zunächst gehen die Abolitionist:innen davon aus, dass das Verbot des Sklavenhandels 1807 reichen würde, das wirtschaftliche System der Sklaverei zum Einsturz zu bringen. Doch die benötigten Arbeitskräfte können im Großen und Ganzen aus den Nachkommen der zu diesem Zeitpunkt bereits versklavten Menschen rekrutiert werden. Das System hält sich zunächst selbst am Leben.

Die nächste Generation von Abolitionist:innen geht deshalb noch radikaler vor und fordert ab 1823 die komplette Abschaffung der Sklaverei – und zwar sofort. Es dauert dann allerdings trotzdem noch zehn Jahre, bis das britische Parlament – nachdem die Abolitionist:innen eineinhalb Millionen Unterschriften vorlegen – am 28. August 1833 die Sklaverei im Britischen Weltreich verbietet.

Das Ende, das kein richtiges ist

Doch auch an dieser Stelle darf nicht vergessen werden: Es ist nicht nur die Nächstenliebe, Einsicht und das Engagement der Weißen, die die Sklaverei zu Fall bringen. Die Sklavenrebellionen und Aufstände erschüttern das Britische Kolonialreich durchaus, auch wenn sie das System nicht direkt zu Fall bringen. Außerdem wird der Sklavenhandel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts finanziell zunehmend unrentabel. Die Rolle des Abolitionismus sollte selbstverständlich keineswegs unterschätzt werden. Der einzige Faktor, der das himmelschreiende Unrecht der Sklaverei im Britischen Weltreich zu einem Ende bringt, ist er aber auf jeden Fall nicht.

Sklavinnen bei der Arbeit auf einer Baumwollplantage im Süden der USA, während sie von einem weißen Aufseher bewacht werden (um 1850). Quelle: unbekannt, gemeinfrei

In anderen Ländern endet der Schrecken darüber hinaus damit nicht, in abgewandelten Formen gibt es der sklavereiähnliche Arbeitsverhältnisse bis heute. Auch im Vereinigten Königreich und seinen Kolonien haben die begangenen Ungerechtigkeiten mit dem Inkrafttreten des Slavery Abolition Act damit noch kein Ende.

Auch wenn ca. 800.000 Schwarze Menschen die Freiheit erhalten, müssen sie zunächst als „Lehrlinge“ einige Jahre weiter für ihre vorherigen Besitzer arbeiten, Wiedergutmachungen erhalten sie nicht. Vielmehr werden die ehemaligen Besitzer für ihren „Verlust“ vom britischen Staat entschädigt, Schätzungen gehen von 20 Millionen Pfund aus. Eine Summe, deren heutiger Wert etwa 20 Milliarden Pfund beträgt. Den dafür aufgenommenen Kredit kann das Vereinigte Königreich erst 2015 endgültig tilgen.

Artikel Drucken
Über uns 
Ulli E. arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. als Projektkoordinator im Bereich Demokratiegeschichte.

0 Kommentare

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert