Demokratiegeschichten

Die Mainzer Republik – Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland

Dr. Peter Lautzas ist Historiker, war von 2002-2012 Bundesvorsitzender des Verbands der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) und ist seit 2015 Vorsitzender des Stadthistorischen Museums Mainz.

Der Impuls für eine demokratische Bewegung und der Anstoß zur Errichtung eines demokratischen Staatswesens in Deutschland kam von außen, vom benachbarten revolutionären Frankreich, das 1789 Absolutismus und Feudalismus hinter sich gelassen hatte. Der Versuch des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation mit Österreich und Preußen die Revolution niederzuschlagen und Ludwig XVI. zu Hilfe zu eilen, misslang im September 1792 in Ostfrankreich bei Valmy. Im Zuge eines Gegenstoßes nach Osten aus dem damals französischen Raum Landau kapitulierte am 21. Oktober das stark und modern befestigte Mainz, Hauptstadt des gleichnamigen Kurfürstentums, panikartig vor der schwachen, aber entschlossenen Revolutionstruppe des General Custine.

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Johann Wolfgang von Goethe: Freiheitsbaum in Luxemburger Landschaft, 1793: In dem Schild steht „Passans – cette terre est libre“ – „Reisende, dieses Land ist frei“; Foto: Wikimedia

Die Franzosen kamen dabei nicht als Eroberer, sondern als Befreier, traten auch so auf und verbrüderten sich mit der Bevölkerung.

Sie trafen auf eine liberale und reformfreudige Stadt. In Mainz hatte durch den Kurfürsten Friedrich Karl Joseph von Erthal und seine beiden Vorgänger in den letzten Jahrzehnten der aufgeklärte Absolutismus Einzug gehalten. Die Franzosen suchten nun, die Menschen von den neuen Freiheitsideen zu überzeugen: Befreiung aus feudaler Abhängigkeit, Gleichheit aller Bürger und deren Mitgestaltung ihres Staates durch das allgemeine Wahlrecht.

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Tanz um den Freiheitsbaum, Gemälde eines unbekannten deutschen Künstlers, um 1792/1795. (Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte des Bundesarchivs)

Freundliche Begegnung

Georg Foster um 1785, Gemälde von
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein; Foto: Wikimedia

Das den neuen Ideen aufgeschlossene Mainz begegnete den Franzosen freundlich. Der Kurfürst mit seiner Verwaltung zusammen mit dem Adel waren geflohen. Noch im Oktober 1792 bildete sich ein Jakobiner-Club, die „Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit“. Bald umfasste der Club 500 Mitglieder. Ihm gehörten namhafte Mainzer Bürger an wie Georg Forster, Friedrich Lehne, Georg von Wedekind und Georg Wilhelm Böhmer. Wobei Handwerker und kleine Kaufleute 45 % der Mitglieder ausmachten.

Die Bemühungen des „Clubs“ waren darauf gerichtet, einen neuen freiheitlichen Staat in Form einer Republik zu formen und zu organisieren.

Sitzung des Jakobinerclubs in Mainz 1792; Bild: GDKE RLP, Landesmuseum Mainz.

Eine Wende in den Beziehungen setzte nun aber Ende 1792 ein. Im Dezember trat, verursacht durch die für Frankreich schlechter werdende militärische Lage, eine Radikalisierung der Revolution ein. Diese führte in Mainz und in den eroberten linksrheinischen Gebieten dazu, dass die Franzosen vor der Zulassung zu einer Abstimmung der Bevölkerung über ihr Schicksal einen Eid auf die Ziele der Revolution von Freiheit und Gleichheit verlangten.

Radikale Phase

Damit beginnt eine neue, radikale Phase der Verbreitung freiheitlicher Ideen in Form eines massiven Drucks auf die Bevölkerung. Als Folge davon Folge regte sich in Mainz zunehmender Widerstand. Vor allem seitens der privilegierten und besitzenden Schichten, was zur Ausweisung von ca. 1000 Eidverweigerern und zum Einzug ihres Vermögens führte. Bemerkenswert ist aber, dass es bei Drohgebärden u.a. in Form aufgestellter Galgen blieb. Im Vergleich zum jakobinischen Terror zur gleichen Zeit in Paris kam es in Mainz zu keinen Hinrichtungen.

Als in Deutschland erstmals gewähltes Parlament verkündete der „Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent“, dem 130 Deputierte aus den linksrheinischen deutschen Landen angehörten, am 18. März 1793 sein erstes Dekret. Aus diesem ging hervor, dass das genannte Gebiet „von jetzt an einen freyen, unabhängigen, unzertrennlichen Staat“ bilde.

Protokollbuch des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents, Bild: Sig. 11 / 82_Vorderdeckel, Stadtarchiv Mainz.

Diese Situation rief den entschlossenen Widerstand des Reiches hervor und unter preußischer Führung wurde die Stadt belagert, ab April 1793 eingeschlossen und in der Folge beschossen. Dieses für die damalige Zeit einmalige Ereignis rief größte Aufmerksamkeit und große Bestürzung in den deutschen Landen hervor, wurde auch medienwirksam vermarktet. Wichtige Gebäude gingen in Flammen auf, jedoch fanden nur sieben Zivilisten den Tod. Die hohen Verlustzahlen, die kursierten und bis heute in der Literatur zu finden sind, bezogen sich also ausschließlich auf die Opfer in den Gefechten beim Angriff auf die Festung. Am 23.Juli 1793 kapitulierte das französisch besetzte Mainz schließlich, was das Ende der Mainzer Republik bedeutete.

Abzug der Franzosen aus Mainz, Bild: BPSP / 337 C, Stadtarchiv Mainz.

Abwehrende Haltung

Bis heute ist die Beurteilung der Mainzer Republik strittig, der immer noch fälschlich ein Scheitern ihres Demokratie-Vorstellungen vorgeworfen wird. Wobei nicht zwischen äußeren, politisch-militärischen Gründen und demokratietheoretischen Ideen unterschieden wird. Die Mainzer Republik war auch kein Experiment, sondern ein ernstgemeinter Versuch, eine Republik nach den Vorstellungen der Französischen Revolution einzurichten.

Die kritisch, bisweilen abwehrende Haltung, die bis heute einem Konsens im Wege steht und eine angemessene Würdigung der Mainzer Republik verhindert, hat ihre Wurzeln

  • in der Abneigung gegen die französische Fremdherrschaft, die durch die nationale Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts stark betont wurde, (Abb. Buchumschlag Alfred Börckel)
  • in der Abneigung konservativer Kreise auch heute noch gegen die antiklerikale Haltung der Revolution und gegen das proklamierte Selbstbestimmungsrecht des Individuums mit seiner Befreiung aus kirchlicher Bevormundung
  • und in den Nachwirkungen der Auseinandersetzung mit der – durchaus nützlichen – DDR-Historiographie, die die Mainzer Republik als Vorläufer ihres Staates reklamierte. (Abb. Buchumschlag Scheel)

Aus den Fakten ergibt sich: Die Mainzer Republik leitete in einem ersten Demokratieversuch in Deutschland den Wandel von einer feudal-aristokratischen zu einer bürgerlich-demokratischen Gesellschaft ein und kann als Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland bezeichnet werden.

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Platz der Mainzer Republik 1. Im Hintergrund das Deutschordenhaus aus dem mittleren 18. Jahrhundert, Sitz des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents der Mainzer Republik (1793) und seit 1950 Sitz des Landtags von Rheinland-Pfalz. Die zwei Sandsteinskulpturen am Eingangstor sollen an die Ereignisse von 1792/93 erinnern. Foto: Martin Bahmann.

Weitere Literaturhinweise und Internetangebote zur Mainzer Republik:

  1. https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/ausstellungen/demokratiegeschichte-rheinland-pfalz.html?L=0
  2. http://www.mainzer-republik.de/startseite.html
  3. https://www.demokratiegeschichte.eu/
  4. https://www.landtag.rlp.de/fileadmin/Landtag/Medien/Publikationen/Schriftenreihe/Heft55.pdf
  5. https://www.bundesregierung.de/resource/blob/975954/858962/3b3c6119d2c873bf028650b8781611ef/31-1-bpr-mainzer-republik-data.pdf?download=1
  6. https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/die-mainzer-republik-demokratische-traditionen
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2 Kommentare

  1. Peter Brunner

    26. Januar 2021 - 21:20
    Antworten

    So sehr ich zustimmen möchte, so sehr bedaure ich die Nichterwähnung der -früheren – Bergzaberner Bewegung.

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